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Freitag, 27. Januar 2012

Roads of Arabia: Multikulti in der Wüste

Wahrhaftig, sie ist es. Eine Pforte wie aus Tausendundeiner Nacht, gut dreieinhalb Meter hoch, die beiden Türflügel gänzlich überzogen mit silbernen Ornamenten und kalligraphischen Schriftzügen. Die Tür zur Kaaba, zum Allerheiligsten in der Pilgerstadt Mekka. Eine Fata Morgana, hier in Berlin? Nein, zum Beweis hängt im Pergamonmuseum ein Foto aus dem Jahr 1937, darauf sieht man die Kaaba, umdrängt von Pilgern. Der Stoffumhang über dem Gebäudekubus gibt an einer Seite den Blick auf genau diese Türflügel frei, die Wallfahrer strecken ihre Hände aus, um die Türschwelle einmal im Leben zu berühren. 
Die Kiswa, so heißt das Stoffkleid der Kaaba, wird jedes Jahr erneuert. Silbern  bestickte Teile davon sind jetzt ebenfalls auf der Berliner Museumsinsel zu sehen, sogar ein kompletter über sechs Meter hoher Prachtvorhang neueren Datums, der einmal die Kaaba-Tür schützte. Die ausgestellten Türflügel taten immerhin 300 Jahre lang ihren Dienst, in der Mitte des 20. Jahrhunderts wurden sie ersetzt, jetzt bewahrt sie das saudi-arabische  Nationalmuseum in Riad. Nebenan in der Ausstellung bilden filigran beschriftete Grabsteine aus Mekka, einige aus dem 9. Jahrhundert, einen Zauberkreis. Unglaublich, dass Saudi-Arabien so wertvolles Kulturgut auf Europatournee schickt, nur um uns Ungläubige das Staunen zu lehren.

