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Donnerstag, 28. Oktober 2010

Die teuflische Fantasie der Securitate

Noch bis 21. November ist die Ausstellung Herta Müller - Der kalte Schmuck des Lebens im Literaturhaus Berlin zu sehen. Dann wandert sie weiter nach Stuttgart und Lübeck. Für das literaturblatt berichtet Michael Bienert ausführlich über die Entstehung dieser außergewöhnlichen Literaturausstellung, für die die Nobelpreisträgerin viele private Dokumente zur Verfügung gestellt hat. Zu den kuriosesten gehört ihr rumänischer Reisepass, in den die rumänischen Behörden das Datum des 29. Februar 1987 stempelten, als die Autorin in die Bundesrepublik übersiedelte - ein Datum, das es gar nicht gab, denn 1987 war kein Schaltjahr. Mehr über diese und andere Schikanen lesen Sie im Beitrag Die teuflische Fantasie der Securitate.

Phantomschmerz in Mitte

Mit der Ausstellung Berlins vergessene Mitte hat das Stadtmuseum einen Nerv getroffen. Sie weckt den Phantomschmerz einer Metropole, die ihre vormodernen, bis ins Mittelalter zurück reichenden Wurzeln zum Verschwinden gebracht hat. Die historischen Fotos der Ausstellung zeigen ein versunkenes Berlin, das nicht so sehr durch den Bombenhagel verloren ging, sondern vorher und nachher planmäßig beseitigt wurde, um Platz für moderne Stadtkonzeptionen zu schaffen. Die kleinteilige Altstadt ist verloren, wie wenig sie durch Rekonstruktion oder Sanierung wiederherstellbar ist, zeigen das Nikolaiviertel und die Spandauer Vorstadt. Virulent bleibt die Frage nach der Aufenthaltsqualität öffentlicher Räume in der Stadtmitte. Eine weitere Fotoausstellung im Ephraim-Palais nimmt sie auf: Sie stellt Berlin-Bilder gegenüber, die im Abstand von 20 bis 30 Jahren aufgenommen wurden, vor dem Mauerfall und in diesem Jahr. Die Fotografin Barbara Metselaar Berthold hat damals und heute festgehalten, wovon sie sich angeschaut fühlte: Ruinen und Reklamen, Arbeiter und Arbeitslose, spielende Kinder und Touristen, die sich vor Mauerresten fotografieren. Auf den aktuellen Digitalfotos in Farbe sieht Berlin nicht aufgeräumter und fröhlicher aus als auf den Schwarz-Weiß-Fotos aus der geteilten Stadt. Ein substantieller Fortschritt in der Stadtentwicklung ist darauf nicht zu erkennen. - Zur Ausstellung "Berlins versunkene Mitte" ist ein Katalog erschienen, zu Barbara Metselaar Bertholds "Vexierbildern" eine Werkmonografie im Lukas Verlag: Albatros. Vom Abheben. Fotografien 1971-2010.

Montag, 25. Oktober 2010

Das letzte Tabu

Ein verliebter Bankangestellter unterschlägt eine hübsche Summe Geldes und versucht in der Großstadt ein neues Leben anzufangen. Diese Geschichte wollte Volker Lösch vor Weihnachten an der Berliner Schaubühne mit einem Laiensprechchor aus Finanzsachverständigen inszenieren. Letzte Woche musste er die Premiere von Georg Kaisers Stück „Von morgens bis mitternachts" jedoch absagen. „Es haben sich leider nicht genügend Leute gefunden, die über das Leben im Bankgeschäft berichten können, dürfen und wollen", erklärte der Regisseur. Aus Scham? Aus Desinteresse am Theater? Oder aus Angst, nie wieder einen Job zu finden, wenn sie öffentlich ausplaudern, was sie erlebt haben? Andere Branchen geben sich nicht so zugeknöpft. Deshalb wird Lösch nun ersatzweise „Lulu" von Wedekind auf die Bühne bringen: Einen Chor vom Sexarbeiterinnen zu rekrutieren, die offen über ihren Berufsalltag reden, ist hierzulande einfacher, als Banker öffentlich zum Sprechen zu bringen. - Weitere Kulturrepublik-Kolumnen finden Sie hier.

ringbahn.com

Eine Stunde Stadt ist ein Buch, das man bequem in der Berliner Ringbahn lesen kann: Von S-Bahn-Station zu S-Bahn-Station erzählt es Stadtgeschichte und wirft einen Blick auf den aktuellen Alltag der Stadtquartiere. Wer lieber mit dem Laptop auf den Knien reist, findet jetzt im Internet ein vergleichbares Angebot: Das Center for Metropolitan Studies (CMS) hat eine elegant strukturierte und sehr inhaltsreiche Website zur Berliner Ringbahn ins Netz gestellt, mit einem Stationenplan zum Anklicken, Karten zum (architektonischen und kulturhistorischen) Umfeld der S-Bahnhöfe, pointierten Kurzinformationen und längeren Texten, außerdem vielen Bildern. Geradezu ein Modell dafür, wie ein Internet-Reiseführer zu einem speziellen Thema gestaltet sein kann. Und außerdem auch ein schöner Qualifikationsnachweis für die an dem Projekt beteiligten TU-Studenten des Studiengangs "MA Historische Urbanistik". Geleitet hat das Projekt die TU-Professorin Dagmar Thorau. Hut ab!

