Nach der Veröffentlichung der gestrigen Senatsbeschlüsse zum Kulturhaushalt in den kommenden beiden Jahren ist der Frust in der Freien Szene groß. Wir dokumentieren die Stellungnahme, die die Koalition der Freien Szene heute veröffentlicht hat:
So qualitativ hochwertig, international anziehend und vielfältig die Kulturlandschaft Berlins derzeit noch ist, sie soll - wenn es nach dem Senat geht – nun zur Brache verkommen. Denn im nächsten Doppelhaushalt sind vom Kultursenator Klaus Wowereit trotz gegenteiliger Vorsätze der Regierungskoalition keine Investitionen zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für die überwiegend selbständigen Kunst- und Kulturschaffenden vorgesehen:
Kulturstaatssekretär André Schmitz: „Die Zuwendungen an die Freie Szene konnten mit ca.10 Millionen Euro auf dem bisherigen Niveau gehalten, im Bereich der Stipendienförderung sogar erhöht werden.“
Im Verhältnis zu dem in 2015 – im Wesentlichen für die Tarifanpassungen der Institutionen – auf 395 Millionen Euro anwachsenden Gesamtkulturetat entsprechen die unveränderten Zuwendungen für die Freie Szene in Höhe von 10 Millionen Euro nur noch ca. 2,5 %.
Jetzt – solange die Freie Szene noch den Motor Berlins bildet, solange fünf von sieben Touristen wegen der Lebendigkeit und Vielfältigkeit der Kultur in diese Stadt kommen1 und den Ruf der Einmaligkeit dieser Stadt in alle Welt verbreiten - wäre es die Pflicht des Kultursenators gewesen, in der Freien Szene, wenn schon nicht ihren Beitrag zur Lebensqualität der Stadt, zumindest den Aspekt des Wirtschaftsfaktors zu erkennen und in sie zu investieren. Das erkennen die IHK und die DeHoGa.
Beide wissen: Investition in Kultur schafft Wachstum und stärkt die Stadt durch Umwegrentabilität. Jan Eder, Hauptgeschäftsführer IHK Berlin, sagt ausdrücklich: „Wenn wir eine internationale Metropole für Künstlerinnen und Künstler bleiben wollen, sind weitere Investitionen in die Freie Szene notwendig.“
Bleibt, wie im Haushaltsentwurf des Senats vorgesehen, für die Freie Szene alles beim Alten, bedeutet dies für das empfindliche Gesamtkonstrukt "Freie Kunstszene" ein langsames Aus, da Kosten- und Verdrängungsdruck steigen. Noch fünf Jahre des Nichtstuns weitergedacht, sind die Abwanderung und Stilllegung von Kunst und Geist kein warnendes Schreckensbild mehr, sondern sichtbare Realität. Rascher als eine "kritische Masse" an Kunst und KünstlerInnen - die aus sich heraus attraktiv ist und bleibt - entsteht, baut sie sich wieder ab. Dann gäbe es in Berlin wohl noch KünstlerInnen - wie auch in Hamburg oder München. Hamburg allerdings hat einen Hafen, München hat Siemens und BMW und die Spitzen der deutschen Rüstungsindustrie. Beide Städte könnten zur Not auch ohne Kunst leben, weil sie nicht von ihr leben.
Das ist in Berlin anders: Wenn in Berlin in den letzten Jahren ernsthaft neue Umsätze, neue Steuereinnahmen, neue Arbeitsplätze entstanden sind, dann dort, wo Berlins aktuelle Rolle als die wahrscheinlich wichtigste Welthauptstadt der künstlerischen Produktion ausschlaggebend war: für Verlage und Musik- oder Filmproduktion, für Mode und "games", für App-Entwicklung, Agenturen und Kunsthandel und für die Szenewirtschaft und damit wichtige Teile des Tourismus.
Der Zweck künstlerischer Produktion ist mitnichten Wirtschaftsförderung, umgekehrt funktioniert aber ohne künstlerischen Geist kein kreativwirtschaftlicher Überbau.
Eine Politik, die jetzt nicht die Voraussetzungen dafür schafft, die internationale freie Kunstszene in Berlin zu halten und immer neu für Berlin zu gewinnen, ist deshalb geradezu blind und gefährdet die Zukunft der ganzen Stadt. Es geht nicht um soziale Wohltaten für arme Künstler, es geht nicht um einzelne Ausstellungen, Inszenierungen, Konzerte, oder - wie jetzt angekündigt – einige Stipendien mehr oder weniger; für Berlin geht es ums Ganze.
Die Koalitionsvereinbarung quillt im Gegenzug zum Haushaltsentwurf des Senats vom 25.06.2013 nahezu über vor guten Vorsätzen für die Verbesserung der Freien Szene.
Gute Vorsätze? Wir nennen es Erkenntnisse und fordern:
Es braucht jetzt eine politische Antwort des Parlaments auf diesen Skandal von Kurzsichtigkeit und politischem Desinteresse. Wir fordern jeden einzelnen Abgeordneten des Abgeordnetenhaus auf, ihre/seine politische Expertise aus Wirtschaft, Soziales, Kultur, Bildung, Wissenschaft, Haushalt , Arbeit, Gesundheit zusammen mit Logik, Weitsicht und Verstand zu einer klaren Setzung für einen Doppelhaushalt 2014/2015 einzusetzen.
Wir fordern die sofortige Stärkung der Freien Szene Berlins! Denn: Geist ist noch flüchtiger als Kapital – Haltet Ihn fest!
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