Gasmaske aus dem Ersten Weltkrieg Quelle: Europeana 1914-1918 |
Von Michael Bienert - Der Erste Weltkrieg hat viele literarischer Talente ausradiert
und reichlich mediokre Autoren hervorgebracht. Einer war mein Urgroßvater. In
einem Erinnerungsbuch von Frontkämpfern hat er hinterlassen, wie er sich vor
Verdun das Eiserne Kreuz verdiente. Als Zugführer eroberte er eine französische
Stellung und schaffte es, sie im Nahkampf mit Senegalesen stundenlang zu
halten. Die meisten Kameraden überlebten das Gemetzel nicht, dennoch schließt Opas
Bericht mit den Worten: „Die Stimmung war trotz allem dem Erlebten die Beste
geblieben.“
Das Frontkämpferbuch erschien 1936, es sollte die Jugend auf
kommende Heldentaten einstimmen und trägt eine handschriftliche Widmung an den
Sohn, also meinen Großvater, der im Zweiten Weltkrieg gen Frankreich zog. Dieses
Familienerbstück, eine meiner Kindheitslektüren während langer Nachmittage
unter Omas Obhut, ist ein Fremdling zwischen meinen Büchern. Deshalb vermüffelte
das Buch jahrelang neben alten Schallplatten im Keller, genau wie das 1930 in
Stuttgart erschienene, mehrere Kilo schwere Bayernbuch
vom Weltkriege. Aber so ein illustriertes Prachtwerk kann man doch nicht einfach
auf den Kehrichthaufen der Geschichte werfen!
Nun haben es die alten Weltkriegsbücher wieder auf meinen
Schreibtisch geschafft, denn die 100. Wiederkehr des Kriegsbeginns rollt
unerbittlich wie ein Panzer auf uns Kulturjournalisten zu.
Pünktlich zum Jahresbeginn begannen alle Medien aus vollen Rohren zu feuern. Und die Strategen in den Buchverlagen haben pünktlich schwerste Geschütze aufgefahren: Neue Bücher zum Thema Weltkrieg signalisieren Bedeutsamkeit meist durch stattliche Seitenzahlen plus Papiergewicht. Zu den schmaleren Neuerscheinungen gehört das Jugendbuch Mein Opa, sein Holzbein und der Große Krieg von Nikolaus Nützel, das sehr einfach und klar von den Schrecken dieses Krieges berichtet und, denke ich an meine Kindheitslektüre, durchaus sein Publikum finden könnte. Wieso jedoch ein so uninspiriert gestaltetes Buch für den Deutschen Jugendbuchpreis nominiert wird, bleibt mir ein Rätsel.
Pünktlich zum Jahresbeginn begannen alle Medien aus vollen Rohren zu feuern. Und die Strategen in den Buchverlagen haben pünktlich schwerste Geschütze aufgefahren: Neue Bücher zum Thema Weltkrieg signalisieren Bedeutsamkeit meist durch stattliche Seitenzahlen plus Papiergewicht. Zu den schmaleren Neuerscheinungen gehört das Jugendbuch Mein Opa, sein Holzbein und der Große Krieg von Nikolaus Nützel, das sehr einfach und klar von den Schrecken dieses Krieges berichtet und, denke ich an meine Kindheitslektüre, durchaus sein Publikum finden könnte. Wieso jedoch ein so uninspiriert gestaltetes Buch für den Deutschen Jugendbuchpreis nominiert wird, bleibt mir ein Rätsel.
