Translate

Freitag, 2. März 2012

Künstlerproteste gegen Kulturabbau in Pankow

In der STUTTGARTER ZEITUNG von heute berichten wir über die Hintergründe der massiven Künstlerproteste gegen die Schließung von Kultureinrichtungen in Pankow:
Eigentlich müssten alle Abgeordneten im Kulturausschuss des Berliner Landesparlaments glücklich sein: Seit der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit 2006 auch das Amt des Kultursenators als Nebenjob übernahm, gab es kaum noch Katastrophennachrichten aus der Kulturszene. Das jährliche Kulturbudget ist schrittweise um 36 Millionen Euro auf rund 360 Millionen gewachsen. Mit Wowereits Staatssekretär André Schmitz, früher Leiter der Senatskanzlei und auch schon mal Verwaltungsdirektor der Volksbühne, bekam die Szene einen verständnisvollen Ansprechpartner mit kurzem Draht ins Machtzentrum. Seit vergangenen Montag diskutiert der Kulturausschuss den Etatentwurf für 2012 und 2013, wie üblich lässt sich Wowereit von Schmitz vertreten, der die bohrenden Detailfragen der die Oppositionsangeordneten mit Eloquenz und Sachkenntnis pariert.
Die Berliner Kultureinrichtungen seien nicht üppig, aber „auskömmlich finanziert“ stellt Schmitz am Beginn der Beratungen fest. Und dass man sicher nicht alle Wünsche in einem Bundesland mit 63 Milliarden Euro Schulden erfüllen könne. Trotzdem will der Senat ein Signal in Richtung freie Szene setzen und je 500.000 Euro für Theater- und Kunstprojekte zusätzlich bereitstellen, außerdem 100 neue Künstlerateliers und 25 neue Musik-Proberäume. Vor allem aber soll die Zentral- und Landesbibliothek einen Neubau am stillgelegten Flughafen Tempelhof bekommen, geschätzte Kosten um die 200 Millionen Euro.
Dagegen zu argumentieren ist schwer, denn die größte öffentliche Bibliothek Deutschlands wartet schon seit vielen Jahren auf eine Unterbringung, die ihren Beständen und den Wünschen der Nutzer gerecht wird. Und doch hält sich die Begeisterung zumindest bei der Opposition und in der Berliner Kulturszene in Grenzen. Denn das 200-Millionen-Projekt passt nicht zusammen mit dem, was gerade im Norden der Stadt passiert.

Dort plant Pankow, der mit rund 360.000 Einwohnern größte Bezirk der Hauptstadt, die Schließung von Kiezbibliotheken,  zwei Kunstgalerien, einer Musikschule und einem Museum. Auch das über die Bezirksgrenze bekannte Kultur- und Theaterhaus für die freie Szene am Thälmannpark steht vor dem Aus.
Der Hintergrund: Pankow und die anderen Bezirke müssen ebenfalls Haushalte für 2012 und 2013 aufstellen, alle klagen über schrumpfende Finanzzuweisungen durch den Senat und kündigen drastische Einschnitte an. Mehrere Bezirksrathäuser sollen verkauft werden, in Pankow trifft es neben Seniorenfreizeitstätten, einer Gartenarbeitsschule und Straßenbauprojekten die Kultur – wobei unerfindlich bleibt, ob aus purem Not, politischem Dilettantismus oder politischem Kalkül. Wollen die der Bezirkspolitiker dem Senat nur zeigen, was er mit seiner Finanzpolitik anrichtet, indem sie die Kultur als Geisel nehmen?
Eine vorübergehende Haushaltssperre und die Drohung mit der definitiven Schließung der Kulturstandorte zeigte jedenfalls Wirkung: Nicht nur die betroffenen Künstler demonstrierten lautstark vor der Bezirksverordnetensammlung, auch die halbe Berliner Kulturprominenz erklärte sich solidarisch. Der Großbezirk Pankow, zu dem auch der hippe Prenzlauer Berg gehört, ist schon immer ein beliebter Künstlerwohnort gewesen, dort hat Christa Wolf bis zu ihrem Tod gelebt, dort sind der  Volksbühnenintendant Frank Castorf und der Lyriker Volker Braun genauso zuhause wie die Slam Poetry Szene und seit drei Jahren der Suhrkamp Verlag. Die Schauspielerstars Corinna Harfouch und Axel Prahl, die Regisseure Armin Petras und Andreas Dresen, die Band „Wir sind Helden“ und die Puhdys – sie alle haben sich via Internet gegen den Kulturabbau in Pankow ausgesprochen. Ganz kurzfristig lud das Deutsche Theater die Kollegen vom bedrohten „Theater unterm Dach“ zu einem Gastspiel mit anschließender Diskussion ein, nächste Woche eröffnet Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse eine Solidaritätsausstellung in der „Galerie Parterre“.
„Wo die kulturellen Orte verschwinden, entstehen die No-Go-Areas der Langeweile, des Stumpfsinns und der Gewalt. Wir wollen nicht kulturlos leben”, schreibt Volker Braun in einem Brief an die Bezirkspolitiker. Der nach Stuttgart wechselnde Armin Petras sieht Berlin ebenfalls auf dem Weg zu einer Touristenmetropole ohne Basiskultur: “Keine Treffpunkte mehr jenseits der Parkbank, keinen nachbarschaftlichen Austausch mehr, keine Möglichkeit mehr an unseren Kulturgütern teilzuhaben und teilzunehmen, kein kulturelles Erleben und Ausleben mehr in Einrichtungen, die für alle erschwinglich und erreichbar sein sollten.” Kultur ist keine Pflichtaufgabe der Kommunen, deshalb wurden in den letzten Jahren schon etliche Berliner Bezirksbibliotheken geschlossen, Standorte und Kulturarbeiterstellen zusammengelegt. Jetzt geht es den letzten verbliebenen Kultureinrichtungen in bezirklicher Trägerschaft an den Kragen.
Völlig falsch findet das auch Kulturstaatssekretär André Schmitz, das Sprachrohr des regierenden Kultursenators. Als die Pankower Pläne Mitte Januar bekannt wurden, distanzierte sich Schmitz postwendend via Pressemitteilung, so als hätten sie mit der Politik des Senats nichts zu tun. Mittlerweile hat sich “Pankow” zum Synonym für kulturpolitisches Missmanagement verselbständigt. Ein Unbehagen am Dreiklassensystem der Berliner Kulturförderung bricht sich Bahn: Die Prachtentfaltung der vom Bund geförderten Häuser, die “auskömmliche Armut” der städtischen und das Elend der bezirklichen Kultureinrichtungen stimmen nicht gut zusammen. Die Künstler in der Stadt haben das verstanden, nun kommt auch die Politik an dem Thema nicht mehr vorbei.  

Informationen über die Protestaktionen, Unterstützer und weitere Termine sind zu finden auf  http://aktionsbuendnis-der-kuenstler.jimdo.com. Es gibt auch etliche Videos von Protestaktionen auf Youtube. Dank an den Filmregisseur Jens Becker, der dafür sorgt, dass der Widerstand im Internet sichtbar ist!

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen