Von Elke Linda Buchholz
- Was es da alles für Zutaten braucht! Frische Artischocken mögen ja noch angehen. Allerdings soll es die Sorte cimaroli romaneschi sein, von größerer, runder Gestalt. Ob die in Berlin aufzutreiben sind? Und dann erst: Rogen von der Meeräsche, Bries vom Milchlamm, grüne Feldzichorie, Karden, Kutteln und Kalbssehnen, Zucchiniblüten, Zitoni-Nudeln – und Stockfisch "am besten San Giovanni".
Was der römische Autor Luciano Valabrega in seinem Salto-Bändchen "Puntarelle & Pomodori" verbrät, anschmort und köchelt, sind eigentlich die Elemente einer armen Küche. Hier und heute stellen sie den Nachkochwilligen vor Probleme. Oder lassen einen Schmunzeln. Für "Coppiette" etwa benötigt man: einen Tafelspitz vom Rind sowie "eine Stricknadel, Tüll und eine sichere Terrasse." Oho!? Die Zubereitung ist dann verblüffend einfach und wird hier nicht verraten. Ohne die römische Mittagssonnenhitze funktioniert es eh nicht.
Aber selbst beim Allerweltsgemüse Tomaten dürfen es nicht irgendwelche Hollandparadeiser sein, sondern unbedingt Casalino-Früchtchen, also Wulsttomaten, diese "hässlichen, aber unglaublich köstlichen". Sie sind, wie der Autor liebevoll präzisiert, "klein, nicht glatt, sondern knollig mit vielen Wülsten. Mein Neffe Marco könnte sich hineinlegen, aber das wäre die reine Verschwendung!" Valabrega schiebt die Tomaten halbiert und entkernt mit Salz, Pfeffer, Öl und Knoblauch in den Ofen und grillt sie. Dazu gibt´s Brot. "Herber Geschmack. Etwas Besonderes!"
Noch das bescheidenste Gericht zelebriert Valabrega in seinen Rezept-Erzählungen als köstlichen Genuss. Dass die duftenden Kindheitserinnerungen an eine mit kochenden Großmüttern, Mamas, Tanten reichlich ausgestattete Familiensippschaft in der jüdischen Community Roms allem zusätzliche Würze und ein unnachahmliches Aroma verleihen, machen Valabregas Schilderungen deutlich. Er erzählt so unbekümmert, als plaudere er mit einem Freund. Selbst Spaghetti al Sugo – also schnöde Nudeln mit Hackfleischsoße – werden da zum Höhepunkt des sonntäglichen Familienrituals, denn der Sugo muss stundenlang kochen, wozu nur am Wochenende Zeit ist. "Gewöhnlich bleibt nichts übrig, wenn es trotzdem passiert (Hurra!) isst man es am Tag darauf..."
Manche Gerichte verbinden sich für Valabrega unauslöschlich mit Familienausflügen ans Meer, mit lauen Sommerabenden auf der Terrasse, mit Opernarien und Schlagern aus dem Radio oder mit der Pessach-Zeit im Frühling, wenn sich "eine Raserei in der ganzen jüdischen Gemeinde" entfesselte, voll Vorfreude auf die köstlichen, knusprig frittierten "Carciofi alla Giuda". Fettgebackenes steht ohnehin hoch im Kurs. Aber der Autor warnt: "Biblische Zubereitungszeiten. Unbestreitbare Geduldsprobe. Das Resultat ist hervorragend... wenn der Koch überlebt."
Man erfährt von Ausflügen mit Opa Marco in die billigen, verrauchten Kinosäle oder vom Gang zum Bäcker, wo die Familie mangels eines eigenen Backofens auch ihr Hühnchen oder Milchlamm backen ließ. In einer Werkstatt in der Via die Greci fertigte der Vater mit einer Schar von Arbeiterinnen aus der Vorstadt Dekoratives aus Kunstblumen und Federn – und verbarg dort ab 1943 während der Judenverfolgung seine Familie. Ein Feinkosthändler "und die ganze Umgebung (...) versorgten uns mit Essen".
So handelt das kleine Kochbüchlein vor allem auch von Menschen: Von den Verwandten, Freunden, zufälligen Gästen und Tischgenossen, die für Valabrega so notwendige Zutaten sind für ein gelungenes Mahl, wie der kühle weiße oder kräftige rote Wein. Sorgfalt gehört ebenfalls dazu, Feingefühl (etwa beim vorsichtigen Ablösen der Weißkohlblätter vom Kohlkopf, diesem "Schmuckstück der Natur"), Liebe zu den Dingen, genügend Zeit und ein gutes, besser noch hervorragendes Olivenöl. Viele Zubereitungen sind einfach, manche kompliziert. Abgewogen wird nichts.
Ein schönes Verschenkbüchlein, das auch dazu animiert, die eigenen Erinnerungen einmal zu durchforsten nach den einfachen Genüssen, die man als Kind so liebte.
Man kann Rezepte lesen wie Gedichte. Ein eher platonisches Vergnügen. Oder doch lieber die Messer schärfen? Eine winzige Kostprobe? Eccolo! Gleich zwei:
Cipolline con cannella
Schon geputzte kleine Zwiebeln (...) lässt man eine halbe Stunde in frischem Wasser liegen. In den Topf gibt man dann die Zwiebeln, Salz, Pfeffer, Öl, etwas Zimt in Pulverform, ein wenig durchpassierte Tomaten (nicht zu viel, denn die Sauce soll rosa sein und nicht zu dick) und mit ein wenig Wasser. Zudecken und bei mittlerer Hitze garen. Gelegentlich umrühren. Wenn nötig, gibt man langsam heißes Wasser dazu. Sie schmecken auch kalt gut, als Beilage zu gekochtem Rindfleisch oder Bestandteil leckerer Vorspeisen.
Wenn es Fleisch gibt und man keine Zeit hat, eine traditionelle Beilage zu kochen, kommt uns im Herbst und im Winter das Obst entgegen:
Traubensalat
Man kauft Trauben mit dünner Schale und mittelgroßen Früchten. Alles ist sehr simpel: Man wäscht sie, trocknet sie ab, zupft die Trauben vom Stengel und macht sie mit Öl, Salz, Pfeffer und Essig an. Man mischt alles und die Beilage ist fertig.
Luciano Valabrega
Puntarelle & Pomodori. Die römisch-jüdische Küche meiner Familie
Aus dem Italienischen von Marianne Schneider
Wagenbach Verlag, Berlin 2015
144 Seiten, s/w-Fotos, 15,90 €
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