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Sonntag, 2. September 2012

Im Theater (37): Ödipus Stadt im Deutschen Theater

Es ist ja nicht so, dass der Start der neuen Theatersaison automatisch Hochgefühle im Kritiker auslöst. Wir werden wieder viel Halbgares, Überwürztes und Ungenießbares verkosten müssen - wozu eigentlich? Umso größer das Glück, wenn die ersten dreißig, vierzig Theaterminuten der beginnenden Spielzeit einem richtig Lust machen: In dieser kurzen Zeitspanne spielt Ulrich Matthes das ganze Drama des thebanischen Königs, Vatermörders und Muttergatten Ödipus so hellklar, dass es eine Offenbarung ist. So ohne Zuviel, ohne Schnickschnack, ohne jeden billigen Effekt, so hingegeben an die Sprache und die Figur könnte es Stunden und Tage weitergehen, ohne dass sich die Frage stellt: Was mache ich hier eigentlich?

Das Antikenprojekt Ödipus Stadt basiert auf Stücken von Sophokles, Euripides und Aischylos, in knapp zweieinhalb Stunden wird die Geschichte des tragischen Helden und seiner Familie auserzählt. Sie endet mit dem Tod seiner Tochter Antigone, die sich gegen die Anordnung des neuen Herrschers Kreon wehrt, ihren Bruder Polyneikes zu bestatten. Ein Fluch, der auf der Familie lastet, reißt alle ins Verderben und trägt den Ratgeber Kreon an die Spitze des Stadtstaates Theben. Der Tyrann wird hier von einer schwarz gekleideten Frau gespielt: Susanne Wolff stattet ihn mit überraschend weichen Zügen aus, zeigt ihn am Ende als einen, der mit der Rolle des starken Mannes überfordert ist. "Die Macht hat Dir den Sinn verkehrt", warnt ihn scharf der misslaunige Seher Teiresias (Sven Lehmann), eine unheimliche Erscheinung. Wie zuvor unter der Herrschaft des Ödipus und zwischenzeitlich seines Sohnes Eteokles wird bei Kreon die Polis zur Geisel eines Königs, der vorgibt, im Sinne der Allgemeinheit zu handeln, aber sie durch seine persönlichen Schwierigkeiten in die Nähe des Untergangs manövriert.
Das Ensemble spielt auf einer Art Halfpipe aus hellem Holz, in schlichten Kostümen mit Straßenschuhen, weiten Röcken und ärmellosen Unterhemden oder Tops, eine Pappkrone als Herrschaftszeichen ist fast das einzige Requisit (Bühne: Katja Haß). Nichts lenkt von der Gedankenklarheit der Aufführung ab (Regie: Stephan Kimmig). Neben Ulrich Matthes und Susanne Wolff hinterlassen Elias Arens und Moritz Grove einen starken Eindruck als verfeindetes Bruderpaar, zwischen denen die Mutter Iokaste (Barbara Schnitzler) gefasst, aber hilflos zu vermitteln versucht. Weniger souverän wirken Katrin Sichmann und Felicitas Madl als Schwesternpaar Antigone und Ismeme. Ein Theaterabend, der nicht überwältigt, aber das Publikum in einen Zustand hellwacher Konzentration versetzt. Wenn es so weiter geht mit der Spielzeit, wird alles gut. Zum Spielplan

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