Was bisher geschah: In der STUTTGARTER ZEITUNG von heute lässt Michael Bienert den bisherigen Verlauf des Theatertreffens Revue passieren und resümiert den Stückemarkt, der am Montagabend mit einer Preisverleihung für ein neues Berlin-Stück endete. Die beste Inszenierungsidee hatten die Studenten der Berliner Schauspielschule Ernst Busch: Sie luden sich einfach selbst zum Theatertreffen ein. Um den Kulturpolitikern der Hauptstadt einzuheizen, übten sie am Eröffnungsabend vor dem Haus der Festspiele chorisches Sprechen. Denn wieder einmal drohte der seit 15 Jahren geplante Umzug ihrer Schule in angemessene Räumlichkeiten verschoben werden, so plante es die SPD-Fraktion im Berliner Landesparlament, die ihrem Regierenden Bürgermeister und Kultursenator Klaus Wowereit das Leben gerade richtig schwer macht.
Der Protestchor der Nachwuchsschauspieler im Abendsonnenschein entzückte die Theaterprominenz und die Fernsehteams vor dem Haus der Festspiele. Geistesgegenwärtig bat der neue Intendant Thomas Oberender einen der Studenten auf die Bühne, um noch vor dem Kulturstaatsminister zum Publikum zu sprechen. Die fantasievolle Occupy-Bewegung der Schauspielschüler erzeugte so viel öffentlichen Druck, dass die Lokalpolitiker vergangene Woche einlenkten: Die Busch-Schule bekommt ihren 33-Millionen-Neubau in Mitte, wenn auch nicht ganz so perfekt ausgestattet wie ursprünglich geplant.
Damit bewiesen die Studenten, dass theatralische Darbietungen sehr wohl konkrete politische Wirkung entfalten können. Genau danach sehnen sich viele Theatermacher, und daher flogen die Solidaritätsbekundungen den Schauspielschülern nur so zu - auch wenn sie letztlich bloß für ihre eigenen Interessen demonstrierten. Sie waren aber mit ihren Darbietungen zur rechten Zeit am richtigen Ort: Ist es womöglich das, was letztlich über die politische Wirksamkeit von Theater entscheidet, mehr als alle ästhetischen Finessen?
Nach dem Aufruhr vor dem Festspielhaus wirkte die Eröffnungsinszenierung fehl am Platz: Die drei Stücke 'Gesäubert', 'Gier' und '4.48 Psychose' von Sarah Kane, die sich 1999 mit nur 28 Jahren das Leben nahm, addieren sich in der Inszenierung von Johan Simons von den Münchner Kammerspielen zu einer lähmenden Depressionsspirale. Immer autistischer wird das Vor-sich-Hinsprechen der Schauspieler, immer enger die Welt, ohne das klarer würde warum und wozu.
Den umgekehrten Weg wählte der Regisseur Nicolas Stemann mit seinem achteinhalbstündigen 'Faust'-Marathon. Alles beginnt im Kopf eines Einzelnen auf leerer Riesenbühne, mit einem unvergesslichen einstündigen Solo des Schauspielers Sebastian Rudolph - und weitet sich im Mummenschanz des zweiten Teils zu einem Bilderbogen über Geldwirtschaft und Finanzkrise, zuletzt dann zur Tragödie eines blindgierigen Kolonisators und Naturbezwingers. Überzeugend kehrt die Inszenierung die Welthaltigkeit von Goethes Versen nach außen, bei aller Freiheit gegenüber der Vorlage. Leider kam sie wegen ihrer Überlänge nicht für die Eröffnungsabend infrage: Der Auftritt der Studenten, die Spruchbänder mit Goethe-Zitaten im Saal und das zeitkritische Bühnenspektakel hätten perfekt zueinandergepasst.
'Ein großes Chaos war auf der Erde, und Unheil wohnte in den Häusern. So beschlossen die Menschen zu graben und lebten mit den Steinen', tönt es aus Michel Decars aktuellem Großstadtstück 'Jonas Jagow'. Es mixt Sätze, die aus der Prosa der Frühexpressionisten oder frühen Brecht-Stücken geraubt sein könnten, mit Momentaufnahmen und Kalauern aus dem heutigen Berlin ('Der Döner zweier Herren'). Der Titelheld Jonas Jagow will die Hauptstadt in die Luft sprengen, aber zuletzt entpuppt sich der wilde Kerl als ganz lieber Weltverbesserer. Dieser bittersüße Berlin-Cocktail kam beim Stückemarkt des Theatertreffens prima an, dafür wurde der 25-jährige Autor mit dem Förderpreis für neue Dramatik ausgezeichnet.
Die beiden polnischen Autorinnen Julia Holewinska ('Fremde Körper) und Magdalena Fertacz ('Kalibans Tod') gingen mit politisch sehr viel bissigeren Stücken über eine Geschlechtsumwandlung in Polen oder eine Zurschaustellung von Flüchtlingselend im heutigen Kunstbetrieb leer aus. Die britische Autorin Pamela Carter, Jahrgang 1970, überzeugte mit einem fein gearbeiteten Stück über die Trennung und Wiedervereinigung zweier Familien, ausgelöst durch einen Seitensprung ('Skane'). Dafür bekam sie einen Werkvertrag für eine neues Stück. Wolframs Hölls minimalistischer Text 'Und dann' über Kinder in einer DDR-Plattenbausiedlung während der Wendejahre wirkte schon während der szenischen Präsentation eher wie ein Hörspiel, für diese Qualität wurde er dann auch vom Deutschlandradio ausgezeichnet, das ihn im kommenden Jahr senden wird.
Ein Novum beim Stückemarkt war das 'Projektlabor', für das sich 39 Theaterkollektive mit Ideen für neue Werke beworben hatten. Es sollte der Tatsache Rechnung tragen, dass immer mehr Aufführungen gar keinen Autor haben, sondern aus gemeinschaftlichem Prozessieren entstehen. Betreut von René Pollesch durfte ein ausgewähltes Kollektiv zwei Wochen lang an einem Stück arbeiten und anschließend das Resultat präsentieren.
Die Wahl fiel auf Markus Schäfer und Markus Wenzel, genannt 'Markus & Markus'. Ihre Idee: ein Auftritt als Außerirdische, die ihre Informationen über die Erdlinge nun vor Berliner Publikum verifizieren wollen. Der einzige Mehr- und Lehrwert der ungenießbaren Performance-Soße war aber die Erkenntnis, dass es vielleicht doch nicht so ganz dumm war, bis ins letzte Jahr ganz gezielt spezialisierte Theaterautoren zu fördern. Ein Theater, das keine professionellen Spezialisten mehr braucht, ist vielleicht der basisdemokratische Traum einiger Nerds und Netzpiraten. Auf dem Theatertreffen wirkt so etwas einfach nur peinlich.
Das Theatertreffen endet am Montag. Der Sender 3Sat strahlt am Samstag um 20.15 die Inszenierung 'Kill your Darlings! Streets of Berladelphia' von René Pollesch aus.
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