Von Elke Linda Buchholz - Der 6. Dezember 1912 war ein "Duseltag" für den
Archäologen Ludwig Borchardt, wie er in sein Grabungstagebuch notiert. Das
Stück, das er an diesem Tag aus dem Wüstensand barg, war so ungewöhnlich, dass
dem sonst so sachlichen Wissenschaftler die Worte fehlten: "Beschreiben
nützt nichts, ansehen", kritzelte er neben eine Handskizze der Büste. Dass an dieser
Stelle mit spannenden Funden zu rechnen war, hatte das Archäologenteam bereits
vermutet. Unvollendete Skulpturen deuteten darauf, dass sich hier eine
Bildhauerwerkstatt befunden haben musste. In einer ehemaligen Abfallgrube stieß
man auf eine zerbrochene Pferdescheuklappe aus Elfenbein und entzifferte darauf
den eingeritzten Namen des Künstlers: Thutmosis. Er gilt als Schöpfer der
Nofretete.
Zum 100. Fundjubiläum macht Friederike Seyfried, die Chefin
des Ägyptischen Museums, der Königin ein besonderes Geschenk. Sie gönnt ihr
eine imaginäre Reise zurück in ihre Zeit vor 3200 Jahren, in den Alltag ihrer
Stadt Amarna. Natürlich: die kostbare, fragile Büste steht unverrückbar wie
immer unter ihrem Glassturz in der Nordkuppel des Neuen Museums, von Seyfrieds
Vorgänger Dietrich Wildung als Star der Sammlung auratisch ins Licht gesetzt.
Niemals wird sie diesen Platz verlassen. Hoheitsvoll wie immer empfängt sie die
Huldigung ihrer Bewunderer. Doch die Räume rundum wurden freigeräumt, um zum
ersten Mal all das auszubreiten, was die Amarna-Grabung 1912-13 sonst noch zu
Tage förderte. Aus den seit Jahrzehnten nur grob vorsortierten Bruchstücke konnten
ganze Gefäße neu zusammengepuzzelt werden.
Die Exponatliste umfasst über 1000 Nummern. Statt die
Objekte wie bisher als zeitenthobene Kunstwerke zu inszenieren, nimmt Seyfried
den Besucher mit zu einer archäologischen Entdeckungstour. Was aßen die
Menschen? Woran glaubten sie? Wie wurden die ausgelatschten Ledersohlen
gefertigt und welche Werkzeuge nahmen die Metallhandwerker zur Hand? Tiefblaue
Kacheln und farbige Pflanzenornamente lassen den Wohnkomfort ahnen. Um dem
Geheimnis der berühmten, blauen Amarna-Keramik auf die Spur zu kommen, haben
sich experimentelle Archäologen selbst an die Töpferscheibe gesetzt. Über allem
wacht, ins Monumentalformat vergrößert, ein Reliefbild des Herrschers Echnaton
und seiner Gattin Nofretete. Sie waren die Gründer dieser Kultur.
Pharao Echnaton erbaute seine neue Hauptstadt Achet-Aton,
heute Tell el-Amarna oder kurz Amarna genannt, buchstäblich aus dem Nichts, auf
einem schmalen fruchtbaren Landstreifen am Nilufer. In die aufragenden
Wüstenfelsen rundum ließ er Reliefstelen als Zeichen seiner Herrschaft meißeln:
Darauf zeigt er sich gleichberechtigt mit seiner Gattin Nofretete unter den
Strahlen einer riesigen Sonnenscheibe. Sie war das Emblem einer neuen Religion,
der ersten monotheistischen Religion überhaupt. Allein die Kraft des Lichts,
Aton, sollte fortan angebetet werden. Alle alten, tiergestaltigen Götter wurden
abgeschafft. Doch so schnell wie Echnatons Stadt entstand, so rasch verschwand
sie. Schon der übernächste Pharao Tutanchamun verlegte die Hauptstadt nach
Memphis und inthronisierte wieder die alten Götter. Amun statt Aton.
