Freie Kulturszene in Berlin: Nachtleben vor den Sophiensälen |
Stuttgart gehört zu den wenigen Städten, die auf eine solche Zwangsabgabe verzichten. Vor zwei Jahren hat sich der Gemeinderat gegen die Einführung einer Steuer ausgesprochen, die auf Hotelübernachtungen fällig werden und vor allem den Kultureinrichtungen zugutekommen sollte. Nur die Grünen waren damals dafür. Jetzt haben sie als Regierungspartei im Rathaus ein Problem weniger zu lösen: Im Juli erklärte das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig die Abgabe, so wie sie bis dahin in Trier und Bingen erhoben wurde, für teilweise rechtswidrig. Hotelbetreiber hatten geklagt. Die Steuer muss plus Zinsen von den Städten an die Hotellerie und von diesen an die betroffenen Hotelgäste zurücküberwiesen werden. Das reißt neue Löcher in die kommunalen Haushalte.
Köln war Vorreiter bei der Bettensteuer, die dort seit 2010 erhoben wird und offiziell Kulturfördergabe heißt. 4,5 Millionen Euro hat sie 2011 in die Stadtkasse gespült, der größte Teil floss in die Renovierung von Museen und Kulturbauten. Da der Köln-Tourismus trotz der neuen Abgabe zunahm, plante die Stadtkämmerei für dieses Jahr sieben Millionen ein. Nun prüfen Juristen, ob die Einnahmen wenigstens teilweise für die Stadt gerettet werden können. Denn das Bundesverwaltungsgericht gesteht den Kommunen durchaus einen prozentualen Aufschlag auf den Übernachtungspreis zu, sofern dieser rein privat veranlasst ist. Berufsreisen hingegen dürfen nicht zusätzlich besteuert werden. Juristisch ist das klar, in der Praxis aber sind Berufsausübung und Feierabendunterhaltung von Hotelgästen nicht zu trennen.
Um weiterem Ärger aus dem Weg zu gehen, hat Osnabrück die Bettensteuer vergangene Woche wieder abgeschafft und zahlt lieber 525 000 Euro zurück. Hamburg hingegen will pünktlich zum 1. Januar 2013 einsteigen und hat sein Gesetz an die neue Rechtslage angepasst. Der Senat rechnet mit 12 bis 15 Millionen Euro Einnahmen, die mindestens zur Hälfte in Kulturprojekte fließen sollen.
In Berlin ist ebenfalls ein Gesetzesentwurf in Arbeit, der - so die Finanzstaatssekretärin Margaretha Sudhoff - 'wasserdicht sein muss'. Der Verteilungskampf um das frische Geld aber wartet nicht. Besonders laut meldet sich die freie Kulturszene zu Wort: Sie wittert die einmalige Chance, endlich aus dem pekuniären Elend herauszukommen, in das sie die Kulturpolitik der letzten Jahre manövriert hat.
Von den 370 Millionen Euro, die Berlin jährlich für Kultur ausgibt, fließen über neunzig Prozent in feste Strukturen, in denen etwa 1900 Menschen beschäftigt seien, rechnet Christoph Knoch vor, der Sprecher der 'Koalition der freien Szene'. Schätzungsweise zehnmal so viele Künstler balgen sich in Berlin um den kümmerlichen Rest. Und ihr Stück vom Kuchen wird immer kleiner, weil Schwergewichte wie die Stiftung Preußischer Kulturbesitz sich inzwischen gern aus Töpfen wie dem (vom Bund finanzierten) Hauptstadtkulturfonds bedienen, der ursprünglich für die Förderung der freien Szene vorgesehen war.
Dabei ist unstrittig, dass die Kreativbranche zu einem der wichtigsten Wirtschaftsfaktoren in Berlin geworden ist: Der Berlin-Tourismus boomt vor allem wegen des breiten Kulturangebots. Unternehmen der Kreativindustrie siedeln sich wegen der Szene neu in Berlin an. Die Produzenten des Aufschwungs fordern daher mindestens fünfzig Prozent der Einnahmen aus der geplanten 'City-Tax', sprich der Bettensteuer, für die freie Szene. Damit opponieren sie gegen windelweiche Absichtserklärungen des Senats, wie in Hamburg solle das Geld überwiegend 'für kulturelle Zwecke' ausgegeben werden. Akribisch hat die 'Koalition der freien Szene' durchgerechnet, dass 17,65 Millionen Euro nötig wären, um die vorhandene Off-Kultur zu erhalten, etwa durch bescheidene Mindesthonorare für Künstler oder Eigenmittelfonds, damit weitere Fördergelder akquiriert werden können.
Demgegenüber steht die Befürchtung, dass der Ausgleich von Tarifsteigerungen allein bei der Berliner Opernstiftung schon bald wieder ein Finanzloch von zwanzig Millionen in den Kulturhaushalt reißen könnte - und dass Einnahmen aus der Bettensteuer wieder nur dazu dienen, Löcher zu stopfen, statt die Lage der Künstler zu verbessern.
Die Kulturpolitiker aller Parlamentsfraktionen unterstützen die 50-Prozent-Forderung der freien Szene, das ist schon mal ein Erfolg ihrer Lobbyarbeit. Doch es werden auch andere die Hand aufhalten, sobald Geld aus der 'City-Tax' ins Stadtsäckel fließt, seien es Sportverbände oder die Tourismuswerber. Über die Verteilung einer neuen Steuer entscheiden letztlich nicht die Kulturpolitiker, sondern die Haushälter. Die freie Kulturszene wird noch viel und laut trommeln müssen, ehe sie bekommt, was ihr zusteht.
Erstdruck: STUTTGARTER ZEITUNG vom 5. Dezember 2012
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