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Samstag, 10. Januar 2015

Im Theater (55): Pünktchen trifft Anton im Grips-Theater

Von Michael Bienert - "Das beste wird sein, Sie schreiben über Sachen, die Sie kennen. Also von Untergrundbahn und Hotels und solchem Zeug. Und von Kindern, wie sie Ihnen täglich an der Nase vorbeilaufen, und wie wir früher einmal selber einmal waren." Das rät in Emil und die Detektive der Oberkellner Nietenführ dem Autor, der ein Kinderbuch schreiben soll. Volker Ludwig, Gründer des Grips-Theaters, zitiert den Ober auf dem Programmzettel seiner Theateradaption von Pünktchen und Anton und fügt augenzwinkernd hinzu, dies seien "die einzigen und wahren theoretischen Grundlagen des Grips-Theaters".

2011 hatte Volker Ludwigs Stück Pünktchen trifft Anton Premiere und es hat in der Zwischenzeit noch an Aktualität gewonnen: Denn in der Grips-Fassung sind Anton und seine Mutter nicht nur arme Leute wie in Kästners Roman von 1931, sondern Flüchtlinge ohne Aufenthaltserlaubnis, also genau die Leute, die Pegida-Anhänger und Rechtsextreme nun wieder zum Sündenbock machen für alles, was ihnen in diesem Land nicht passt. Anton (Kilian Ponert) ist ein hoch begabter Schüler, dem buchstäblich das Lachen vergangen ist unter dem Druck der Angst, mit seiner Mutter abgeschoben zu werden. Freudlos wühlt er in Mülltonnen, um etwas zum Essen und Pfandflaschen zu finden. Dass er durch Pünktchen (Maria Perlick), das verwöhnte Mädchen aus einer Grunewaldvilla, wieder das Lachen lernt, gehört zu den anrührenden Momenten der Inszenierung von Frank Panhans.

Autor und Regisseur gehen sehr frei mit der Romanvorlage um, aber eben deshalb gelingt ihnen eine völlig schlüssige Übertragung der Handlung ins heutige Berlin und damit auch der pädagogischen Intention des Autors Erich Kästner: Die räumliche Trennung und die Sprachlosigkeit zwischen Arm und Reich in der Stadt wird durch zwei Kinder überwunden, die sich einfach mögen. Antons Mutter (Regine Seidler) ist aus politischen Gründen aus Weissrussland geflohen und in Berlin untergetaucht. Pünktchens Vater (René Schubert) scheffelt Geld mit Immobilienspekulation, während die Mutter sich daran gefällt, Flitterjäckchen zu kaufen und Charity-Events zugunsten notleidender Afrikaner zu organisieren - doch für die Bedürfnisse ihres eigenen Kindes ist sie blind. Sehr klug ist auch der Kunstgriff, Pünktchens Gouvernante im Roman durch ein schräges amerikanisches Au-Pair-Mädchen (Alessa Kordeck) zu ersetzen. Die Seele des Hauses und Ersatzmutter für Pünktchen aber ist Berta, die Haushaltshilfe (wunderbar humorvoll gespielt von Michaela Hanser).

Eine kurzweilige und herzerwärmende Aufführung in bester Grips-Tradition, durchdachter und in sich schlüssiger als die meisten Romanadaptionen auf deutschen Bühnen, die oft nur ein Abklatsch der Vorlage sind. Hier ist es wirklich gelungen, ein prominentes literarisches Werk achtzig Jahre später für das Theater und für die Kinder von Berlin noch einmal neu zu erfinden - das hat nicht nur den Kritiker begeistert, sondern auch die 13-jährige Kästner-Kennerin an seiner Seite.

Weitere Informationen und Spielplan des Grips-Theaters

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