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Montag, 22. November 2010

Im Theater (13): Schimmelpfennig und Inflationsgeld

Peggy Pickit sieht das Gesicht Gottes am Deutschen Theater handelt vom Gefälle der Lebenschancen zwischen reichen und armen Ländern - und wie wir Wohlgenährten damit umgehen. Frank Castorf versucht mit Walter Mehrings Der Kaufmann von Berlin den alten Kampfgeist der Volksbühne wiederzubeleben - und scheitert jämmerlich. Den aktuellen Bericht über ein Premierenwochenende in Berlin lesen Sie hier.

So haben Bücher keine Zukunft

Zwei Büchersammler unterhalten sich über ihr liebstes Laster: Das könnte reichlich amüsant sein, zumal die beiden Umberto Eco und Jean-Claude Carrière heißen, der eine Romancier, Semiotiker und Kulturkritiker von Weltruf, der andere gesuchter Drehbuchpartner von Filmregisseuren wie Bunuel, Godard, Schlöndorff oder Wajda. Auf einer Bühne oder im Fernsehen wäre hübsch anzusehen, wie die alten Herren sich die Stichworte zuwerfen, um über antike Schriftrollen, brennende Bibliotheken oder ihre Erfahrungen mit dem Internet zu räsonieren. Doch leider ist aus dem Dialog ein Buch geworden, auf dem in bestsellerverdächtiger Größe der Name ECO prangt und das schon im Titel Die große Zukunft des Buches verheißt. Lesen Sie die vollständige Kritik hier.

Dienstag, 16. November 2010

Kolonialpolitik

Was soll man da meckern? Trotz Sparmaßnahmen in fast allen Ministerien wird Kulturstaatsminister Bernd Neumann (CDU) im kommenden Jahr mehr Geld zur Verfügung haben, sein Etat steigt um 2,4 Prozent, das sind 27 Millionen Euro mehr, vor allem für den Denkmalschutz. Aber auch die Kulturstiftung des Bundes profitiert von den Beschlüssen des Haushaltsausschusses des Bundestages, der vergangene Woche tagte. Das war nicht unbedingt zu erwarten, der positive Bescheid spricht für den Kulturverstand der Abgeordneten.
Sie haben auch dem Goethe-Institut ihr Vertrauen ausgesprochen, indem sie die Sparvorschläge des Auswärtigen Amtes neutralisierten: Zwar akzeptierten die Parlamentarier eine Budgetkürzung um 8 Millionen, bewilligten aber dem Goethe-Institut dieselbe Summe zusätzlich für die Förderung der deutschen Sprache im Ausland. Ein Kompromiss, bei dem niemand sein Gesicht verliert.
Warum allerdings das Berliner Haus der Kulturen der Welt eine 20-prozentige Kürzung seiner Förderung durch das Auswärtige Amt hinnehmen muss, bleibt ein Rätsel. Seit 1989 bietet es den außereuropäischen Kulturen in der Hauptstadt eine Plattform. Es signalisiert weltweit, dass Deutschland nicht nur eine kulturelle Exportnation sein will, sondern auch auf die Welt neugierig ist.
Wie wenig man hierzulande von fremden Kulturen immer noch weiß, zeigen viele unsägliche Wortmeldungen in der aktuellen Integrationsdebatte. Um den internationalen Kulturdialog zu fördern, will der Bund in den kommenden Jahren 552 Millionen Euro für ein Humboldt-Forum am Berliner Schlossplatz ausgeben. Es ist total absurd, nun das Haus der Kulturen zu schröpfen, das hier und jetzt leistet, was das Humboldt-Forum eines fernen Tages einmal leisten soll.
Vom Ausland gesehen sieht das nach Kolonialpolitik aus: Die Deutschen nehmen den Export ihrer eigenen Sprache wichtiger als die Begegnung mit fremden Kulturen im eigenen Land. Ohne Not setzt das Auswärtige Amt ein völlig verkehrtes kulturpolitisches Signal.
Kulturpolitischer Kommentar, erschienen in der STUTTGARTER ZEITUNG vom 16. November 2010.

Montag, 15. November 2010

Führungskräfte

Hat der Bundesrat, ein Verfassungsorgan, Besucher jahrelang rechtswidrig von Scheinselbständigen durchs Haus führen lassen? Diese Frage wird heute vor dem Landessozialgericht in Potsdam in zweiter Instanz erörtert. Die Deutsche Rentenversicherung hatte festgestellt, dass freie Mitarbeiter im Besucherdienst wie abhängig Beschäftigte eingesetzt wurden und deshalb die Nachzahlung von Sozialversicherungsbeiträgen gefordert. Dagegen klagte der Bundesrat und verlor. Statt das gut begründete Urteil vom Juni 2009 (Az. S 36 KR 2382/07) zu akzeptieren und Ruhe einkehren zu lassen, legte der Bundesrat Berufung ein (Az. L 1 KR 206/09). Er gibt damit ein schlechtes Beispiel ab, etwa für das Jüdische Museum in Berlin. Dort sieht man sich ebenfalls mit Nachforderungen der Rentenkasse konfrontiert, nachdem eine langjährige Honorarmitarbeiterin ihre Führungstätigkeit im Museum überprüfen ließ. Eine andere Kollegin versucht vor dem Arbeitsgericht, ihre zehnjährige Arbeit im Museum nachträglich als festes Beschäftigungsverhältnis anerkennen zu lassen. Pikanterweise kündigte die Museumleitung den beiden engagierten Frauen die Zusammenarbeit Ende letzten Jahres, nachdem es zu einem Aufstand von Honorarmitarbeitern gegen ihre Behandlung gekommen war. So etwas mag in der freien Wirtschaft gang und gäbe sein; doch Verfassungsorgane und Kulturinstitute des Bundes haben eine Vorbildfunktion. Auch wenn es nur um Führungskräfte am untersten Ende der Hierarchie geht. - Erschienen in der STUTTGARTER ZEITUNG vom 15. November 2010. Mehr Kolumnen aus der Kulturrepublik finden Sie hier.

