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Montag, 17. September 2012

Im Theater (39): Martin Wuttke in René Polleschs "Don Juan" an der Volksbühne

Don Juan ist Kettenraucher. Damit er keine Aschekrümel auf der Bühne hinterlässt, trägt ein Mitspieler immer einen weißen Blecheimer hinter ihm her. Das Laster hat es wirklich nicht leicht heutzutage! Es wird eingehegt, überwacht, von Gesundheitsaposteln mit Warnaufklebern versehen oder gleich ganz verboten. Mag ja sein, dass Rauchen das Leben verkürzt, aber für einen Don Juan ist das schon gar kein Grund damit aufzuhören: "Lange zu leben, das ist doch kein Leben!'

Der Blecheimer für die Kippen ist ein boulevardesker Running Gag des jüngsten Pollesch-Theaterabends an der Berliner Volksbühne, ein anderer die wiederkehrende Behauptung, die Welt teile sich in solche und solche. Die einen, das sind die Don Juans, die Hedonisten und Liebesartisten. Die anderen sind diejenigen, "die es nicht tun", also die Nichtraucher, Sicherheitsfetischisten und Langeweiler. Das schlagende Argument für den lustbetonten Typ Mensch: wenn er auf dem Totenbett liegt, braucht man ihn wenigstens nicht zu bedauern.


So klar geschieden ist die Menschheit dann doch nicht, sonst wäre das Stück nach zwei Minuten am Ende und sprudelte nicht eineinhalb Stunden atemlos fort. Don Juans innerer Kompass zeigt längst nicht mehr klar geradeaus, mitten durch jeden sich bietenden Lustgewinn hindurch zielstrebig zur Hölle. Die Gefühle und Sätze trudeln, es herrscht Verwirrung bis hin zur Impotenz, genau wie bei den Männlein und Weiblein um den großen Verführer herum.


In Diskurspausen fallen die Schauspieler (Franz Beil, Maximilian Brauer, Jean Chaize, Brigitte Cuvelier) lüstern übereinander her, verknäueln sich und entflechten ihre Glieder, mit prickelnder Erotik allerdings haben diese lustigen Turnübungen wenig zu tun. Sie sind aktionistisch wie die Sprachverrenkungen, hinter denen eine massive Sehnsucht lauert. Ach, es muss doch einen Ort für die Liebe geben! Heterotopien hat der Soziologe und Philosoph Michel Foucault dergleichen genannt, neben dem Landsmann Molière ist er der Stichwortgeber für René Polleschs postdramatischen Text.


Nicht allein Don Juans Geliebte (Lilith Stangenberg) wünscht sich mehr Dauer in der Liebe, sogar der Treulose stimmt zwischenzeitlich ein Loblied auf Leute an, die in einer Beziehung ausharren, komme da was da wolle. Mit jugendlicher Perücke, Kettchen und knackiger Hose ist Martin Wuttke auf den ersten Blick zwar als Verführer markiert, lässt aber den Charmeur und seine so verführerische Spielwut in der Garderobe. Statt beherzt die Gegenwart an sich zu reißen, beschwört Wuttkes schon etwas matter Don Juan altersmild die Vergangenheit: "Kannst du dich noch erinnern, als wir uns wie die Könige fühlten?"


René Polleschs Molière-Update bildet den Abschluss eines großen Wuttke­Triptychons an der Volksbühne. Don Juan spielt auf derselben Rummelplatzbude (von Bernd Neumann), wo vor einem Vierteljahr bereits Wuttke sich selbst als eingebildeten Kranken inszeniert hatte. Es folgte quälend langatmig Der Geizige als Versöhnungsmesse zwischen dem ehemaligen Ensemblemitglied Wuttke und dem Volksbühnenchef Frank Castorf. Zupackend bringt Pollesch das Molière­-Projekt doch noch zu einem guten Schluss. So wie er den Text von allem historischen Ballast befreit, lässt er von dem altertümlichen Bühnenaufbau nur das Fachwerkgerüst stehen. Auch die Kostüme (Nina von Mechow) erinnern nur noch von fern an Molières Jahrhundert. Die Fachwerkbühne lässt Pollesch irgendwann ganz auf der Hinterbühne verschwinden. Stark geschrumpft taucht sie später wieder auf, als Jugendzentrum für pubertierende Jugendliche mit einer Knochenmänner-Rockband. Ein Totengerippe als Memento mori hatte den Bühnengiebel auch schon an  den beiden vorangehenden Abenden gekrönt.


Pollesch entfernt sich beherzt davon und dockt seinen neuen Don-Juan-Text auf einer anderen Ebene wieder an. Martin Wuttke darf laut darüber nachdenken, welchen Erfolg er damit hatte, dass er die Castorf-Premiere des Geizigen im Juni kurzfristig absagen musste. Statt ins Theater war er lieber zum Arzt gefahren. Durch seine Abwesenheit erzielte der Schauspieler in der Tat eine größere Wirkung als später in der nachgeholten Premiere, worüber sich prächtig räsonieren lässt in einem Theater, das sich mit Haut und Haaren dem Antiillusionismus verschrieben hat.


"Nein! Ich lass mir das jetzt nicht dadurch madig machen, dass ich jetzt auch noch meinen soll, was ich sage", insistiert Don Juan in seinem Schussmonolog auf seinem Gebrauch des Satzes "Ich liebe dich!" Dem Verführer und Komödianten geht es nicht um maximale Wahrheit, sondern um maximale Wirkung. Dabei schwingt immer auch eine Hoffnung mit, dass sich der Selbstlauf der Wörter und Zeichen unversehens mit einem Gefühl oder Gehalt füllt. "Es gibt nicht nur den Gedanken. Es ist nicht alles im Kopf", weiß der Sinnesmensch Don Juan besser als jeder andere. Im Subtext hinter den Wortgirlanden ist er dann doch weiser, als es auf den ersten Blick den Anschein hat.


Zum Spielplan der Volksbühne


Erstdruck: STUTTGARTER ZEITUNG vom 17. September 2012

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