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Montag, 17. September 2012

Streitfall Gemäldegalerie: Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz auf dem Weg vom Wünschbaren zum Machbaren


In der STUTTGARTER ZEITUNG von heute resümiert Michael Bienert den Sommerstreit über eine Umzug und Neubau für die Gemäldegalerie am Kulturforum. Bereits im Juni hatte er darüber berichtet. Jetzt will die Stiftung Preußischer Kulturbesitz auch Alternativen prüfen lassen, um die Kunst des 20. Jahrhunderts am Kulturforum zu präsentieren.

Caravaggio statt Container:
Hier soll eine neue Gemäldegalerie
gebaut werden. Foto: Bienert
Die leeren Transportkisten am Eingang des Neubaus verraten: Es wird eingeräumt. Ende Oktober soll das Archäologische Zentrum der Stuttgarter Architekten Joel Harris und Volker Kurrle neben der Berliner Museumsinsel eingeweiht werden. Der ziegelbraune kantige Baukörper verschließt sich neugierigen Blicken, so hoch sind die vertikalen Fensterschlitze angebracht. Ein Zweckbau für Museumsverwaltung, Restaurierungswerkstätten und Bibliothek, bei dessen Entwurf die Architekten Rücksicht auf eine Fata Morgana nehmen mussten. Nebenan, wo jetzt Parkplätze markiert und Container für Bauleute aufgestapelt sind, existiert in den Köpfen der Berliner Museumsdirektoren längst eine neue Gemäldegalerie mit den Spitzenwerken von Caravaggio, Rubens und Rembrandt.

Schon gleich nach der Wiedervereinigung Berlins war klar, dass dieses frühere Kasernengelände der ideale Platz für eine Erweiterung des Bode-Museums auf der Museumsinsel sein würde. Ein Galerieneubau sollte es ermöglichen, die wiedervereinigten Alten Meister angemessen zu zeigen. Doch der damalige Generaldirektor der Museen Wolf-Dieter Dube wollte die bereits weit gediehenen Planungen für eine Gemäldegalerie am westberliner Kulturforum nicht aufgeben, aus Furcht vor der Unkalkulierbarkeit der Baufortschritte auf der  maroden Museuminsel. So bekamen die Alten Meister bis 1998 ein passgenaues Haus in Sichtweite von Mies van der Rohes Neuer Nationalgalerie. Dass aus dieser Gemäldegalerie irgendwann eine Galerie des 20. Jahrhunderts werden und die Alten Meister in Richtung Museumsinsel weiter ziehen sollen, diese Vision spukte in der Chefetage der Stiftung Preußischer Kulturbesitz all die Jahre herum. Nur: Wer sollte den neuerlichen, schätzungsweise 150 Millionen teuren Umzug bezahlen?

Überraschend kam Bewegung kam in die Angelegenheit, als der Haushaltsschuss des Bundestages im Juni 10 Millionen Euro für einen Umbau der Gemäldegalerie bewilligte. Eine Notmaßnahme, weil die Neue Nationalgalerie zwecks Sanierung demnächst schließt und damit das 20. Jahrhundert komplett im Depot  verschwinden könnte. Außerdem hat das Sammlerehepaar Pietsch inzwischen offen gedroht, die Schenkung seiner auf 150 Millionen Euro Marktwert geschätzten Surrealismus-Sammlung zu widerrufen, falls diese nicht bald in eine öffentliche Präsentation der Werke von Grosz, Dix und Picasso integriert wird, so wie von der Preußenstiftung vor zwei Jahren versprochen.

Nun steht die Stiftungsleitung um Präsident Hermann Parzinger und den Museumsgeneral Michael Eissenhauer so heftig in der Kritik wie noch nie. Die Furcht, die wiedervereinigte Gemäldegalerie werde erneut zerrupft, auf Jahre teilweise im Bode-Museum und Depots geparkt, hat nicht nur die Feuilletons aufgebracht, sondern auch den Verband Deutscher Kunsthistoriker. Sein Protestbrief wurde von über 8000 Menschen unterzeichnet, eine Onlinepetition des amerikanischen Kunsthistorikers Jeffrey Hamburger fand über 13.000 Unterstützer. Selbst das börsennahe „Wall Street Journal“ berichtete vergangene Woche lang und breit über den Berliner Museumsstreit. Neben weltweitem Kopfschütteln bei Fachleuten gibt es auch Verständnis: So nannte der Direktor des New Yorker Metropolitan Museum Thomas P. Campbell in der „Süddeutschen Zeitung“ den Umzug der Alten Meister zur Museumsinsel „mutig, logisch und vollkommen richtig“.

Bei der Haushaltsdebatte vergangene Woche sah sich Kulturstaatsminister Bernd Neumann gefordert, die Preußenstiftung gegen „kampagnenartige“ Kritik in Schutz zu nehmen. Kein Wunder, denn ohne Neumanns Unterstützung hätte der Haushaltsausschuss kaum die 10-Millionen-Gabe bewilligt und damit den ganzen Streit losgetreten. Ein Teil des Geldes wird nun erst einmal für eine „Machbarkeitsstudie zur Optimierung der Berliner Museumslandschaft“ ausgegeben. Unter dem Druck der Öffentlichkeit beschlossen alle Museumdirektoren der Preußenstiftung letzte Woche, „dass noch einmal Alternativen und Varianten untersucht werden, um jeden Anschein voreiliger Entscheidungen zu vermeiden.“

Es bleibt also in der Schwebe, wer sich in den ungewissen Jahren bis zur Eröffnung einer neuen Gemäldegalerie, mit provisorischen Behausungen abfinden muss: die Alten Meister oder die Klassische Moderne. Aber auch einen dritten Weg will die Stiftung nicht mehr gänzlich ausschließen. Am Kulturforum wäre durchaus noch Platz für eine bauliche Erweiterung der Neuen Nationalgalerie. Käme sie, müssten die Alten Meister nicht umziehen. Das  Kulturforum bekäme einen positiven Impuls, den dieser Standort dringend braucht. Denn allein dadurch, dass man die Rembrandts in der heutigen Gemäldegalerie durch Picassos austauscht, wird das Kulturforum noch lange nicht die attraktive „Museumsinsel der Moderne“, von der die Befürworter schwärmen. Ein Wettbewerb für weitere Ausstellungsflächen am Kulturforum böte die Chance, dem städtebaulich verunglückten Ensemble zwischen Philharmonie und Nationalgalerie insgesamt eine attraktivere Gestalt zu geben.

Erstdruck: STUTTGARTER ZEITUNG vom 17. September 2012

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