Stolz
verweist Ministerin Ilse Aigner auf 6000 Wald-Aktionen mit 1000 Partnern in
diesem Jahr. Das vom Kulturstaatsminister auskömmlich finanzierte Deutsche
Historische Museum bekam 50.000 Euro zusätzlich für eine krönende Ausstellung. Im
Kellergeschoss des Pei-Baus führt sie die Besucher auf einem windungsreichen
Pfad von Lichtung zu Lichtung durch einen Wald von etwa 400 Exponaten:
Alltagsdinge, Gemälde, Fotos, Karten, Plakate, Filmausschnitte. Fast alle
stammen aus der Lebenszeit eines einzigen Baums. Die Jahresringe einer 1710
gekeimten und im Jahr 2000 gefällten Esche führen gleich zu Beginn vor Augen,
dass Bäume uns Menschen in puncto Ausdauer wirklich baumhoch überlegen sind.
Und
was lässt sich nicht alles aus ihrem Holz machen: Kuckucksuhren und Räuchermännchen,
Stühle und Särge, Papier und sogar Computertastaturen. Diesseits aller Romantik
ist der deutsche Wald ein Wirtschaftsfaktor mit einem Gesamtumsatz von 172
Milliarden Euro pro Jahr. In der Forst- und Holzwirtschaft arbeiten deutlich mehr
Menschen als in der Autoindustrie. Systematische Waldbewirtschaftung und
Forstwissenschaft entstanden im 18. Jahrhundert, als der Rohstoff Holz in
Deutschland schon mal knapp zu werden begann. Gezwungenermaßen mussten die privaten
und staatlichen Eigentümer zu nachhaltigem Wirtschaften übergehen. Durch Aufforstung
und Schonung der Bestände stellten sie eine neue ökologische Balance her.
Um
1800 war der Wald in Deutschland ein Pflegefall und Objekt rationaler
Zukunftsplanung geworden, gleichzeitig aber breitete sich die Vorstellung aus,
er sei ein urtümlicher, unberührter Lebensraum jenseits der modernen
Zivilisation. Der Dichter Ludwig Tieck erfand 1797 die romantische „Waldeinsamkeit“,
in seinem Gefolge besang Joseph von Eichendorff die rauschenden deutschen
Wälder: „O Täler weit, o Höhen, / O schöner grüner Wald / Du meiner Lust und
Wehen / Andächtger Aufenthalt!“ Maler wie Caspar David Friedrich und Carl
Blechen, Komponisten wie Carl Maria von Weber und Felix Mendelssohn-Bartholdy adaptierten
diese Motivik. Politisch aufgeladen wurde sie während der Herrschaft Napoleons
über Mitteleuropa. Plötzlich
erinnerten sich die Deutschen an Tacitus´ Bericht vom Sieg der Germanen
über die römischen Eroberer in unwegsamen Urwäldern. Seit den Kriegen gegen Napoleon galt der Wald als Urquell
deutscher Kraft und kriegerischer Überlegenheit.
Der
Wald wurde so zu einem Pfeiler nationaler Identität. Bis heute schmückt ein
Eichenblatt deutsche Centmünzen, als Nationalsymbol gleichrangig mit
Bundesadler und Brandenburger Tor. Die Weimarer Republik plante, zu Ehren der
Toten des Ersten Weltkrieges ein Reichsehrenmal in Gestalt eines Waldes mit
einer Million Eichen zu pflanzen. „Juden sind in unseren deutschen Wäldern
nicht erwünscht!“, verkündeten in der Nazizeit große Schilder vor Naherholungsgebieten.
Ein Biologie-Lehrbuch von 1938 demonstriert die Verschmelzung von Rassetheorie
und Forstwissenschaft: Am Beispiel des deutschen Waldes sollte die Jugend
lernen, dass es in einer „geordneten Lebensgemeinschaft“ naturgemäß
„herrschende“, „beherrschte“ und „Mittelschichten“ gebe; und dass jede
„Baumrasse“ sich nur in ihrem „angeborenen Lebensraum“ zu wahrer Stärke
entfalten könne. Zu selben Zeit rodeten KZ-Häftlinge Wälder für den Lagerbau
und schufteten in unter Bäumen gut versteckten Rüstungsfabriken.
Nach
dem Krieg restaurierten Heimatfilme die Vorstellung vom Wald als Heile-Welt-Idyll.
Als Gegenpol zeigt die Ausstellung Ausschnitte aus Fernsehkrimis, in denen der
Wald bis heute vielfach als Tatort dunkler Triebe herhalten muss.
Politisch-ideologisch ist der deutsche Wald inzwischen fest in der Hand von
Umweltschützern und Ökobewegung. Die politische Linke hat das Erbe der
deutschen Romantik angetreten, beflügelt durch Vordenker wie Joseph Beuys, der
7000 Eichen in Kassel pflanzen ließ, denn: „Die Bäume sind nicht wichtig, um
dieses Leben auf der Erde aufrecht zu erhalten, nein, die Bäume sind wichtig,
um die menschliche Seele zu retten.“
Nicht
zuletzt die medial geschürte Angst vor einem großen Waldsterben in den
Achtzigern hat radikale Öko-Ideen in der Bevölkerung mehrheitsfähig gemacht. Wer
den liebsten Sehnsuchtsort der Deutschen verteidigt, kann auf breites Verständnis
quer durch alle Schichten rechnen. Deswegen ist der Kampf um die Deutungshoheit
über den deutschen Wald gewiss noch nicht beendet!
Erstdruck: STUTTGARTER ZEITUNG vom 7. 12. 2011.
Erstdruck: STUTTGARTER ZEITUNG vom 7. 12. 2011.
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