Schlafwandler und Strategen
Die Neuerscheinungen würden
tatsächlich gelesen, versichert mir ein Mitarbeiter einer großen
öffentlichen Bibliothek! Allen voran Christopher Clarks Bestseller Die Schlafwandler, der als Brite kein
Problem damit hat, die Deutschen von ihrer im Versailler Vertrag fixierten Alleinschuld
freizusprechen. Seit seinem Erscheinen hat das Buch an Brisanz noch gewonnen,
denn Clark beschreibt minutiös die Überforderung vieler Staatslenker im Jahr
1914 angesichts der Ereignisse auf dem Balkan, die sich ähnlich dramatisch und
unvorhergesehen entwickelten jüngst die politische Lage in der Ukraine. Vor
hundert Jahren herrschte so viel Rivalität,
Misstrauen und Sprachlosigkeit zwischen den Großmächten, dass eine Handvoll serbischer
Terroristen in Sarajevo die europaweite Mobilmachung auslösen konnte.
Bei dieser Sichtweise rücken allerdings die langfristigen
Vorbereitungen auf das große Morden in den Hintergrund. Das kritisiert Gerhard
Henke-Bodenschatz in seiner kurzen Geschichte des Ersten Weltkrieges (bei
Reclam), die auf bewunderungswürdige
Weise einen konzisen Überblick über die komplizierten politischen
Konstellationen, die weltweiten Frontverläufe, Methoden der Kriegsführung und
Propaganda, kurz alle wesentlichen Aspekte des Themas herstellt – in einer
einfachen und klaren Sprache, die niemanden einschüchtert. Henke-Bodenschatz sieht
Parallelen zu heute weniger im Versagen der Politiker, eher schon in der
aggressiven Wirtschaftsweise der Großmächte: „Es traten ja Staaten mit
kapitalistischen Volkswirtschaften gegeneinander an, für deren Wachstum der
stärkere Zugriff auf Märkte, Rohstoffe, Arbeitskräfte und Kapitalstandorte in
fremden Herrschaftbereichen immer dringender geworden war. Diese weltweiten
Interessen ihrer Wirtschaft unterstützen die Staaten am besten dadurch, dass
sie von ihresgleichen prinzipiell als Großmacht anerkannt wurden: Als Macht,
deren Recht, überall Einfluss zu nehmen und mit zu entscheiden, allseits respektiert
wurde.“
Einig sind sich die Historiker in der Bewertung des Ersten
Weltkriegs als „Urkatastrophe“ des 20. Jahrhunderts, die den Boden für späteres
Unheil bereitet hat. Ohne die Niederlage hätte es in Deutschland keine
Revolution, keine Inflation, keine so schwache Republik von Weimar und kein
Drittes Reich gegeben. Sehr konkret hat der Krieg das Leben aller Europäer
verändert, hat überall Lücken und Wunden in die Familien geschlagen, der
Nachkommen wir sind. Das könnte ein Grund dafür sein, warum dieses 100.
Jubiläum viele Leute intensiver beschäftigt als sonstige Jahrestage.
Irland zwischen
den Fronten
Sehr persönliche, familiäre Gründe hätten ihn dazu gebracht,
einen Roman über den Großen Krieg zu schreiben, erzählt der irische Autor
Sebastian Barry, Jahrgang 1955, in einem Youtube-Interview. Die Idee entstand
schon um die Milleniumswende. Würden seine Söhne, so fragte sich Barry, im 21.
Jahrhundert ähnliche Schrecken
erleben? In der angelsächsischen Lesewelt wurde das Buch vor Jahren stark
beachtet, nun ist Ein langer, langer Weg
von Hans-Christian Oeser ins Deutsche übertragen worden. Der Autor erspart
seinem Helden, dem kleinwüchsigen irischen Soldaten Willie Dunne, nichts: Frost
und Läuse im Schützengraben, gespenstische Gasangriffe, mörderische Nahkämpfe von
Auge zu Auge, sinnlose Sturmangriffe über Berge halb verwester Leichen, das
Zurückgeschicktwerden an die Front
nach einer Verwundung und zuletzt den armseligen Tod wenige Wochen vor
der deutschen Kapitulation. Dabei bleibt der Erzähler ganz nah bei seiner
Figur, einem jungen Mann aus einfachen Verhältnissen, der sich ständig in die
Hosen pinkelt und dennoch weiterkämpft, weil er zu seiner Familie und seiner
Braut zurück will.
