Von der iPad-Galerie der Ausstellung „Art an Press“ schweift
der Blick in den weiten Lichthof des Gropiusbaus, wo Anselm Kiefer einen
melancholischen Abgesang auf die Epoche der gedruckten Zeitung inszeniert hat:
Bleigraue Sonnenblumen wachsen aus schrottreifen Druck- und Setzmaschinen und
streuen Bleilettern auf den harten Boden. Mit Kreide hat Kiefer Verse von Paul
Celan auf eine mächtige Bleiwand geschrieben: „Abend der Worte“ heißt das Bild.
Die Säle um diese poetische Rauminstallation bieten
reichlich Platz für 55 weitere künstlerische Positionen zur Printmedienwelt
nach dem Zweiten Weltkrieg. Yves Klein veröffentlichte sein spektakuläres
Fotoselbstporträt „Sprung ins Leere“ 1960 in einer eigens für diesen Tag
konzipierten Sonntagszeitung. Von der „Frankfurter Rundschau“ um eine
künstlerisch gestaltete Zeitungsseite gebeten, lieferte Joseph Beuys 1978 eine
Textwüste unter der winzigen Überschrift „Aufruf zur Alternative“. Nagelspitzen
kommen dem Betrachter aus einer durchgerissenen Titelseite der „Zeit“ von 1999
entgegen: Günther Ueckers Kommentar zu einem Essay von Jürgen Habermas über den
Balkankrieg.
15 Künstler haben Werke eigens für diese Schau geschaffen.
Der von den chinesischen Behörden schikanierte Ai Wei Wei schickte eine
schlichte Skulptur aus verbogenen Metallstäben. Die Armiereisen aus einer
eingestürzten Schule bezeugen ein Unglück, das in den staatlich gelenkten
Medien verschwiegen wurde. Einen Zeitungskiosk hat der Iraner Farhad Moshiri
mit Teppichen bestückt, die er nach
Covern internationaler Illustrierten von Hand knüpfen ließ. Von meterhohen
Zeitungsschlagzeilen an den Wänden wird der Besucher in Barbara Kruegers
„Denkraum“ beinahe erschlagen. Wie farbig bespritzte Betonbrocken stehen
Skulpturen von Franz West aus Pappmaché im Raum.
Jonathan Meese testet wir gewohnt die Grenzen politischer
Korrektheit aus und fordert die Abschaffung der „Demokratenpresse“ zugunsten
einer „Diktatur der Kunst“. Immerhin hatte Meese so viel Mumm, den Medienpartner
der Schau nicht bloß zu bauchpinseln wie die Vertreter der Bonner „Stiftung für
Kunst und Kultur“, deren Vorsitzender Walter Smerling „Art und Press“ mit
finanzieller Unterstützung des RWE-Konzerns kuratierte. Die Frage „Ihre Meinung
zu BILD?“ beantwortet Meese auf einem Werbeplakat in martialischer Typografie:
„Die Diktatur der Kunst braucht keine Meinung!“
Was vom kunstpädagogischen Eifer des „Bild“-Chefredakteurs
Kai Dieckmann zu halten ist, zeigt sein Umgang mit einer Arbeit von Gloria
Friedmann: Sie stellte einen ausgestopften röhrenden Hirsch dekorativ auf einen
Sockel aus geschredderten Zeitungen. In der Ausgabe vom 22. März deklarierte
„Bild“ diese Satire als „Hirsch-Protest gegen den Medienkonsum“, verschwieg
aber den richtungsweisenden Titel
„L´envoyé special“, auf deutsch: „Sonderkorrespondent“.
Erstdruck: STUTTGARTER ZEITUNG vom 29. März 2012
Wir geben den Artikel hier so wieder, wie er erschienen ist, stellen aber auf Wunsch von BILD-Chefredakteur Kai Dieckmann richtig, dass die BILD am 28. März das Werk von Gloria Friedmann unter seinem korrekten Titel vorgestellt hat.
Erstdruck: STUTTGARTER ZEITUNG vom 29. März 2012
Wir geben den Artikel hier so wieder, wie er erschienen ist, stellen aber auf Wunsch von BILD-Chefredakteur Kai Dieckmann richtig, dass die BILD am 28. März das Werk von Gloria Friedmann unter seinem korrekten Titel vorgestellt hat.
„Art and Press“, noch bis 24. Juni, Katalog 34 Euro. Infos: www.artandpress.de
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