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Freitag, 6. Januar 2023

Melancholie der Provinz - "Gelbes Gold" an der Vagantenbühne

Von Michael Bienert - Gelbes Gold – danach fischt der Pommesbudenbesitzer Fritz seit 20 Jahren in seiner Friteuse. Doch die ersehnten Pommestouristen aus der weiten Welt bleiben aus, statt dessen schmilzt die allzu bekannte Stammkundschaft dahin. Denn das Plattenbauviertel an der Autobahn, in dem die Bude steht, wird abgerissen. So verliert Fritz seine bezahlbare Wohnung und auch sein Imbiss wird nach einer anonymen Anzeige vom Gesundheitsamt geschlossen. 

In diese trostlose Szenerie platzt Ana herein, die Tochter von Fritz. In der fernen Großstadt, wo sie studiert, ist sie nie richtig angekommen. Statt nun ihre Abschlussprüfung zu schreiben, lungert sie heimwehkrank dort herum, wo sie aufgewachsen ist. Und merkt, dass sie nicht mehr dazu gehört. Ihre Schulfreundin Juli wollte auch weg, hat aber den Absprung nicht geschafft und arbeitet als Kindergärtnerin in dem schrumpfenden Plattenbauviertel. Bis sie wegen ihres promiskuitiven Lebenswandels gekündigt wird. Dann ist da noch Mimi, seit 15 Jahren Aushilfskraft in der Imbissbude und Lebensgefährtin von Fritz. Sie strampelt sich frei, findet erst eine Anstellung in einem Blumenladen mit Laufkundschaft, später noch einen besseren Job und einen anderen Mann. 

Das Verstricktsein in die soziale Herkunft und die Sehnsucht nach einem neuen Leben, Bindung an ein Milieu und wachsende Entfremdung - das sind die Pole, um die Fabienne Dürs Vierpersonenstück "Gelbes Gold" kreist. Gnadenlos und empfindsam, die Figuren durchaus karikierend, aber nie denunzierend. Die Inszenierung von Bettina Rehm auf der kleinen Vaganten Bühne findet dafür den richtigen Ton. Sie kommt mit wenigen charakteristischen Requisiten und Kostümen (Clara Wanke) aus. Die Figuren gewinnen im Verlauf der eineinhalbstündigen Aufführung an Farbe und Individualität: Felix Theissen als alternder Gastronom, der sich an seinen längst gescheiterten Lebenstraum festklammert; Hannah von Theissen als Lebensgefährtin Mimi, die den Absprung vom sinkenden Boot schafft und dabei beachtliche Energien entwickelt; Sibylle Gogg als Juli, die ziellos ihre Ehe und ihre berufliche Existenz zerstört, bis sie frei ist; und Sarah Maria Sander als melancholische Ana, die nicht mehr weiß, wohin sie gehört. Kein aufmunternder und tröstlicher, aber in sich rundum stimmiger Theaterabend, der sich ironisch-liebevoll an den Nöten von Durchschnittsmenschen aus der Provinz abarbeitet. (© Michael Bienert / 6. Januar 2023)

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