Donnerstag, 11. November 2010

Literaturhäuser in Deutschland

So schnell hat selten ein Auftraggeber ein Honorar überwiesen wie die Onlineredaktion des Goethe-Instituts für die Aktualisierung eines Textes über Literaturhäuser in Deutschland. Das freut die Buchhaltung unserer Textfabrik. Außerdem kann man sich auf goethe.de den Text vorlesen lassen und eine englische Übersetzung gibt es auch. Toller Service für Leute auf der ganzen Welt, die sich darüber informieren wollen, was in Deutschland so los ist.

Montag, 8. November 2010

Schön bunt hier

Die Internetrecherche zum Stichwort „Bunte Republik" führt zu einem flotten Musikvideo, in dem Knetmännchen blitzschnell ihr Aussehen wechseln. Aus einem gelbhäutigen Asiaten wird ein rothaariger Irokese, aus einem Eskimo ein Afrikaner, aus einem Sumo-Ringer ein Torero. „Wir stehn am Bahnsteig und begrüßen jeden Zug, / denn graue deutsche Mäuse, die haben wir schon genug", nölt dazu Udo Lindenberg auf dem Titelsong seines Albums Bunte Republik Deutschland. Die Platte - rechts das Cover - erschien 1989, wenige Wochen vor dem Fall der Berliner Mauer. Kannte Bundespräsident Christian Wulff das Lied, als er seine Antrittsrede vor dem Bundestag mit dem Bonmot schmückte, die Bundesrepublik sei längst eine liebenswürdige „bunte Republik Deutschland"? Seither geht es hierzulande total bunt durcheinander. Grüne verteidigen den ungeliebten Wulff gegen die CSU, und der Sozialdemokrat Thilo Sarrazin zieht als Lautsprecher der Ewiggestrigen durchs Land. Nur auf Udo Lindenberg ist Verlass: Heute Abend will er in Neuhardenberg, unweit der polnischen Grenze, bei einem Sonderkonzert zur Erinnerung an den Mauerfall die „Bunte Republik Deutschland" proklamieren. Der Bundespräsident hat die Einladung zu dem fröhlichen Staatsakt angenommen. - Weitere Kolumnen aus der Kulturrepublik finden Sie hier.

Donnerstag, 4. November 2010

Der lange Atem

Hier freuen sich die drei Preisträger über die Auszeichnung Der lange Atem, die gestern abend im RADIALSYSTEM V verliehen wurde. Vergeben wird sie vom Journalistenverband Berlin-Brandenburg (JVBB) an Kollegen für, die "Mut, Sorgfalt, Beharrlichkeit" in der täglichen Arbeit bewiesen haben. Diese Tugenden sollten eigentlich selbstverständlich sein, bleiben aber im Alltag oft auf der Strecke, sind sogar oft unerwünscht. Druck wird auf Journalisten nicht allein durch Wirtschaftsunternehmen ausgeübt, die eine kritische Berichterstattung zu fürchten haben. Preisträger Harald Schumann (links) vom Tagesspiegel beklagte, dass es um die Pressefreiheit innerhalb der Redaktionen vielfach nicht gut bestellt sei. Für seine langjährigen Recherchen zu den Risiken unkontrollierter Finanzmärkte erhielt er den 1. Preis. Dorothea Jung (Mitte) vom Deutschlandradio produziert sein Jahren einfühlsame und aufklärende Radioberichte über Muslime und Islamisten. Ingo Bach (rechts) wurde für die von ihm für den Tagesspiegel konzipierten Wegweiser durch die medizinische Infrakstruktur ausgezeichnet.

Montag, 1. November 2010

Im Theater (12): Im Dickicht der Städte

Die Staubschicht auf dem Berliner Ensemble wird immer dicker. Nun darf dort auch Katharina Thalbach inszenieren, die 1969 blutjung als Hure Betty in der "Dreigroschenoper" am Berliner Ensemble debütierte. Brechts Witwe Helene Weigels erkannte damals das Talent des Eigengewächses: Sowohl die Mutter Sabine Thalbach als auch der Vater Benno Besson arbeiteten zu Brechts Zeiten am Haus. Es ist eine hübsche Fußnote der Theatergeschichte, dass Thalbach nun vom amtierenden Intendanten Claus Peymann den Auftrag erhielt, Brechts Frühwerk "Im Dickicht der Städte" zur Aufführung zu bringen. Der knallbunte Abend mit allerlei putzigen V-Effekten (Leuchtschriftbänder über der Bühne, horizontal zerschnittenen Brechtgardinen als Projektionsfläche für Videobilder, sowie Latexmasken für die Schauspieler, die ein Laufband auf die Bühne befördert) sollte wohl eine leichte und witzige Hommage an das Brecht-Theater werden. Gustav Peter Wöhler als Shlink und Sabin Tambrea als Garga geben sich redlich Mühe, den "Kampf zweier Männer in der Riesenstadt Chicago" auszufechten. Doch der Abend ermüdet alsbald, weil völlig unklar bleibt, wozu das ganze Spektakel heutzutage gut sein soll - außer zur Beglückung von Touristen, die am Berliner Ensemble Brecht sehen wollen, inszeniert von einer namhaften Regisseurin, die das Brecht-Theater buchstäblich mit der Muttermilch aufgesogen hat.