Die Schaubühne am Premierenabend Foto: Bienert |
Thomas Ostermeier, Jahrgang 1968, seit 13 Jahren künstlerischer Leiter der Berliner Schaubühne, ist schon lange keine Jungregisseur mehr. Dass er sich ernsthaft für die Problematik des alternden Künstlers interessiert, ist in seiner Theateradaption von „Der Tod in Venedig“ offensichtlich, aber auch, dass er dafür keine wirklich schlüssige Form findet. Seine Regiearbeit bietet in nicht einmal 80 Minuten von vielen Theaterformen ein bisschen: Mit fingierten Probenszenen auf kahler Bühne (Jan Pappelbaum) geht es los, bald verwandelt sich die Szene in ein Hotelrestaurant, wo ganz realistisch getafelt wird, es gibt Gesangs- und Tanzeinlagen. Ein Videoteam auf der Bühne liefert Lifebilder, die über einen Screen flimmern wie eine abgespielte Spielfilmkopie. Zuletzt versinkt alles in allegorischem Bildertheater mit barbusigen Tänzerinnen unter apokalyptisch von der Decke schneienden schwarzen Plastikschnipseln: die Cholera ist da!
Ein Erzähler (Kay Bartholomäus Schulze) liest in sich gekehrt kurze Passagen aus Thomas Manns Text, einmal verlässt er seine Sprecherkabine, um das Treiben zu unterbrechen und Thomas Manns eigene Deutung der Knabenliebe als unvermeidlicher Verstrickung des Künstlers mit dem Eros zum besten zu geben. Die eingesprochenen Texte verklammern die inszenierten Bilder indes nicht, sie steigern den Eindruck des Fragmentarischen. Das Theater robbt sich von verschiedenen Seiten an die skandalöse Liebesgeschichte heran, es kriegt sie aber nicht in den Griff - was durchaus für die Raffinesse spricht, mit der Thomas Mann das Peinliche und Ruinöse durch seine ironisch gebrochenes Sprachvirtuosentum durchscheinen lässt.
Josef Bierbichler im weißen Anzug braucht keinen Text, um die Seelennot des verliebten Voyeurs fühlbar zu machen. Wie sein Aschenbach hilflos im Hotelrestaurant herumirrt, stumm seine Suppe löffelt und seine Zeitung liest, sagt alles über seine Verdruckstheit. Und wenn der Mensch in seiner Qual verstummt, gibt ihm ein Regisseur zu singen, was er leidet: In sich gekehrt singt Bierbichler leise einige Strophen aus Mahlers „Kindertotenliedern“ und den „Liedern eines fahrenden Gesellen“ zu Klavierbegleitung (Timo Kreuser). Zu hoch für seine Stimme, aber gerade die Gebrochenheit dieser Gesangseinlagen gibt der peinlichen Aschenbachfigur ihre Würde zurück, offenbart ihre Sehnsucht nach dem Schönen, ihre Verletzlichkeit und Melancholie.
Tadzio (Maximilian Ostermann), hinter dem Aschenbach wie ein Stalker her ist, lässt sich interessiert auf das Spiel der Blicke ein, ohne es zu durchschauen. Wie zwitschernde Vögel tollen die drei Schwestern (Martina Borroni, Marcela Giesche, Rosabel Huguet) um den schönen Knaben herum, Sinnbild jugendlicher Vitalität, die für Aschenbach unerreichbar geworden ist. Mikel Aristegui, der die drei Tänzerinnen choreografisch lenkt, lockt sie als Dionysos hinter die Bühne, von wo sie als schwarze Todesgöttinnen zurückkommen. Alles Bilder, die zwar wirkungssicher Schlaglichter auf Thomas Manns Novelle werfen, aber nicht zu einem Theaterereignis zusammenwachsen. Der Sekundärliteratur zum klassischen Lesestoff fügt die Schaubühne lediglich eine Sekundäraufführung hinzu.
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Erstdruck: STUTTGARTER ZEITUNG vom 17. Januar 2013
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