Ein echter Europäer: der Döner. |
Diese Dauerausstellung ist auch erst im November eröffnet
worden. Afghanistan rückt hier plötzlich ganz nah. Die bemalte hölzerne Fassade
eines Gästehauses, Teppiche und Kochkessel erzählen von traditioneller
Gastfreundschaft statt vom Krieg. Bunte Gewänder von Derwischen aus dem Iran
und Amulette gegen den bösen Blick belegen die religiöse Vielfalt innerhalb des
Islam. Wie verschieden mit dem Verhüllungsgebot für Frauen umgegangen wird,
machen verschiedenste kostbare Gesichtsschleier und ornamentale Fenstergitter sinnfällig.
Einen Dönerspieß aus Plastik, eigentlich gedacht als
Außenreklame für einen Schnellimbiss, gibt es auch sehen – aber nicht in den
„Welten der Muslime“, sondern eine Etage tiefer, wo endlich das Museum
europäischer Kulturen auffindbar ist.
Ethnologisch stichhaltig, weil Döner mit Salat im Brot von Berlin aus seinen Siegeszug durch Europa angetreten hat, sogar in China ist er schon gesichtet worden. Der Islam gehört wie das Judentum schon sehr viel länger zur europäischen Kultur. Das gelbe Seidengewand eines Mullahs von der Krim und der Mantel einer Bosnierin aus dem 19. Jahrhundert ziehen den Blick auf sich, sobald man in die Dauerausstellung eingetreten ist.
Ethnologisch stichhaltig, weil Döner mit Salat im Brot von Berlin aus seinen Siegeszug durch Europa angetreten hat, sogar in China ist er schon gesichtet worden. Der Islam gehört wie das Judentum schon sehr viel länger zur europäischen Kultur. Das gelbe Seidengewand eines Mullahs von der Krim und der Mantel einer Bosnierin aus dem 19. Jahrhundert ziehen den Blick auf sich, sobald man in die Dauerausstellung eingetreten ist.
Ihr Dreh- und Angelpunkt ist eine venezianische
Prachtgondel, die auf einem kuriosen Umweg ins Museum kam: 1975 schenkte ein
italienischer Kaufmann das 14 Meter lange Boot einem Berliner Geschäftsfreund,
der damit über den Halensee schipperte. Die Gondel symbolisiert den seit
Jahrhunderten ununterbrochenen Kultur- und Ideetransfer, der Europa so reich
gemacht hat. Sie steht freilich auch für die Verwandlung Venedigs von einer
mächtigen Handelsmetropole in ein Reiseziel des Massentourismus, in dem die
Gondeln ihre ursprüngliche Funktion als alltägliches Transportmittel längst
verloren haben.
Niemand muss seinen Ort verlassen, um mit Bildern und
Bräuchen aus anderen Kulturen in Berührung zu kommen. Was heute die
elektronischen Medien besorgen, leisteten im 19. Jahrhundert Klebebildchen für
Sammelalben. Oder ein Papiertheater aus Esslingen mit Dekorationen für eine
Aufführung von Jules Vernes „In achtzig Tagen um die Welt“. Kollektionen von
Espresso- und Mokkatassen aus vielen Ländern zeigen die Bereitschaft, sich fremde
Gewohnheiten einzuverleiben.
Ob das preußische Empirekleid aus französischer Seide, die Votivbilder
oder die vierzehn Meter breite Weihnachtskrippe mit beweglichen Holzfiguren aus
dem Erzgebirge – alle ausgestellten Objekte sind Hybride, lassen sich also zwar
bestimmten regionalen Kulturen zuschreiben, aber niemals eindeutig. Gilt das etwa
für die Mehrheit der 225.000 Objekte, die allein das Museum Europäischer
Kulturen besitzt? Erst 1999 gegründet, hat es das Erbe des aufgelösten Museum
für Deutsche Volkskunde angetreten und zugleich die europäischen Sammlungen des ethnologischen Museums
übernommen. Beide waren im 19. Jahrhundert gegründet worden. Nun folgt die Neuordnung
der Museumslandschaft dem Einigungsprozeß Europas nach dem Zweiten Weltkrieg. Die
heutigen Völkerkundler fragen nicht mehr nach dem, was die Europäer
unterscheidet, sondern was sie verbindet – selbst dann, wenn sie sich durch
Kostümierung, Grenzziehung oder die Pflege regionaler Bräuche voneinander zu
unterscheiden versuchen.
Folgerichtig endet die Reihe der ausgestellten Trachten und
Karnevalskostüme bei den Nationaltrikots von Fatmire Bajramaj und Mezut Özil. So
eine Sportuniform definiert den
Träger eindeutig als Vertreter Deutschlands. Wenn dieser aber unübersehbar
Vorfahren im Ausland hat, verkehrt sich das antiquierte Instrument nationaler
Abgrenzung in ein Symbol gelungener Integration.
Und wer sind wir Europäer denn nun wirklich? Das würde man zu
gerne wissen in einer Zeit, in der die politische Union wegen der Schuldenkrise
wackelt. Doch ein trennscharfe Antwort gibt es nicht, das legt zumindest diese
Ausstellung nahe. Die Berliner Ethnologen entlassen die Besucher mit einem Bild
von Bootsflüchtlingen auf dem Mittelmeer, die ihr Leben riskieren, um ein Teil
von Europa zu werden. Sie sind, vielleicht, die wahren Europäer der Zukunft.
MUSEUM DER WELTKULTUREN Die ethnologischen und
Kunstsammlungen in Dahlem umfassen 500.000 Objekte aus allen fünf Kontinenten.
Sie werden dort erstmals unter einem Dach präsentiert, nachdem andere
Sammlungen auf die Museumsinsel und ans Kulturforum umgezogen sind.
ÜBERGANGSLÖSUNG Sobald das als Humboldt-Forum
wiederaufgebaute Schloss fertig ist, sollen die ethnologischen Sammlungen
dorthin umziehen. Vor 2019 wird das aber nicht möglich sein. Den
sanierungsbedürftigen Dahlemer Komplex will die Stiftung Preußischer Kulturbesitz gänzlich aufgeben.
KATALOGE „Kulturkontakte – Leben in Europa“, Koehler &
Amelang 2011, 200 Seiten, 35 Euro
„Welten der Muslime“, Reimer Verlag, Berlin 2011, 240
Seiten, 39,95 Euro
Erstveröffentlichung: STUTTGARTER ZEITUNG vom 2. Januar 2012
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