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Montag, 3. Januar 2011

Schneetreiben in der Kulturrepublik

„Wie wenn tagelang feine, dichte Flocken vom Himmel niederfallen, bald die ganze Gegend von unermesslichem Schnee zugedeckt liegt, werde ich von der Masse aus allen Ecken und Ritzen auf mich andringender Wörter gleichsam eingeschneit“, schreibt Jacob Grimm 1854 im ersten Band des „Deutschen Wörterbuchs“. Er starb über der Bearbeitung des Wortes „Frucht“, aber das Projekt überlebte ihn wie seinen Bruder. Vor 50 Jahren, im Januar 1961, lieferte der Stuttgarter Hirzel Verlag den letzten Band aus, das alphabetische Verzeichnis schloss mit dem Wort „Zypressenzweig“. Natürlich waren zu diesem Zeitpunkt die ersten Bände von der Sprach- und Wissenschaftsentwicklung längst überholt, in Ostberlin und Göttingen hatten Forscherteams schon wieder damit begonnen, Wortbelege von A bis F zu sammeln und zu sortieren. Das Schneetreiben wurde jedoch immer undurchdringlicher. Das Archiv der Berliner Arbeitsgruppe umfasst heute allein drei Milllionen Belegstellen für die Buchstaben A bis C. Im Jahr 2012 soll das Grimmsche Wörterbuch bis zum Buchstaben F renoviert sein, danach wird die Arbeit definitiv eingestellt. Der Grund für die Kapitulation: So uferlose Forschungsprojekte finden heutzutage keinen Geldgeber mehr. - Die Montagskolumne Kulturrepublik geht mit diesem heute in der STUTTGARTER ZEITUNG erschienenen Text ins dritte Jahr! Wir wünschen allen Lesern, dass es ein gutes Jahr wird!

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