Alles was zu schwer, zu unhandlich, wertlos oder zerbrochen
war, ließen die Einwohner in der aufgegebenen Stadt Amarna zurück: Was die
Ausstellung zeigt, ist der Bodensatz einer Kultur, die nur 13 Jahre existierte.
Wie radikal die Ablehnung Echnatons und seiner Sonnenreligion nach seinem Tod
war, zeigt eine schwer misshandelte, lebensgroße Porträtbüste des Pharao. Sein
Gesicht wurde mit brutalen Schlägen zerstört. Einst war das Stück so fein
ausgearbeitet und realistisch bemalt wie ihr Pendant: die Büste der Nofretete.
Beide wurden am selben Tag in derselben Kammer der Thutmosis-Werkstatt
gefunden. Ob es Bildhauermodelle waren oder doch eigenständige Skulpturen kurz
vor der Vollendung, weiß die Wissenschaft bis heute nicht zu sagen. Über ein
Dutzend Gipsköpfe, mehrere Varianten von Nofretete und ihren Verwandten in allen
Größen und feinster Qualität, dazu Bohrköpfe und Modellierwerkzeug: Im Fundus
der Thutmosis-Werkstatt wird die serielle Arbeitsweise und überragende Qualität
dieses Ateliers deutlich.
Als 1913, wie damals üblich, die Fundteilung anstand,
verschmähte die damals unter französischer Leitung agierende ägyptische
Altertümerverwaltung die "bunte Büste" Nofretetes und sicherte sich lieber
einen bemaltes Relief als Spitzenstück. Wenig später bereuten die
Verantwortlichen ihre Entscheidung. Nach der ersten öffentlichen Präsentation der Schönen 1920 in
Berlin liefen die ersten Rückgabeforderungen und Tauschangebote ein. Doch
rechtlich war an der Fundteilung nichts zu rütteln. Der Berliner
Textilunternehmer und Großmäzen James Simon, der die Grabung komplett aus
eigener Tasche finanziert hatte und Inhaber der Grabungslizenz war, durfte sich
als rechtmäßiger Eigentümer der Nofretete fühlen. 1920 schenkte Simon den
gesamten Amarna-Schatz den Berliner Museen. Friedrike Seyfried hat alle
Dokumente noch einmal akribisch durchgearbeitet.
Rückgabeforderungen aus Ägypten sind verstummt, seit der
lautstarke Antikenchef der Mubarak-Ära, Zahi Hawass, abgetreten ist. Doch wie
sieht es auf der Grabungsstätte aus, in einem Land, wo bürgerkriegsähnliche
Zustände drohen? Amarna liegt abseits der großen Städte. Ein Cambridge-Forschungsprojekt
setzt die Grabungen fort. Aber auf der Baustelle des geplanten Amarna-Museums
am Nilufer in der nahen Stadt Minia ruhen die Arbeiten. Ein halbfertiger Rohbau
wartet auf Kooperationspartner und Geldgeber.
Ausstellung "Im
Licht von Amarna - 100 Jahre Fund der Nofretete" bis 4. August 2013.
Ticket-Vorverkauf online
unter: www.imlichtvonamarna.de
Katalog Der
Katalog stellt die großenteils noch nie ausgestellten Funde aus Amarna
umfassend vor (320 Seiten, 250 Abbildungen) und erläutert die Wohn-, Glaubens-
und Arbeitswelten in der Stadt Nofretetes. Auch die Grabung, damals und heute,
sowie die Geschichte der Rückforderungen und die Rezeption der schönen Königin
im 20. Jahrhundert werden aufgerollt.
Erstdruck: STUTTGARTER ZEITUNG vom 7. Dezember 2012
Eine schöne Besprechung! Jetzt freue ich mich noch mehr auf die Ausstellung als ohnehin schon.
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