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Mittwoch, 4. April 2012

Staatliche Museen füttern Google mit Kunst


Wieland Holfelder, Engineering Director
bei Google, stellt im Alten Museum
das erweiterte "Art Project" vor.
Welcher Kunstliebhaber hätte nicht gerne einen Rubens, einen Manet oder van Gogh in seiner ganz persönlichen Kunstsammlung, ergänzt womöglich um antike Skulpturen oder eine filigran mit Drachen bemalte Glasvase aus China? Der werbefinanzierte Google-Konzern macht es möglich, wenigstens virtuell, und positioniert sich so einmal mehr als hochkulturelle Alternative zu den Niederungen von Facebook. Seit gestern haben die User des „Google Art Project“ die Wahl zwischen gut 30.000 Kunstwerken aus 151 Museen in 40 Ländern. Sie können sich nah an die in hoher Auflösung digitalisierten Werke heranzoomen und virtuell durch 385 Säle in 46 Sammlungen flanieren, dank der Street-View-Technologie von Google. Und jeder kann seine eigene Sammlung zusammenstellen, kommentieren und mit anderen teilen.
Ausgedacht haben sich das kunstaffine Google-Mitarbeiter im Rahmen der betriebsinternen 20-Prozent-Regelung, die es ihnen erlaubt, einen Teil ihrer Arbeitszeit ohne Aufträge von Vorgesetzten an neuen Ideen zu tüfteln.
Bereits im Februar 2011 ging das Kunstprojekt ans Netz, als Lieferanten von Meisterwerken konnten 15 Spitzensammlungen gewonnen werden, darunter die Staatlichen Museen in Berlin. Zur Ansicht standen seither gut 1000 Werke, genug um 20 Millionen Einzelnutzer auf die Website zu locken. Mit dem gestrigen Relaunch, der im Pariser Musée d´Orsay gefeiert wurde, ist eine neue Qualität da. Der Projektleiter Amit Sood sagt es so: „Das Art Project ist nicht mehr nur etwas für den Studenten aus Indien, der das Museum of Modern Art in New York benutzen möchte. Jetzt ist es auch etwas für den amerikanischen Studenten, der sich für die National Gallery of Modern Art in Delhi interessiert.“
Neben der Sammlung Leopold in Wien, einem Museum australischer Felsmalerei und dem Imperial War Museum in London sind zwei deutsche Sammlungen neu vertreten. Der Kunstpalast Düsseldorf hat die Gelegenheit genutzt, neben  Spitzenwerken auch 140 sonst schwer zugängliche Zeichnungen aus der grafischen Sammlung ins Netz zu stellen. Die im Internet schon sehr gut aufgestellten Kunstsammlungen Dresden legten Wert darauf, in ganzer Breite mit 15 Museen sichtbar zu sein, nicht allein mit Pretiosen aus dem Grünen Gewölbe und der Sixtinischen Madonna. Die Dresdner und andere staatliche Einrichtungen stellten vorhandene Digitalisate umsonst zur Verfügung, dafür besorgt Google gratis die Präsentation – in einem werbefreien Umfeld, darauf legen alle Beteiligten großen Wert.
Jedes Museum darf außerdem ein Werk benennen, das Google auf eigene Kosten mit der neuen Gigapixel-Technologie scannt, das heißt in der 3400fachen Auflösung eines HD-Fernsehbildschirms, so dass allerfeinste Details betrachtet werden können. Eine „Win-Win-Situation“ nennt Michael Eissenhauer, Generaldirektor der Berliner Museen, die Zusammenarbeit mit Google und ordnet sie in den staatlichen Auftrag ein, die Werke einer möglichst breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Wieland Holfelder, Leiter der Google-Entwicklungsabteilung in München, verneint jede kommerzielle Hinterabsicht bei dem Projekt. Doch es ist klar, dass der Internetriese wieder einen kleinen Schritt dahin getan hat, sich in möglichst vielen Lebensbereichen unentbehrlich zu machen.
Mit seinen werbefinanzierten Gratisangeboten verschiebt Google stetig die Publikumserwartungen, Nutzungsgewohnheiten und letztlich auch kulturelle Maßstäbe, unbekümmert um die Auswirkungen für die Produzenten neuer Inhalte. Jedes neue Gratisangebot erhöht den Druck auf sie, auch ihre Werke für nix oder mit Werbung verkoppelt ins Netz zu stellen, wenn sie denn in der schönen neuen Googlewelt noch wahrgenommen werden wollen. So harmlos, wie die staatsfinanzierten Museumsleute glauben machen wollen, ist das für sie kostenneutrale Geschäftsmodell nicht.

www.googleartproject.com

Erstdruck: STUTTGARTER ZEITUNG vom 4. April 2012


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