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Dienstag, 10. November 2020

Rockige Gedichte aus Friedenau

Von Michael Bienert
. Und malt und malt und malt. Ein Foto zeigt den Künstler Peter Schlangenbader, Jahrgang 1953, am Schlagzeug inmitten seiner wilden Bilder und das trifft sehr genau das Lebensgefühl, das einem aus seinem Werk entgegenspringt. Seine Malerei ist – sehr laut, sehr farbintensiv, sehr fleischlich. Großstadtmalerei in der Tradition des Expressionismus und der Neuen Wilden der 1980er-Jahre; wie fröhlich, wild, geil spritzt das über die Leinwand, man wird fast ein wenig west-berlinisch-wehmütig und dann wieder froh, weil es sowas noch gibt. Viel nackte Männlein und Weiblein mit unverkennbaren Geschlechtsmerkmalen („Universum der Lust“), aber wie sie leuchten! Das scheinbar Obsessiv-Hingerotzte hat malerische Raffinesse. So ist es ja auch mit durchschlagenden Punk- und Rocksongs, die simpel gestrickt sind. Da entscheidet auch die richtige Klangfarbe über Sein oder Nichtsein. Nennen wir Schlangenbaders Werke einfach: klingende Bilder.
Seit Jahren tobt sich Schlangenbader in seinem Souterrain-Atelier in der Niedstraße 14 in Friedenau aus, im selben Haus, in dem von 1911 bis 1933 der geistesverwandte „Brücke“-Maler Karl Schmitt-Rottluff arbeitete. Nicht weit davon hat das Ehepaar, das den Verlag Friedenauer Brücke führt, vor einiger Zeit eine neue Bleibe in einer Altbauwohnung gefunden. Etliche großformatige Bilder von Friedenauer Künstler lehnen an den Wänden und wissen noch nicht so genau wohin. Hermann Ebling und Evelyn Weissberg haben 2016 einen wunderbunten Werkkatalog Schlangenbaders herausgegeben und nun auch seinen ersten Gedichtband ZOMBY VEGAN. Schlangenbader schreibt so eruptiv wie er malt, auch hierbei sind der Einfluss des Berliner Großstadtexpressionismus um 1900 und der Neuen Deutschen Welle nicht zu überhören: „Wenn ich deine Aura seh / brauch ich Reanimation / auf der Intensivstation…“ Nicht fehlen darf eine Ode an Berlin, in der „grell“ sich auf „datenschnell“ reimt, „Cartier“ auf „Heilsarmee“ und die mit dem Bekenntnis endet: „fick dich Berlin / ich lieb dich Berlin / City an der Spree“. Großstadtmelancholie und kannibalische Fantasien kommen ziemlich roh und unverstellt zur Sprache. Das „Virus“ paart sich hier nicht mit Depression, sondern mit einem „Liebeskuss“. Das ist nicht die filigranste Dichtkunst, sie hat aber – wie die Bildwerke Schlangenbaders – einen ruppigen Charme.
Das Verlegerpaar hat aus diesem Sprachmaterial, aus Zeichnungen und Gemälden Schlangenbaders ein kleines Buch zu komponiert, das als rotzfreches Gesamtkunstwerk ein bibliophiles Vergnügen ist. Fein habt ihr das hinbekommen! Ein hübsch rockiger Farbfleck ist das in der überreichen Literaturgeschichte Friedenaus: „Sanft umwoben / von klugen Geistern / gelegentlich auch / bösen Fratzen / lebt dieser Ort / romantisch friedlich / blumenduftig /vor sich hin / inmitten der irrwitzig /delirierenden Stadt / atmet jeder hier / spicy Brodem / von dem was war / ist und wird.“
 
PETER SCHLANGENBADER: DAS NACKTE SEIN
Bilder, Zeichnungen, Collagen, Objekte
207 Seiten
Edition Friedenauer Brücke, Berlin 2016
ISBN: 978-3-9816130-3-2
49,00 €
 
PETER SCHLANGENBADER: ZOMBY VEGAN
Gedichte, Zeichnungen, Bilder
99 Seiten
ISBN: 978-3-9816130-8-7
Edition Friedenauer Brücke, Berlin 2020
25,00 €
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