Zu den 23 Städten, die ihm heilig seien, zählte Honoré de Balzac überraschenderweise Stuttgart, genauer das mittlerweile eingemeindete Cannstadt, wo er im ehemaligen Hotel "Hermann" in der Badstraße 35 abstieg. Robert Musil hingegen fand Stuttgart "fremd und unfreundlich", schon weil er sich dort 1902/03 als Praktikant in einer Materialprüfungsanstalt tödlich langweilte und lieber Philosophie studiert hätte. Kurt Schwitters machte sich 1927 Gedanken über die moderne Architektur der Versuchssiedlung auf dem Weißenhof: "Große, edle Gestalten schreiten durch die Türen voll neuen Geistes. Hoffentlich wenigstens. Es kann vorkommen, daß nachher die Einwohner nichts so reif und frei sind wie ihre eigenen Türen. Aber hoffen wir, dass das Haus sie adelt." Es gibt in Stuttgart eben nicht nur die Orte Schillers, Hegels und Mörikes zu entdecken, in ihrem Buch Erzählte Stadt. Stuttgarts literarische Orte schlägt Irene Ferchl einen Bogen bis zu Schauplätzen lebender Autoren wie Hanns-Josef Ortheil, Friedrich Christian Delius und Wolfgang Schorlau. 75 kurze Miniaturen machen richtig Lust auf literarische Expeditionen in die Schwabenmetropole, dabei schöpft die Autorin aus dem Vollen: Wohl niemand kennt das literarische Leben in Stuttgart und Umgebung besser als die Gründerin und - seit 1993 - Chefredakteurin des literaturblatts für Baden-Württemberg.
Irene Ferchl
Erzählte Stadt
Stuttgarts literarische Orte
Silberburg Verlag, Stuttgart 2015
136 Seiten, gebunden, 84 Abbildungen
ISBN 978-3-8425-1382-2
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