Am Anfang glaubt Willie noch, der Blutzoll der Iren in
Belgien sei der Preis, den seine Landsleute dem britischen Königreich für die
im Mai 1914 versprochene politische
Selbstverwaltung zahlen müssten. Doch während eines Fronturlaubs in Dublin wird
Willie plötzlich in die Innenstadt kommandiert, um in seiner britischen Uniform
auf irische Aufständische zu schießen. In Willies Krieg gibt es nie einen
klaren Frontverlauf. Das macht diesen Roman psychologisch spannend. Eher
hilflos reagiert Willie auf den Tod so vieler Kameraden, auf die Kälte der
Stabsoffiziere, auf die Befehlsverweigerung eines Bekannten, der hingerichtet
wird.
Der Krieg höhlt ihn aus, entfremdet ihn der Braut und dem
Vater. Dennoch stirbt Willie nicht als entseelte Kampfmaschine. Der Erzähler
belässt seiner Figur etwas Unschuldiges und Zartes, eine menschliche Restwärme,
die auch dem Leser einen Halt auf dem Weg durch dieses Jammertal gibt. Die
Sprache dafür ist rau und poetisch zugleich: „Der Verbindungsgraben war ein
rauchender Durchlass mit einem schmutzigen Teppich aus zermalmten Toten. Willie
konnte noch das zerstoßene Fleisch in den zerschlissenen Uniformen spüren, in
denen seine Stiefel versanken ... Was in diesem Krieg benötigt wurde, dachte
Willie, waren Männer aus Stahl, die durch das Chaos weitermarschieren konnten,
so dass es, wenn sie in tausend Stücke gesprengt wurden, zu Hause keine
Leidtragenden gab und kein Höchstmaß an Schmerz.“
Autoren wie Ernst Jünger haben nach dem Krieg ihren viel
literarischen Ehrgeiz daran gesetzt zu beglaubigen, die Stahlgewitter hätten
gestählte Mannskerle hervorgebracht. In Barrys Roman entsteht nur ekelhafter
Menschenmatsch, der stinkt „wie eine Million verwester Fasane.“ Das macht den Unterschied
zwischen Gewaltpornografie und Literatur aus.
Krieg abseits der
Front
Wie vielschichtig Künstler und Schriftsteller ihr
Kriegserlebnis verarbeitet haben, führt Dietrich Schubert in Künstler im Trommelfeuer des Krieges 1914-18
vor Augen. Ein bedrückendes Buch, schwergewichtig, materialreich, mit rund
370 Fotos, Handskizzen, Gemälden aus der Fronthölle, darunter viele Arbeiten
von Otto Dix, Max Beckmann, Ludwig Meidner, aber auch von wenig bekannten
Künstlern. Nur leider liest sich das Werk des Heidelberger Kunsthistorikers wie
ein Vorlesungsmanuskript, kaum begreiflich, warum der Verlag bei diesem aufwendig
produzierten Buch kein strengeres Lektorats hat walten lassen. Während Schubert
sich und den Leser mitten ins Schlachtgetümmel wirft, schleicht sich der
Herausgeber Horst Lauinger in der dicken Anthologie Über den Feldern wie auf Samtpfoten an das Kriegsthema heran. 70
Autoren aus 16 Sprachen kommen in abgeschlossenen Erzähltexten zu Wort, von
denen die wenigsten eine Fronterfahrung behandeln, dafür aber erhellen, was es
heißt, in Krieg führenden Gesellschaften zu leben.
Davon handeln auch Die
Abenteuer des guten Soldaten Švejk im Weltkrieg, die Reclam zum 100.
