Die Kiswa, so heißt das Stoffkleid der Kaaba, wird jedes Jahr erneuert. Silbern bestickte Teile davon sind jetzt ebenfalls auf der Berliner Museumsinsel zu sehen, sogar ein kompletter über sechs Meter hoher Prachtvorhang neueren Datums, der einmal die Kaaba-Tür schützte. Die ausgestellten Türflügel taten immerhin 300 Jahre lang ihren Dienst, in der Mitte des 20. Jahrhunderts wurden sie ersetzt, jetzt bewahrt sie das saudi-arabische Nationalmuseum in Riad. Nebenan in der Ausstellung bilden filigran beschriftete Grabsteine aus Mekka, einige aus dem 9. Jahrhundert, einen Zauberkreis. Unglaublich, dass Saudi-Arabien so wertvolles Kulturgut auf Europatournee schickt, nur um uns Ungläubige das Staunen zu lehren.
Kulturell definiert sich das
saudi-arabische Königshaus als Hüter der heiligen Stätten des Islam, die
Verfassung des Landes stützt sich auf den Koran und das Rechtssystem auf die
Scharia. Das hält Deutschland nicht ab, Panzer und anderes Kriegsgerät in das
autokratisch regierte Königreich zu exportieren. In Menschenrechtsfragen gelten dort keineswegs europäische
Normen, aber die Monarchie war für den Westen immer ein verlässlicher
Öllieferant. Als die Saudis im vergangenen Jahr Panzer ins benachbarte Bahrein
schickten, um die Demokratiebewegung niederschlagen zu helfen, drohte die
geplante Ausstellung mit arabischen Kulturschätzen in Berlin zu platzen.
Deutsche Sponsoren zogen sich zurück. Der Berliner Senat jedoch hielt dem
Projekt die Treue, denn nach vorangegangenen Gastspielen in Paris, Barcelona
und St. Petersburg sollte die deutsche Hauptstadt nicht leer ausgehen.
Das zahlt sich nun für beide
Seiten aus, denn die Ausstellung betört nicht nur durch die Schönheit der
Leihgaben und eine ihre Wirkung raffiniert steigernde Ausstellungsinszenierung,
überraschend ist auch das revidierte Geschichtsbild, das der Wüstenstaat
präsentiert. Die offizielle Zeitrechung beginnt dort mit der Auswanderung des
Propheten Mohammed aus Mekka, die Jahrtausende davor bezeichnet der Koran als
„Zeit der Unwissenheit“. Entsprechend gering war in Saudi-Arabien lange Zeit
das Interesse an der präislamischen Landesgeschichte. Seit einem Jahrzehnt
mehren sich nun aber die Anzeichen für eine Entideologisierung der
Kulturpolitik. „Der Islam kam nicht in ein leeres Land“, sagt der
Altertumswissenschaftler Ali al-Ghabban, der das Ausstellungsprojekt „Roads of
Arabia“ von saudischer Seite betreut hat. Diese Sicht ist inzwischen soweit
akzeptiert, dass die Regierung erstmals für die Reste der antiken Stadt Hegra,
heute Mada´in Salih, den Welterbestatus beantragte und 2008 auch bekam.
Die Ausstellung „Roads of
Arabia“ verortet die arabische Halbinsel als einen vielschichtigen Kulturraum
zwischen dem alten Ägypten und Mesopotamien, zwischen dem Römischen Reich und
Indien. Faustkeilen und Pfeilspitzen belegen menschliche Besiedlung schon seit
über einer Million Jahren. Drei ausdrucksstarke Steinstelen mit menschlichem
Antlitz (Foto rechts) begrüßen die Besucher, sie stammen aus dem 4. Jahrtausend vor Christus,
könnten aber auch aus Werkstatt eines modernen Bildhauers kommen. Als vor 3000
Jahren das Dromedar domestiziert wurde, entstanden Handelsrouten mit blühenden
Oasenstädten auf der arabischen Halbinsel. Aus dem nördlichen Königreich Dedan
stammen monumentale, altäyptisch beeinflusste Steinfiguren. In einer Seitenkammer hat der Berliner Ausstellungsgestalter Youssef El Khoury
einen Sensationsfund aus dem Jahr 1998 nachinszeniert: 1998 entdeckten
Archäologen nahe der Karawanenstadt Thaj das Grab eines sechsjährigen Mädchens
aus dem ersten vorchristlichen Jahrhundert, bedeckt mit Gold und filigranem
Schmuck.
Um diese Zeit drang römische
Mode bis in den Süden der arabischen Halbinsel vor, das beweisen die Locken auf
dem Bronzekopf eines Mannes aus der Stadt Qaryat al-Faw (Foto links). Antike Götterfiguren,
Räucheraltäre, wunderschöne Töpferwaren und Inschriften in vielen Sprachen
lassen den ehemaligen kulturellen Reichtum erahnen. Mit dem Aufkommen des Islam
entstanden neue Pilgerrouten nach Mekka und Medina, die schnelle Ausbreitung
der Religion bis nach Spanien stellte weitere Verbindungen her.
Im frühen 20. Jahrhundert
bauten die Osmanen mit deutscher Hilfe eine Eisenbahn für die Pilger bis nach
Medina. Die Ruinen des an der Strecke gelegene Wüstenschlosses Mschatta
gerieten in Gefahr, als Steinbruch geplündert zu werden. Daraufhin bat der
deutsche Kaiser den osmanischen Sultan, die reich dekorierte Fassade nach
Berlin zu bringen: So kam die Museumsinsel zu ihrem eindrucksvollsten Exponat
aus dem islamischen Kulturraum.
Die „Roads of Arabia“ enden
im Jahr 1932 mit der Ausrufung des Königsreiches Saudi-Arabien. Koran, Mantel,
Säbel, Fahne und Falknerhandschuh des Staatsgründers Abulaziz ibn Saud füllen
einen ganzen Raum, lassen keinen Platz
für eine differenzierte Darstellung der jüngeren Geschichte. Diese
Peinlichkeit ist der Preis, den die Berliner Partner entrichten mussten, auch
wenn Stefan Weber, Direktor des Museums für Islamische Kunst, versichert, die
saudische Botschaft habe auf die Inhalte keinen Einfluss genommen.
Kurator Ali al-Ghabban,
zugleich Vizepräsident der „Saudi Commission for Tourism and Antiquities“,
scheute sich nicht zu erklären, dass hinter der Großzügigkeit seines Landes
kühles Kalkül steckt. Saudische Touristen gäben viel Geld für Kultur im Ausland
aus. Die eigene Kultur habe man als „ökonomische Ressource“ erkannt, sie
schaffe zukunftsfähige Arbeitsplätze. Saudi-Arabien plane gerade elf neue
Museen „mit internationalem Standard“. Nicht überraschend also, dass die „Roads
of Arabia“ demnächst auch in den USA für den Wüstentourismus werben sollen.
„Roads of Arabia“
ist bis 9. April 2012 zu sehen. Infos unter
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen