Von Michael Bienert - Das Kleist-Museum in Frankfurt/Oder hat einen Neubau erhalten, außen spröde und kantig, um dem kleineren barocken Altbau nicht die Schau zu stehlen, innen jedoch angenehm hell, freundlich, geräumig und zweckmäßig. Die neue Dauerausstellung mit dem Titel "Rätsel. Kämpfe. Brüche." beginnt im Obergeschoss und erstreckt sich über beide Gebäude. Zu einem gewagten Schnitt hat sich die Kuratorin Barbara Gribnitz entschlossen: Werk und Leben präsentiert sie scharf getrennt, die Rezeptionsgeschichte bleibt ausgeblendet - oder aber künftigen Sonderausstellungen vorbehalten. Eine tiefe Skepsis gegenüber der bisherigen Überlieferungs- und Deutungsgeschichte des Autors ist hinter dieser Entscheidung zu spüren. Stattdessen versucht die Ausstellung, sogleich in medias res zu gehen und den Besucher mit der eigentümlichen Kleistschen Sprache zu konfrontieren.
Den ersten Raum erleuchten etwa zwanzig Lichtkörper in Kodexform, Schmetterlingen gleich, auf deren Flügeln Kleist-Zitate und Erläuterungen zu Schriftbild, Satzbau, Rhythmus, Versmaß oder Interpunktion zu lesen sind. Ein Videoprojektion an der Längswand weitet den fensterlosen Raum, abstrakte Ornamente ziehen sachte von links nach rechts: Nichts soll von den Wörtern und Sätzen Kleists ablenken, kein vorgegebenes Bild soll sich in die Rezeption mengen.
Der zweite Raum ist von dünnen Stangen bis zur Decke vergittert, ein Labyrinth, dessen Ausgang man erst suchen muss. Dabei reagieren Sensoren auf den Besucher, mit Lichtblitzen starten an manchen Stellen Kleist-Zitate zu Hören, sie dringen aus kleinen Lautsprechern, die in den schwarzen Gitterstangen der Rauminstallation versteckt sind. Die Zitate sollen knapp in zentrale Themen von Kleist Werk einführen: Zufall, Recht, Gewalt, Identität. Vertieft wird das Wort-Raum-Erlebnis bei Bedarf durch umfangreiches Text- und Bildmaterial auf einem iPad, das ebenfalls auf unsichtbare Sensoren im Raum reagiert.
Das alles ist ziemlich überraschend und ein klug durchdachter Versuch (der Kuratorin und der Gestalterinnen Jule Hass und Valentine Koppenhöfer), die Sprache Kleists in adäquaten Räumen intensiv erlebbar zu machen, ohne den Umweg über Bilder zu gehen. Danach folgt ein Parcours durch verschiedenfarbige Räume im Altbau mit relativ wenigen Exponaten zum Lebensweg Kleists, sämtlich Reproduktionen von Handschriften, Bildern, Dokumenten, auch eine nachgeschneiderte Uniform und eine nachgebaute Elektrisiermaschine ist zu sehen. Warum aber alle Fensterscheiben zugeklebt sind, wenn es keine zwingenden konservatorischen Gründe dafür gibt, bleibt absolut ein Rätsel. Kein Blick darf hinausschweifen aus der biografischen Ausstellung auf den Ausgangspunkt von Kleists Biografie.
Eine wandfüllende Karte zeigt die Reiserouten des unsteten Dichters, Dokumente dazu sind auf Glasschichten in Vitrinen übereinander geschichtet, die an Reisekoffer erinnern. Im vorletzten Raum über das Schriftstellerleben laufen die Besucher auf einen Blätterwald zu, Kleists Bücher und Zeitschriften schweben an dünnen Fäden zwischen den Konkurrenzprodukten des literarischen Marktes. Schließlich landet man - wie Kleist - in einer Sackgasse, einem kleinen Kabinett ohne Ausgang, eingeschlossen in ein Großfoto des Herbstwaldes am Kleinen Wannsee, wo er sich mit seiner Gefährtin Henriette Vogel das Leben nahm.
Gelungen ist die Übersetzung der Themen in Ausstellungsräume, doch die Streuung der Exponate und der Informationen, deren Ordnung und Bedeutung nicht auf den ersten Blick zu erfassen ist, stellt für Besucher, die wenig Kleist-Überblick haben, eine enorme Herausforderung dar. Ob sie sich als Dauerausstellung bewährt, das muss sich erst zeigen, hängt auch von der Findigkeit der Museumspädgogik ab. Sehenswert ist sie allemal. In dem Zwillingsensemble aus Alt- und Neubau (von Lehmann Architekten) ist nun erstmals genug Platz für die 34.000 Sammlungsstücke (im Keller und oben in der Bibliothek), für Sonderausstellungen (auf der Ebene der Dauerausstellung), für Veranstaltungen und die museumspädagogische Arbeit mit Kindern und Jugendlichen.
Die räumlichen Voraussetzungen sind jetzt gegeben, das Kleist-Museum zu einem Ort der Literaturvermittlung weiterzuentwickeln, der weit über Brandenburg hinaus strahlt. Bei der Eröffnung des Neubaus wurde bekannt gegeben, dass das Haus ab kommendes Jahr auf institutionelle Förderung aus dem Bundeshaushalt hoffen darf. Geplant ist die Gründung einer Stiftung, die den bisherigen Trägerverein ablösen soll.
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Lieber Herr Bienert, vielen Dank für Ihren Bericht, aber ich wollte doch zumindest in einer Sache noch etwas aufklären: In jedem der Altbauräume ist mindestens ein Originalexponat enthalten, sodaß wir aus konservatorischen Gründen gezwungen waren, nicht nur die Räume, sondern auch das nach Süden gerichtete Treppenhausfenster zu schließen. Wir haben lange damit gehadert, aber hatten schlußendlich keine Alternative, auch in finanzieller Hinsicht. Valentine Koppenhöfer
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