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Mittwoch, 25. November 2015

Kalligrafie monumental - Jackson Pollocks "Mural" in Berlin

Von Elke Linda Buchholz - "Energy made visible!" Um zu begreifen, worum es dem Maler Jackson Pollock ging, genügt ein einziges Werk. Nur groß genug muss es sein. So wie dieses: Das 1943 entstandene "Mural", das die University of Iowa als "Crown Jewel" ihres Museums bezeichnet, misst über 6 Meter und ist das größte Bild, das Pollock je schuf. Avantgarde-Förderin Peggy Guggenheim bestellte es bei dem Künstler für ihr New Yorker Townhouse; als sie später nach Venedig ging, ließ sie das Riesenwerk in Amerika zurück. Das Foto links zeigt die Auftraggeberin und den Künstler um 1943 vor dem Bild.
Jetzt ist es auf Europa-Tour. Wer die Ausstellung jüngst in Venedig anlässlich der Biennale verpasst hat, bekommt nun in der KunstHalle der Deutschen Bank noch einmal die Gelegenheit zum Date mit Pollocks Original. Flankiert von Werken wichtiger Zeitgenossen wie Lee Krasner oder David Smith und frisch restauriert vibriert das Riesengemälde tatsächlich vor Dynamik und Bewegungsenergie. Eine Viertelstunde vor diesem Werk lässt sich wegschlürfen wie ein Energiedrink, nur eben rein visuell. Ein Input, den man im grauen Berliner November gut gebrauchen kann.
Aber auch Schwärze, Aggressives und Düsteres pulsiert darin. Pollock musste eine Wand in seinem Atelier einreißen, um genug Platz dafür zu schaffen und fand den Arbeitsprozess "höllisch aufregend". "Mural" markiert in Pollocks Schaffen den entscheidenden Übergang zwischen seinen frühen, noch figürlichen Versuchen, die ebenfalls in der Ausstellung vertreten sind, hin zu den freien Drippings, für die der Action Painter berühmt wurde.

Auf die Wand gemalt ist das riesige "Mural" – anders als der Titel vermuten lässt – nicht. Aber es entstand an der Wand, also aufrecht stehend, nicht wie die späteren Drip-Paitings flach auf dem Boden. Herabgelaufene Farbschlieren bezeugen es. Auch die sichtbaren Pinselspuren verraten, dass Pollock hier noch ganz handwerklich-klassisch vorging, um die heftigen Schwüngen, Bögen, Schlaufen und Farbbahnen aufzutragen. Später dann warf er den Pinsel beiseite und ließ dünnflüssige Farbe aus durchlöcherten Dosen auf den Bildträger tropfen, was dem Zufall mehr Mitsprache gab.
In "Mural" ist der Keim zu dieser Entwicklung bereits angelegt. Es ist ein brachiales und anmutiges Werk. Interessant dabei: Mittlerweile weiß man, so Kurator David Anfam, dass Pollock stark von der Fotografie beeinflusst wurde. Eine Ausstellung in New York mit Bewegungsfotografien muss ihn besonders fasziniert haben. Einige der damals ausgestellten Arbeiten sind jetzt ebenfalls zu sehen.
Mit der Taschenlampe in den Raum geschriebene Zeichnungen leuchten als abstrakte Lichtkalligraphien. Forsch schreitet Altmeister Hitchcock auf einer Stop-Motion-Fotografie von Gjon Mili vorneweg und zeigt sich trotz seiner Leibesfülle als dynamischer Energetiker, abgelichtet wie unter Stroboskoplicht. Besonders eindrucksvoll ist eine Aufnahme der amerikanischen Fotografin Barbara Morgan. Sie lässt eine Crew von Ausdruckstänzern in voller Action über die Bühne jagen: Kein Fuß berührt den Boden. Der Schwarm entfesselter Körper rast wie im freien Flug dahin, einer Horde antiker Erinnyen gleich. Und trotzt der Schwerkraft. Mehr Bewegungsenergie konnte selbst Pollock nicht in seinen Bildern fesseln.

Bis 21. April 2016 in der KunstHalle der Deutschen Bank
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Bildcredits: Peggy Guggenheim und Jackson Pollock vor "Mural", Foto von George Kargar, um 1943. Copyright: Estate George Kargar / Pressefoto KunstHalle der Deutschen Bank 

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