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Montag, 21. November 2011

Der Stein der Weisen

Sogar an das Weihnachtsgeschenk für Ihren Gatten hat Henriette Vogel noch gedacht. „Der bekannte Kleist und ich befinden uns hier bei Stimmigs auf dem Wege nach Potsdam, in einem sehr unbeholfenen Zustande, indem wir erschossen daliegen“, schrieb sie am 21. November 1811 dem gemeinsamen Bekannten Ernst Friedrich Peguilhen nach Berlin. Sie beauftragte ihn, für den Ehemann eine Porzellantasse mit ihren Namen in Auftrag zu geben und sie ihm am Heiligen Abend zuzuschicken.
Kleist bat im selben Schreiben, seinen Barbier für den Rest des Monats zu bezahlen, das habe er leider bei den Vorbereitungen für seinen Selbstmord vergessen. Die Todesgefährtin Henriette hatte auch einen Auftrag für ihren Ehemann: Er sollte einer gemeinsamen Freundin „unsere kleine messingene Kaffeemaschine“ zustellen. Sie muss es geahnt haben: Ein halbes Jahr später heiratete der Witwer die neue Besitzerin des guten Stücks.
Der Doppelselbstmord, den Kleist und seine Seelenfreundin heute vor 200 Jahren inszenierten, war nicht nur ein tragisch, sondern hatte auch seine grotesken und burlesken Seiten. An ungemütlichen Novembertagen wie diesen spürt man, wie wenig sich die Jahreszeit für ein gemütliches Kaffeetrinken im Freien eignete, das die beiden Lebensmüden zelebrierten, ehe sie sich umbrachten. Erst schoss Kleist seine Freundin in die Brust, dann sich selbst in den Kopf. Kleist dankte seinem Schöpfer für diesen „herrlichsten und wollüstigsten aller Tode.“
Heute um die Mittagszeit wird sich die Kleist-Gemeinde zu einer Gedenkstunde am verbürgten Schauplatz versammeln. Der Schauspieler Ulrich Matthes wird Texte von Kleist lesen, dann zieht die Prozession in die beheizte Villa des Literarischen Colloquiums zur Abschlussfeier des Kleistjahres. Mit der Grundsteinlegung für ein stark erweitertes Kleist-Museum in der Geburtsstadt Frankfurt/Oder startete das Veranstaltungsfeuerwerk im März, mit der Einweihung der renovierten Sterbestätte kommt es nun zu einem guten Abschluss. Beides Projekte, die durch das Kleistjahr realisierbar wurden, in ihrer Wirkung aber in die Zukunft reichen.
Dass die Umgestaltung der Sterbe- und Grabstätte rechtzeitig gelingen würde, war keineswegs sicher. Günter Blamberger, Präsident der Kleist-Gesellschaft, hatte vor etwa zwei Jahren die Kulturstiftung des Bundes überzeugt, ein ganz neues Denkmal zu finanzieren. Er wollte den Stein des Anstoßes (Foto oben) loswerden, der seit der Nazizeit auf Kleist Grab lastet: ein Granitblock mit falschem Geburtsdatum und der pathetischen Inschrift „Nun, o Unsterblichkeit, bist du ganz mein.“ Doch viele Mitglieder der Kleist-Gesellschaft wollten vom Gewohnten nicht lassen. Aufgestört durch hämische Zeitungsberichte zog eine Mäzenatin die Initiative an sich: Die Verlegerwitwe Ruth Cornelsen stellte dem Berliner Senat 500.000 Euro für eine termingerechte Sanierung der vorhandenen Gedenkstätte in Aussicht. Zum Dank bekam sie Schmäh- und Drohbriefe.
Die Berliner Gartendenkmalpflege nutzte die einmalige Gelegenheit, weiträumig um das Grab den Wildwuchs zu beseitigen und den Charakter einer Landschaft mit weiten Blickachsen wiederherzustellen. Dafür legte der Berliner Senat außerplanmäßig weitere 425.000 Euro drauf, o Wunder: Soviel steht für die gesamte Gartendenkmalpflege in der Hauptstadt sonst in einem ganzen Jahr zur Verfügung. Das Kleistvirus hat auch die Berliner Kultur- und Bauverwaltung infiziert und angespornt. Um einen schöneren Zugang zum Grab zu schaffen, trotzte sie den Anliegern in zähen Verhandlungen Wegerechte ab. Nur ein Ruderverein sträubt sich bisher noch, die Kleistjünger über sein Grundstück pilgern zu lassen. So wird die neu angelegte, mit ausführlichen Informationstafeln versehene Promenade zu Kleists Sterbestelle erst in Zukunft ihre Reize vollkommen entfalten können.
Ein echter Coup ist die Verwandlung des umstrittenen Grabsteins aus der Nazizeit. Er wurde um 180 Grad gedreht, so dass die bisherige Inschrift auf die Rückseite wanderte. Auf der neuen Vorderseite war Platz für eine berichtigte Inschrift. Nicht nur Kleist Geburtsdatum wurde korrigiert, sondern auch Henriette Vogels Name ergänzt und einige Verse des jüdischen Dichters Max Ring. Sie standen auf einem älteren Grabstein für Kleist, den die Nazis abräumten. Mit dieser weisen Lösung sollten nun wirklich alle zufrieden sein. Erschienen in der STUTTGARTER ZEITUNG vom 21. 11. 2011.

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