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Dienstag, 24. Februar 2015

Streitfall Welfenschatz: US-Anwälte erheben Klage gegen Deutschland

Von Michael Bienert - Sie gehören zum Wertvollsten, was die Staatlichen Museen in Berlin besitzen: Vergoldete, mit Edelsteinen besetzte Reliquiare und Tragaltare aus dem Mittelalter, einst Kultgegenstände aus dem Schatz der Braunschweiger Kirche St. Blasius, heute als Welfenschatz berühmt. Er gilt als Highlight im Berliner Kunstgewerbemuseum, vergleichbar mit der Nofretete oder dem Pergamonaltar auf der Museumsinsel. 
Doch seit 2008 sieht sich die Stiftung Preußische Kulturbesitz mit Forderungen von Anwälten konfrontiert, diesen einmaligen  Besitz herauszugeben. Im Namen der Nachkommen jüdischer Kunsthändler erheben sie den Vorwurf,  es handle sich um Kulturgut, das der preußische Staat 1935 unrechtmäßig erworben habe.
Der Anschein spricht für die Berechtigung solcher Forderungen: Die Firmen und Personen, mit denen die Dresdner Bank im Staatsauftrag verhandelte, waren im Dritten Reich rassisch verfolgt. Sie machten bei dem Geschäft einen Verlust, gemessen an den rund 8 Millionen Reichsmark, für die 1929 ein Konsortium jüdischer Firmen und Geldgeber den Kirchenschatz dem Welfenhaus abgekauft hatte. Wie sollten sie dem NS-Staat als Alleininteressenten einen fairen Preis abgehandelt haben?
Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz ist in Beweisnot. Wenn sie die Rückgabeforderungen abweisen und den Schatz weiter für die Öffentlichkeit zugänglich halten will, muss sie den Verdacht des unrechtmäßigen Erwerbs widerlegen. Nach der „Washingtoner Erklärung“, die seit 1998 die Rückgabe von NS-Raubgut regelt, liegt die Beweislast beim heutigen Eigentümer. 
Der Fall ist kompliziert, weil der Welfenschatz nicht eindeutig jüdisches Privateigentum war, das die Besitzer gern behalten hätten. Er war seit 1929 ein Spekulationsobjekt des Kunstmarktes. 
Kurz vor Ausbruch der Weltwirtschaftkrise erwarb ein Händlerkonsortium die mittelalterlichen Kultobjekte allein zu dem Zweck, sie gewinnbringend weiterzuverkaufen. Die Händler veranstalteten Verkaufsausstellungen in Deutschland und den USA, konnten aber nur für 40 der insgesamt 82 Stücke Käufer finden. Der Erlös von etwa 2,5 Millionen Reichsmark deckte kaum ihre Unkosten. Als die Nazis an die Macht kamen, standen einige der Beteiligten bereits vor dem Konkurs. Dass die Verfolgung der jüdischen Geschäftsleute nach 1933 ihre Situation weiter verschlechterte, bestreitet niemand, auch die Preußenstiftung nicht. Doch sie argumentiert, dies sei nicht ursächlich für den Verkaufspreis von 4,25 Millionen Reichsmark, zu dem die verbliebenen 42 Stücke 1935 an den preußischen Staat abgegeben wurden.
Der Verhandlungsführer Saemy Rosenberg hatte sich aus Nazideutschland in die Niederlande gerettet, auch der Welfenschatz lagerte vor dem Zugriff der deutschen Behörden geschützt im Ausland. Zwei Jahre wurde hart gefeilscht, ehe der Deal perfekt war. Um Devisenbestimmungen zu umgehen, wurde Rosenberg sogar zugestanden, 20 Werke aus den Berliner Museen im Wert von etwa 800.000 Reichsmark auszuwählen und zu verkaufen. Solche Details und viele mittlerweile aufgefundene Dokumente stützen die Argumentationslinie der Stiftung, der erzielte Kaufpreis sei keineswegs sittenwidrig gewesen und tatsächlich bei den Verkäufern angekommen. Auch nichtjüdische Verkäufer hätten in dieser Zeit keinen höheren Preis erzielt. Demnach stellt sich der ganze Fall heute so dar: Das jüdische Käuferkonsortium hatte sich mit dem Erwerb des Welfenschatzes verzockt und finanziell übernommen, es kam aber mit einem blauen Auge davon, weil der preußische Staat eine exorbitante Summe locker machte, um das mittelalterliche Kulturgut heim ins Reich zu holen.
Nach Angaben des israelischen Nachrichtportals Ynetnews taxieren die Anwälte, die lediglich einen Teil der Erbberechtigten vertreten, den heutigen Geldwert des Welfenschatzes auf 133 bis 400 Millionen Euro. Die Reprivatisierung der mittelalterlichen Kunstschätze qua Restitutionsverfahren verspräche ein extrem lukratives Geschäft  - vor allem für die beteiligten Anwälte und den Kunsthandel.
Im vergangenen Jahr hatte eine Schiedskommission unter Leitung der früheren Bundesverfassungsgerichtspräsidentin Jutta Limbach die Rechtsauffassung der Stiftung Preußischer Kulturbesitz bestätigt: Der Welfenschatz habe 1935 zu einem fairen Preis den Besitzer gewechselt, es handle sich also nicht um NS-Raubkunst. Damit galt der Fall als abgeschlossen, denn beide Streitparteien hatten sich darauf verständigt, das Urteul der Limbach-Kommission zu akzeptieren.
Heute wurde bekannt, dass Bostoner Anwalt Nicholas M. O'Donnell beim Bundesgericht in Washington D.C. eine Klage gegen die Bundesregierung und die Stiftung Preußischer Kulturbesitz auf Rückgabe des Welfenschatzes eingereicht habe. Die Goldreliquien seien 1935 unter dem Druck der Nazis verkauft worden, sie stünden deshalb den Erben der damaligen Besitzer zu, erklärte der Anwalt gegenüber der Deutschen Presse-Agentur. Stiftungspräsident Parzinger reagierte überrascht: "Mich verwundert dieser überraschende Schritt. Es war der ausdrückliche Wunsch der Antragsteller, den Fall gemäß den Washington Principles zu behandeln und der Beratenden Kommission unter Leitung von Jutta Lim-bach vorzulegen. Diesem Wunsch hat sich die SPK vorbehaltlos gestellt und immer deutlich gemacht, jede Empfehlung der Kommission zu akzeptieren. Auch von den Antragstellern ist die hohe Reputation der Beratenden Kommission immer wieder betont worden. Insofern befremdet, wenn die Antragsteller nun doch vor ein Gericht ziehen, nachdem die Kommission im März letzten Jahres in einer umfangreich begründeten Empfehlung die Position der SPK für uneingeschränkt richtig erachtet hat. Der Anwalt der Antragsteller hatte mir gegenüber erklärt, auch seine Mandanten würden die Empfehlung der Beratenden Kommission akzeptieren. Es ist mir nicht bekannt, dass neue Fakten vorliegen, die eine andere Einschätzung des Falles ergeben würden. Die SPK wird sich auch dieser erneuten Auseinandersetzung stellen. Ich gehe davon aus, dass die Ergebnisse unserer jahrelangen wissenschaftlichen Provenienzrecherchen auch ein Gericht in den Vereinigten Staaten überzeugen werden. Ob der District Court in Washington D.C. sich überhaupt für zuständig hält, wird sich zeigen."

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