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Sonntag, 26. Februar 2012

Im Theater (31): Kirschgarten am Deutschen Theater

In den Theatern scheint sich die Auffassung durchzusetzen, dass Tschechows letztes Stück wirklich als das gespielt werden soll, wofür der Autor es hielt: als Komödie. Dass also der Kirschgarten ohne allzu große Sentimentalitäten zu Kleinholz verarbeitet werden kann und man sich mit den Abschiedsschmerzen des Personals nicht zu lange aufhalten sollte. Derart führte eine hochkarätig besetzte Off-Truppe den Kirschgarten zur Wiedereröffnung der Sophiensäle vor ein paar Monaten auf, wuchtete schwitzend Steine über die Bühne und schrie sich die Seele aus dem Leib. Tschechows unverwüstlicher "Kirschgarten" hielt das aus, eine Offenbarung war der hemdsärmelige Zugriff indes nicht. Einen ähnlichen Eindruck hinterlässt die filigranere, aber ähnlich kurzatmige Inszenierung von Stephan Kimmig am Deutschen Theater.
Er hat sich für eine nahezu melancholiefreie Lesart und für eine Übertragung des Stücks von Thomas Brasch entschieden, die alle Dialoge sehr heutig klingen lässt, insbesondere die Ausführungen des Studenten Trofimow (Elias Arens) über die zerstörende Macht der entfesselten Geldwirtschaft - in den Sophiensälen war er eine reine Witzfigur, hier hat er durchaus Sympathien auf seiner Seite. Die Gutsbesitzerin Ranjewskaja (Nina Hoss) leidet nicht unter massivem Realitätsverlust wie in anderen Aufführungen, sie tyrannisiert auch nicht ihre Familie mit ihren Extravaganzen, sondern ist in ihrem langen grauen Strickpullover einfach eine vom Schicksal gebeutelte Supermutti, die Rettung auf der untergehenden Insel ihrer Kindheit sucht. Und sogar findet (Achtung Komödie!), denn sie verlässt das verkaufte Gut ihrer Vorväter als reiche Frau. Der vierschrötige Bauernsohn Lopachin (Felix Goeser), der es ersteigert, ist halt nicht nicht nur ein Geschäftsmann - der einzige weit und breit, der die neuen Spielregeln des kapitalistischen Wirtschaftens zu nutzen versteht -, sondern im Grunde doch ein feiner Kerl und will nur das Beste für alle. Lopachin ist so gefangen ist in der Vorstellung, den Grund und Boden, den seine leibeigenen Vorfahren bewirtschafteten, zu besitzen, dass er bei der Versteigerung einen irrational hohen Preis zahlt. Modisch und physisch lebt er wie alle Figuren längst in der Jetztzeit, mit dem Bewusstsein und den Gefühlen sind sie noch lange nicht im Turbokapitalismus angekommen. Auch das alte Gutshaus, in dem sie sich auf die Nerven gehen, existiert nur in der Vorstellung: Das Bühnenkonstrukt aus Streben, Vorhängen und Blechwänden mit ornamentaler Perforation von Katja Haß lässt keinen Anflug von Gemütlichkeit zu. So stimmig die Inszenierung in sich ist, so wenig es an der knappen Charakterisierung der Figuren durch alle Schauspieler des exzellenten Ensembles auszusetzen gibt, so wiedererkennbar das ganze Stück daher kommt - als flotte Komödie aufgefasst bleibt es am Ende doch unbefriedigend blutleer. Und was es uns über die verheerenden Wirkungen der entfesselten Geldwirtschaft erzählt, bleibt eine Kopfsache, wenn das Leiden der Figuren nur so knapp angedeutet wird. Heutige Dramaturgen verweisen gerne auf einen Brief Tschechows, in denen er sich beklagte, dass der Uraufführungsregisseur Konstantin S. Stanislavskij einen Akt von vorgesehenen 12 auf 40 Minuten zerdehnt und den "Kirschgarten" durch quälende Langsamkeit ruiniert habe. Aber vielleicht hatte Stanislavskij einfach begriffen, dass Figuren und Handlung etwas mehr Zeit brauchen, um in der Gefühlswelt der Zuschauer anzukommen? Besetzung und Termine

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