In der STUTTGARTER ZEITUNG von heute resümiert Michael Bienert den Sommerstreit über eine Umzug und Neubau für die Gemäldegalerie am Kulturforum. Bereits im Juni hatte er darüber berichtet. Jetzt will die Stiftung Preußischer Kulturbesitz auch Alternativen prüfen lassen, um die Kunst des 20. Jahrhunderts am Kulturforum zu präsentieren.
Caravaggio statt Container: Hier soll eine neue Gemäldegalerie gebaut werden. Foto: Bienert |
Die leeren Transportkisten am Eingang des Neubaus verraten:
Es wird eingeräumt. Ende Oktober soll das Archäologische Zentrum der
Stuttgarter Architekten Joel Harris und Volker Kurrle neben der Berliner
Museumsinsel eingeweiht werden. Der ziegelbraune kantige Baukörper verschließt
sich neugierigen Blicken, so hoch sind die vertikalen Fensterschlitze
angebracht. Ein Zweckbau für Museumsverwaltung, Restaurierungswerkstätten und
Bibliothek, bei dessen Entwurf die Architekten Rücksicht auf eine Fata Morgana
nehmen mussten. Nebenan, wo jetzt Parkplätze markiert und Container für
Bauleute aufgestapelt sind, existiert in den Köpfen der Berliner
Museumsdirektoren längst eine neue Gemäldegalerie mit den Spitzenwerken von
Caravaggio, Rubens und Rembrandt.
Schon gleich nach der Wiedervereinigung Berlins war klar,
dass dieses frühere Kasernengelände der ideale Platz für eine Erweiterung des
Bode-Museums auf der Museumsinsel sein würde. Ein Galerieneubau sollte es
ermöglichen, die wiedervereinigten Alten Meister angemessen zu zeigen. Doch der
damalige Generaldirektor der Museen Wolf-Dieter Dube wollte die bereits weit
gediehenen Planungen für eine Gemäldegalerie am westberliner Kulturforum nicht
aufgeben, aus Furcht vor der Unkalkulierbarkeit der Baufortschritte auf der maroden Museuminsel. So bekamen die
Alten Meister bis 1998 ein passgenaues Haus in Sichtweite von Mies van der
Rohes Neuer Nationalgalerie. Dass aus dieser Gemäldegalerie irgendwann eine
Galerie des 20. Jahrhunderts werden und die Alten Meister in Richtung
Museumsinsel weiter ziehen sollen, diese Vision spukte in der Chefetage der
Stiftung Preußischer Kulturbesitz all die Jahre herum. Nur: Wer sollte den
neuerlichen, schätzungsweise 150 Millionen teuren Umzug bezahlen?
Überraschend kam Bewegung kam in die Angelegenheit, als der
Haushaltsschuss des Bundestages im Juni 10 Millionen Euro für einen Umbau der
Gemäldegalerie bewilligte. Eine Notmaßnahme, weil die Neue Nationalgalerie
zwecks Sanierung demnächst schließt und damit das 20. Jahrhundert komplett im
Depot verschwinden könnte.
Außerdem hat das Sammlerehepaar Pietsch inzwischen offen gedroht, die Schenkung
seiner auf 150 Millionen Euro Marktwert geschätzten Surrealismus-Sammlung zu
widerrufen, falls diese nicht bald in eine öffentliche Präsentation der Werke
von Grosz, Dix und Picasso integriert wird, so wie von der Preußenstiftung vor
zwei Jahren versprochen.
Nun steht die Stiftungsleitung um Präsident Hermann
Parzinger und den Museumsgeneral Michael Eissenhauer so heftig in der Kritik
wie noch nie. Die Furcht, die wiedervereinigte Gemäldegalerie werde erneut
zerrupft, auf Jahre teilweise im Bode-Museum und Depots geparkt, hat nicht nur die
Feuilletons aufgebracht, sondern auch den Verband Deutscher Kunsthistoriker. Sein
Protestbrief wurde von über 8000 Menschen unterzeichnet, eine Onlinepetition
des amerikanischen Kunsthistorikers Jeffrey Hamburger fand über 13.000
Unterstützer. Selbst das börsennahe „Wall Street Journal“ berichtete vergangene
Woche lang und breit über den Berliner Museumsstreit. Neben weltweitem
Kopfschütteln bei Fachleuten gibt es auch Verständnis: So nannte der Direktor
des New Yorker Metropolitan Museum Thomas P. Campbell in der „Süddeutschen
Zeitung“ den Umzug der Alten Meister zur Museumsinsel „mutig, logisch und vollkommen
richtig“.
Bei der Haushaltsdebatte vergangene Woche sah sich
Kulturstaatsminister Bernd Neumann gefordert, die Preußenstiftung gegen
„kampagnenartige“ Kritik in Schutz zu nehmen. Kein Wunder, denn ohne Neumanns
Unterstützung hätte der Haushaltsausschuss kaum die 10-Millionen-Gabe bewilligt
und damit den ganzen Streit losgetreten. Ein Teil des Geldes wird nun erst
einmal für eine „Machbarkeitsstudie zur Optimierung der Berliner
Museumslandschaft“ ausgegeben. Unter dem Druck der Öffentlichkeit beschlossen
alle Museumdirektoren der Preußenstiftung letzte Woche, „dass noch einmal
Alternativen und Varianten untersucht werden, um jeden Anschein voreiliger
Entscheidungen zu vermeiden.“
Es bleibt also in der Schwebe, wer sich in den ungewissen Jahren
bis zur Eröffnung einer neuen Gemäldegalerie, mit provisorischen Behausungen
abfinden muss: die Alten Meister oder die Klassische Moderne. Aber auch einen
dritten Weg will die Stiftung nicht mehr gänzlich ausschließen. Am Kulturforum
wäre durchaus noch Platz für eine bauliche Erweiterung der Neuen
Nationalgalerie. Käme sie, müssten die Alten Meister nicht umziehen. Das Kulturforum bekäme einen positiven
Impuls, den dieser Standort dringend braucht. Denn allein dadurch, dass man die
Rembrandts in der heutigen Gemäldegalerie durch Picassos austauscht, wird das
Kulturforum noch lange nicht die attraktive „Museumsinsel der Moderne“, von der
die Befürworter schwärmen. Ein Wettbewerb für weitere Ausstellungsflächen am
Kulturforum böte die Chance, dem städtebaulich verunglückten Ensemble zwischen
Philharmonie und Nationalgalerie insgesamt eine attraktivere Gestalt zu geben.
Erstdruck: STUTTGARTER ZEITUNG vom 17. September 2012
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