Jahrestag in neuer Übersetzung auf den Markt bringt. Švejk schwadroniert sich
durch den Militärapparat des morschen Habsburgerreiches, um nur nicht an die
Front zu müssen, denn das wäre das Ende. Die Front rückt näher - doch ehe es den
Helden erwischen konnte, starb der Autor Anfang 1923 mit nur 39 Jahren an den
Folgen seines unsteten Lebenswandels. Die
Abenteuer des guten Soldaten Švejk blieben ein Fragment, was ihrer
Beliebtheit nichts schadete: Egal wo, Militärbürokratien ähneln sich weltweit
und überall gibt es Leser, die an ihrer satirischen Demaskierung ihre Freude
haben.
Der Heldentod in österreichischer Uniform war für die
meisten Tschechen kein lockendes Ziel. Jaroslav Hašek ließ sich 1915 von russischen
Truppen gefangen nehmen, nach der russischen
Revolution diente er Politkommisar in der Roten Armee. Zurück in Prag brachte
er Švejks Abenteuer als Groschenhefte im Eigenverlag unter die Leute. Der
Übersetzer Antonín Brousek betrachtet Švejk
als modernes Erzählprojekt und wählt daher einen anderen Weg als 1926 die erste
und bisher einzige Übersetzerin Grete Reiner. Sie hatte das umgangssprachliche
Tschechisch der Hauptfigur in ein grammatisch inkorrektes Pragerdeutsch
(„Böhmakeln“) übertragen. Dieser Kunstgriff trug viel zum Erfolg des Buches in
Deutschland bei. Doch für heutige Leser klingt Švejk dadurch ferner,
trotteliger und verstaubter als nötig. Kurz nach dem Ersten Weltkrieg war das
anders, schon 1928 brachten die Theateravantgardisten Piscator und Brecht den
Švejk auf die Bühne. Diese Figur kam ihnen gerade recht, um das Publikum mit
einer neuen, analytischen und gesellschaftsverändernden Theaterform aufzustören.
Tatsächlich redet Švejk im Original ein zwar
umgangssprachliches, aber korrektes und differenziertes Tschechisch. Antonín
Brousek hat es in ein adäquates Hochdeutsch übertragen, das sich flüssig und
komfortabel liest. Gern auch vor dem Einschlafen. Jeden Abend lese sein Vater
im Švejk, erzählt der 1972 geborene
Schriftsteller Jaroslav Rudiš im Nachwort zur Neuübersetzung. Der Roman sei
Vaters Bibel, die ihm seit Jahrzehnten Trost spende. Was wäre Schöneres über ein
Kriegsbuch zu berichten?
Nikolaus Nützel, Mein Opa, sein Holzbein und der Große Krieg. Was
der erste Weltkrieg mit uns zu tun hat. Ars edition, München 2013. 144 Seiten,
19,99 Euro
Christopher
Clark, Die Schlafwandler. Wie Europa in den Weltkrieg zog. DVA, München 2013.
896 Seiten, 39,99 Euro
Gerhard
Henke-Bockschatz, Der Erste Weltkrieg. Eine kurze Geschichte. Reclam, Ditzingen
2014. 300 Seiten, 22,95 Euro
Sebastian
Barry, Ein langer, langer Weg. Steidl, Göttingen 2014. Seiten 24 Euro
Dietrich
Schubert, Künstler im Trommelfeuer des Krieges 1914-1918. Verlag Das
Wunderhorn, Heidelberg 2014. 560 Seiten, 68 Euro
Über
den Feldern. Der Erste Weltkrieg in großen Erzählungen der Weltliteratur.
Herausgegeben von Horst Lauinger, Manesse Verlag, Zürich 2014. 784 Seiten, 29,
95 Euro
Jaroslav
Hašek, Die Abenteuer des guten Soldaten Švejk im Weltkrieg. Reclam, Ditzingen
2014. 1008 Seiten, 29,95 Euro
Erstdruck: literaturblatt für baden-württemberg, Heft 3/2014
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen