Modell des Jesus-Monuments von Miroslaw Petecki auf der Berlin Biennale |
Eine Etage tiefer balanciert eine leicht bekleidete
Aktivistin der Occupy-Bewegung auf einer gefährlich hohen Leiter, um einen Draht
an der Decke weiß anzupinseln. „This is not our museum / This is your action
space“, empfängt ein Transparent die Neugierigen. In der Mitte stehen Bierbänke
im Kreis für Diskussionen im Plenum. Ein Infostand mit Plakaten fordert zu
Unterschriften für ein gesetzliches Verbot der Spekulation mit Nahrungsmitteln
auf. Neben einem Solarfahrrad ist eine Werkstatt mit allem aufgebaut, was man
für Schablonengraffiti braucht. Ein braunes Zelt im Hintergrund dient als
Rückzugsraum und Schlafkabine. Auf die Frage, wer in diesen „open space“ der
Berlin Biennale von wem eingeladen worden sei, antwortet ein geschäftiger
Aktivist, das wisse er auch nicht so genau. Er sei offen für „alle Menschen,
die hier was zum Ausdruck bringen wollen.“
Der Chefkurator der Biennale Artur Zmijewski legt Wert
darauf, dass es sich beim Spielzimmer für die Occupy-Aktivisten nicht um eine
Kunstinstallation handle. Er habe sich verpflichtet gefühlt, den jungen Leuten einen unkuratierten
und unzensierten Raum für ihre politische Kreativität zur Verfügung zu stellen.
„Wir stellen Kunst vor, die tatsächlich wirksam ist, Realität beeinflusst und
einen Raum öffnet, in dem Politik stattfinden kann“, fasst Zmijewski die
Leitidee seiner Biennale in einem
Satz zusammen. Ästhetische Kriterien spielen keine Rolle, ausschlaggebend sind eine
klare ideologische Zielsetzung der gezeigten Kunst und ihre praktische
Wirksamkeit. So kommt es, dass der volkstümliche Superjesus aus Polen plötzlich
an der Spitze zeitgenössischer Kunstproduktion marschiert. Warum nicht gleich
ein Bismarckdenkmal aus der Kaiserzeit?
Keinen klar identifizierbaren Schöpfer hat der neun Meter
lange und eine Tonne schwere Stahlschlüssel, der aus einem palästinensischen
Flüchtlingslager in den Innenhof der Berliner KunstWerke verfrachtet wurde. Der
angeblich größte Schlüssel der Welt soll die Sehnsucht der Vertriebenen nach
einer Rückkehr in ihre Heimat symbolisieren. In Sichtweite hängt ein aktuelles
Werbebanner des ägyptischen Mobilfunkanbieters Mobinil mit einem Foto von
Demonstranten gegen das Mubarak-Regime – das dieselbe Firma am Anfang der
Proteste im vergangenen Jahr durch das Abschalten der Netze noch unterstützte.
Die weißrussische Zeichnerin Marina Naprushkina durfte einen ganzen Raum mit
comicartigem Agitprop gegen das Lukaschenko-Regime ausmalen, nebenan laufen auf
großen Videowänden gleichzeitig Filme von politischen Straßenprotesten in Griechenland,
Palästina und Deutschland. Gruppen wie die „Filmpiraten“ verbreiten via
Internet solche Filme als Alternative zu professionellen Medienberichten. Ein
Hingucker ist ein Video von Feministinnen in der Ukraine, die als halbnackte
Blumenmädchen verkleidet einen Glockenturm besetzen und die Polizei zu brutalem
Einschreiten provozieren.
Schon im Januar löste ein Spendenaufruf der Biennale einen
Sturm der Entrüstung aus: 60.000 Exemplare von Thilo Sarrazins
Einwandererschelte „Deutschland schafft sich ab“ wollte der tschechische
Künstler Martin Zet einsammeln und recyclen. Das weckte hierzulande reflexartig
Erinnerungen an die nationalsozialistische Bücherverbrennung.
Kooperationspartner zogen sich erschrocken zurück, nur ein paar Exemplare wurden gespendet. Gemeinsam mit der „Bundesstiftung
Flucht Vertreibung Versöhnung“ erging ein weiteren Aufruf, private
Erinnerungsstücke an erzwungene Migration für die künftige Dauerausstellung des
„Zentrums gegen Vertreibungen“ zu spenden. Der Ertrag war eher dürftig: einige
Schlitten und Karren von Heimatvertriebenen, Flüchtlingskleidung von 1945,
Fotoalben und Ausweise lohnen kaum den Besuch im Deutschlandhaus. Umso bombastischer
wirkt dort der Werbefilm für ein Spektakel am kommenden Sonntag: Als
Rotarmisten und Wehrmachtssoldaten verkleidete Polen spielen im Spreepark die
Schlacht um Berlin im April 1945 nach. Im „Reenactment“ nach angelsächsischem
Vorbild sehen die Biennale-Kuratoren eine alternative Form der Aneignung von
Geschichte. Das musste unbedingt ins Programm, unbekümmert um die Frage, ob
solche Laienschauspielerei dem Thema überhaupt gerecht werden kann.
Hauptsache, es machen bei freiem Eintritt möglichst viele
mit! Schinkels klassizistische Elisabethkirche hat der Künstler Pawel Althamer innen
rundum mit weißen Wänden ausgekleidet, an der sich jeder zeichnerisch betätigen
darf, der sich für berufen hält. Dieser basisdemokratische „Kongress der
Zeichner“ ersetzt die kuratorische Ausschau nach professionellen Künstlern, die
mit ungewöhnlichen Mitteln etwas zu sagen haben. Und die Kulturstiftung des Bundes
fördert alle diese Maßnahmen zur Entwertung des Künstlerberufs mit 2,5
Millionen Euro!
Wie die Occupy-Aktivisten oder die Piratenpartei hoffen die
Biennale-Macher auf die Schwarmintelligenz der vielen. Radikale Basisdemokratie
soll der institutionalisierten Politik und Kunst auf die Sprünge helfen. Ein
paar Wochen lang testet die Berlin Biennale unter dem Motto „Forget Fear!“ aus,
ob das klappt. Große Kunst würde dabei nur stören.
INFOS Die KunstWerke in der Auguststraße 69 sind der zentrale
Ausstellungsort der Berlin Biennale, an vielen weiteren Orten in der Stadt finden Veranstaltungen
statt. Im ganzen Stadtgebiet hat der Künstler Lukasz Surowiec Birken gepflanzt, die in der Umgebung des Konzentrationslagers Auschwitz gewachsen sind. Das Programm läuft bis 1. Juli, der Eintritt ist frei. Die
„Berlin Biennale Zeitung“ gibt eine gute Einführung ins Programm (2 Euro). Das Begleitbuch
„Forget Fear“ hat 416 Seiten und kostet 25 Euro. Weitere Infos und
Projektdarstellungen auf www.berlinbiennale.de
Erstdruck: Stuttgarter Zeitung vom 27. April 2012
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