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Donnerstag, 29. März 2012

ARTandPRESS oder: Bild Dir Deine Kunst!

Gemütlich sieht das aus, wie der Maler Claude Monet vollbärtig Pfeife rauchend seine Zeitung liest. Renoir hat ihn so gemalt. Derartige Porträts signalisierten bis ins 20. Jahrhundert Teilhabe am Tagesgeschehen und Offenheit für eine dynamische Medienwelt. Die Papierzeitung in der Hand war eine typisch moderne Haltung, so wie heute die Hinneigung des Smartphonebesitzers zu seinem Touchscreen. Da trifft es sich, dass eine Galerie von Zeitungs-Bildern der klassischen Moderne, darunter Renoirs Gemälde, im Berliner Martin-Gropius-Bau nun auf iPads betrachtet werden kann. Die virtuelle Galerie erinnert an die vielfältigen Inspirationen, die von der gedruckten Zeitung ausgingen: Picasso und Braque klebten Ausschnitte in ihre kubistischen Gemälde, Dix und Beckmann verwendeten sie als Bildmotiv, für die Montagekunst einer Hannah Höch, eines John Heartfield oder George Grosz lieferte die Zeitung genauso unverzichtbaren Rohstoff wie für Andy Warhols Multiples.
Von der iPad-Galerie der Ausstellung „Art an Press“ schweift der Blick in den weiten Lichthof des Gropiusbaus, wo Anselm Kiefer einen melancholischen Abgesang auf die Epoche der gedruckten Zeitung inszeniert hat: Bleigraue Sonnenblumen wachsen aus schrottreifen Druck- und Setzmaschinen und streuen Bleilettern auf den harten Boden. Mit Kreide hat Kiefer Verse von Paul Celan auf eine mächtige Bleiwand geschrieben: „Abend der Worte“ heißt das Bild.
Die Säle um diese poetische Rauminstallation bieten reichlich Platz für 55 weitere künstlerische Positionen zur Printmedienwelt nach dem Zweiten Weltkrieg. Yves Klein veröffentlichte sein spektakuläres Fotoselbstporträt „Sprung ins Leere“ 1960 in einer eigens für diesen Tag konzipierten Sonntagszeitung. Von der „Frankfurter Rundschau“ um eine künstlerisch gestaltete Zeitungsseite gebeten, lieferte Joseph Beuys 1978 eine Textwüste unter der winzigen Überschrift „Aufruf zur Alternative“. Nagelspitzen kommen dem Betrachter aus einer durchgerissenen Titelseite der „Zeit“ von 1999 entgegen: Günther Ueckers Kommentar zu einem Essay von Jürgen Habermas über den Balkankrieg.
15 Künstler haben Werke eigens für diese Schau geschaffen. Der von den chinesischen Behörden schikanierte Ai Wei Wei schickte eine schlichte Skulptur aus verbogenen Metallstäben. Die Armiereisen aus einer eingestürzten Schule bezeugen ein Unglück, das in den staatlich gelenkten Medien verschwiegen wurde. Einen Zeitungskiosk hat der Iraner Farhad Moshiri mit  Teppichen bestückt, die er nach Covern internationaler Illustrierten von Hand knüpfen ließ. Von meterhohen Zeitungsschlagzeilen an den Wänden wird der Besucher in Barbara Kruegers „Denkraum“ beinahe erschlagen. Wie farbig bespritzte Betonbrocken stehen Skulpturen von Franz West aus Pappmaché im Raum.
Jonathan Meese testet wir gewohnt die Grenzen politischer Korrektheit aus und fordert die Abschaffung der „Demokratenpresse“ zugunsten einer „Diktatur der Kunst“. Immerhin hatte Meese so viel Mumm, den Medienpartner der Schau nicht bloß zu bauchpinseln wie die Vertreter der Bonner „Stiftung für Kunst und Kultur“, deren Vorsitzender Walter Smerling „Art und Press“ mit finanzieller Unterstützung des RWE-Konzerns kuratierte. Die Frage „Ihre Meinung zu BILD?“ beantwortet Meese auf einem Werbeplakat in martialischer Typografie: „Die Diktatur der Kunst braucht keine Meinung!“
Was vom kunstpädagogischen Eifer des „Bild“-Chefredakteurs Kai Dieckmann zu halten ist, zeigt sein Umgang mit einer Arbeit von Gloria Friedmann: Sie stellte einen ausgestopften röhrenden Hirsch dekorativ auf einen Sockel aus geschredderten Zeitungen. In der Ausgabe vom 22. März deklarierte „Bild“ diese Satire als „Hirsch-Protest gegen den Medienkonsum“, verschwieg aber den richtungsweisenden Titel  „L´envoyé special“, auf deutsch: „Sonderkorrespondent“.


Erstdruck: STUTTGARTER ZEITUNG vom 29. März 2012


Wir geben den Artikel hier so wieder, wie er erschienen ist, stellen aber auf Wunsch von BILD-Chefredakteur Kai Dieckmann richtig, dass die BILD am 28. März das Werk von Gloria Friedmann unter seinem korrekten Titel vorgestellt hat.

„Art and Press“, noch bis 24. Juni, Katalog 34 Euro. Infos: www.artandpress.de


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