Kulturell definiert sich das saudi-arabische Königshaus als Hüter der heiligen Stätten des Islam, die Verfassung des Landes stützt sich auf den Koran und das Rechtssystem auf die Scharia. Das hält Deutschland nicht ab, Panzer und anderes Kriegsgerät in das autokratisch regierte Königreich zu exportieren. In  Menschenrechtsfragen gelten dort keineswegs europäische Normen, aber die Monarchie war für den Westen immer ein verlässlicher Öllieferant. Als die Saudis im vergangenen Jahr Panzer ins benachbarte Bahrein schickten, um die Demokratiebewegung niederschlagen zu helfen, drohte die geplante Ausstellung mit arabischen Kulturschätzen in Berlin zu platzen. Deutsche Sponsoren zogen sich zurück. Der Berliner Senat jedoch hielt dem Projekt die Treue, denn nach vorangegangenen Gastspielen in Paris, Barcelona und St. Petersburg sollte die deutsche Hauptstadt nicht leer ausgehen.
Das zahlt sich nun für beide Seiten aus, denn die Ausstellung betört nicht nur durch die Schönheit der Leihgaben und eine ihre Wirkung raffiniert steigernde Ausstellungsinszenierung, überraschend ist auch das revidierte Geschichtsbild, das der Wüstenstaat präsentiert. Die offizielle Zeitrechung beginnt dort mit der Auswanderung des Propheten Mohammed aus Mekka, die Jahrtausende davor bezeichnet der Koran als „Zeit der Unwissenheit“. Entsprechend gering war in Saudi-Arabien lange Zeit das Interesse an der präislamischen Landesgeschichte. Seit einem Jahrzehnt mehren sich nun aber die Anzeichen für eine Entideologisierung der Kulturpolitik. „Der Islam kam nicht in ein leeres Land“, sagt der Altertumswissenschaftler Ali al-Ghabban, der das Ausstellungsprojekt „Roads of Arabia“ von saudischer Seite betreut hat. Diese Sicht ist inzwischen soweit akzeptiert, dass die Regierung erstmals für die Reste der antiken Stadt Hegra, heute Mada´in Salih, den Welterbestatus beantragte und 2008 auch bekam.
Die Ausstellung „Roads of Arabia“ verortet die arabische Halbinsel als einen vielschichtigen Kulturraum zwischen dem alten Ägypten und Mesopotamien, zwischen dem Römischen Reich und Indien. Faustkeilen und Pfeilspitzen belegen menschliche Besiedlung schon seit über einer Million Jahren. Drei ausdrucksstarke Steinstelen mit menschlichem Antlitz (Foto rechts) begrüßen die Besucher, sie stammen aus dem 4. Jahrtausend vor Christus, könnten aber auch aus Werkstatt eines modernen Bildhauers kommen. Als vor 3000 Jahren das Dromedar domestiziert wurde, entstanden Handelsrouten mit blühenden Oasenstädten auf der arabischen Halbinsel. Aus dem nördlichen Königreich Dedan stammen  monumentale, altäyptisch beeinflusste Steinfiguren. In einer Seitenkammer hat der Berliner Ausstellungsgestalter Youssef El Khoury einen Sensationsfund aus dem Jahr 1998 nachinszeniert: 1998 entdeckten Archäologen nahe der Karawanenstadt Thaj das Grab eines sechsjährigen Mädchens aus dem ersten vorchristlichen Jahrhundert, bedeckt mit Gold und filigranem Schmuck.
Um diese Zeit drang römische Mode bis in den Süden der arabischen Halbinsel vor, das beweisen die Locken auf dem Bronzekopf eines Mannes aus der Stadt Qaryat al-Faw (Foto links). Antike Götterfiguren, Räucheraltäre, wunderschöne Töpferwaren und Inschriften in vielen Sprachen lassen den ehemaligen kulturellen Reichtum erahnen. Mit dem Aufkommen des Islam entstanden neue Pilgerrouten nach Mekka und Medina, die schnelle Ausbreitung der Religion bis nach Spanien stellte weitere Verbindungen her.
Im frühen 20. Jahrhundert bauten die Osmanen mit deutscher Hilfe eine Eisenbahn für die Pilger bis nach Medina. Die Ruinen des an der Strecke gelegene Wüstenschlosses Mschatta gerieten in Gefahr, als Steinbruch geplündert zu werden. Daraufhin bat der deutsche Kaiser den osmanischen Sultan, die reich dekorierte Fassade nach Berlin zu bringen: So kam die Museumsinsel zu ihrem eindrucksvollsten Exponat aus dem islamischen Kulturraum.
Die „Roads of Arabia“ enden im Jahr 1932 mit der Ausrufung des Königsreiches Saudi-Arabien. Koran, Mantel, Säbel, Fahne und Falknerhandschuh des Staatsgründers Abulaziz ibn Saud füllen einen ganzen Raum, lassen keinen Platz  für eine differenzierte Darstellung der jüngeren Geschichte. Diese Peinlichkeit ist der Preis, den die Berliner Partner entrichten mussten, auch wenn Stefan Weber, Direktor des Museums für Islamische Kunst, versichert, die saudische Botschaft habe auf die Inhalte keinen Einfluss genommen.
Kurator Ali al-Ghabban, zugleich Vizepräsident der „Saudi Commission for Tourism and Antiquities“, scheute sich nicht zu erklären, dass hinter der Großzügigkeit seines Landes kühles Kalkül steckt. Saudische Touristen gäben viel Geld für Kultur im Ausland aus. Die eigene Kultur habe man als „ökonomische Ressource“ erkannt, sie schaffe zukunftsfähige Arbeitsplätze. Saudi-Arabien plane gerade elf neue Museen „mit internationalem Standard“. Nicht überraschend also, dass die „Roads of Arabia“ demnächst auch in den USA für den Wüstentourismus werben sollen.

„Roads of Arabia“ ist bis 9. April 2012 zu sehen. Infos unter
www.roadsofarabia2012.de

Erstdruck: STUTTGARTER ZEITUNG vom 27. Januar 2012

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