Mittwoch, 20. Oktober 2010

Freizeitkapitäne

Erwin Teufel mit Gattin im Ruderboot auf dem Bodensee, Rainer Brüderle wandernd im Weinberg, Kurt Beck strampelnd auf dem Fahrrad und Frank-Walter Steinmeier als Gipfelstürmer im Gebirge: Ein Bildband mit Urlaubsfotos deutscher Politiker, das fehlte gerade noch! Der Herausgeber Markus Caspers, Professor für Gestaltung und Medien in Neu-Ulm, hat indes das Beste daraus gemacht. Kein Hochglanzalbum, sondern einen kritischen Streifzug durch ein bisher kaum erforschtes Randgebiet der politischen Ikonografie. Politprofis wissen genau, dass Fotos aus ihrem Privatleben über ihre Zukunft entscheiden können. Verteidigungsminister Rudolf Scharping stürzte über Badefotos mit seiner Geliebten, deren Veröffentlichung in der „Bunten“ eigentlich den Zweck hatte, sein Image als hölzerner Langweiler aufzupolieren. Familie Kohl posierte jedes Jahr mit einem anderen niedlichen Tier. Neben dem Wandern, Klettern und Baden scheint das Segeln die Lieblingsbeschäftigung deutscher Politiker zu sein. Denn wer als Freizeitkapitän nicht kentert, so die Botschaft an die Wähler, wird auch das Staatsschiff souverän durch alle Stürme steuern. Markus Caspers (Hg.): Bin baden! Deutsche Politiker im Urlaub. Fackelträger Verlag 2010, 128 Seiten, 12,95 Euro - Mehr Kolumnen von Michael Bienert über die Kulturrepublik finden Sie hier.

Mittwoch, 13. Oktober 2010

Ein Forum für Chamisso

Der Dichter, Weltreisende und Naturforscher Adelbert von Chamisso (1781-1838) war seiner Zeit in vielem voraus, deshalb war es überfällig, eine literarische Gesellschaft ins Leben zu rufen, die nicht nur sein Andenken pflegen, sondern auch zukunftsweisende Projekte fördern will. Um die Kommunikation unter den weltweit verstreuten Chamisso-Freunden zu erleichtern, haben wir ein Forum auf blogger.com für sie eingerichtet. Mehr

Zu Monet nach Paris

Ihr Sonnenschirm ist weiß wie ihr bodenlanges Kleid. Sie flaniert durch den Garten, ein Tupfenmeer aus weißen Rosen und roten Blüten, aus schattigem und lichtem Grün. Wo immer die junge Dame in der Pariser Métro auf Plakatwänden auftaucht, verbreitet sie für einen Moment elegische Sommerstimmung in der Hektik des Alltags. Das wenig bekannte, meisterhafte Werk des erst 25-jährigen Claude Monet aus der Eremitage Sankt Petersburg haben die Kuratoren als Blickfang für ihre Ausstellung auserkoren. Denn diese erste große Retrospektive seit 30 Jahren zeigt nicht nur die üblichen Verdächtigen aus den Pariser Sammlungen, sondern über 100 kostbare Leihgaben aus aller Welt. Elke Linda Buchholz war in Paris und hat sich die große Monet-Schau angesehen. Wegen der Streiks in Frankreich dauerte ihr Aufenthalt etwas länger als geplant. Heute ist ihr Bericht im Tagesspiegel zu lesen. - Wer nicht so weit reisen kann oder will, dem sei die Impressionisten-Ausstellung im Essener Folkwang-Museum empfohlen, für den Elke Linda Buchholz den Audioguide geschrieben hat.

Frauen schauen Dich an

Gefasst blickt sie aus dem Gemälde, die Erschütterung hat ihr weiches Gesicht durchsichtig gemacht. Die große Liebe des Preußenkönigs Friedrich Wilhelm II., die Musikertochter Wilhelmine Encke, malte Anton Graff im schwarzen Trauerkleid, kurz nach dem Tod des Sohnes Alexander von der Mark. Das Bild lässt sich als Aufforderung der Mätresse an den wankelmütigen König lesen, sie jetzt erst recht nicht im Stich zu lassen. In der Ausstellung Preussens Eros - Preussens Musen hängt es dem Porträt der rechtmäßigen Königin genau gegenüber. Für den Tagesspiegel hat sich Michael Bienert ins Kreuzfeuer der Frauenblicke begeben. Lesen Sie die Ausstellungsbesprechung hier.

Donnerstag, 7. Oktober 2010

Jeden Tag eine gute Zeitung

Mit den Berliner Abendblättern, dem ersten täglich erscheinenden Boulevardblatt der preußischen Hauptstadt, war Heinrich von Kleist seiner Zeit weit voraus - und scheiterte nach einem halben Jahr am Widerstand der Behörden, die einen unabhängigen und kritischen Journalismus fürchteten. Am 1. Oktober 1810 kam die erste Nummer heraus, gut ein Jahr später schoss sich Kleist eine Kugel in den Kopf. Jetzt kann man die Abendblätter wieder abonnieren, umsonst werden sie täglich von der Uni Würzburg per E-Mail zugestellt. Tolle Idee! Bestellen kann man die Zeitung hier. - Bei uns wird sie täglich gelesen, denn im Kleist-Jahr 2011 planen wir einen Berliner Stadtrundgang zu Kleist. Arbeitstitel: Kein Ort. Nirgends.

Dienstag, 5. Oktober 2010

Rauf auf die Bundeswippe!


Zehn Millionen Euro hat der Bundestag vor zwei Jahren für ein Einheits- und Freiheitsdenkmal in Berlin bewilligt. Wofür sie ausgegeben werden sollen, ist auch nach dem zweiten Gestaltungswettbewerb unklar. Eine Jury kürte am 3. Oktober drei gleichrangige Siegerentwürfe aus 28 Arbeiten eines beschränkten Wettbewerbs, für den sich 386 Bewerber angemeldet hatten. Vorangegangen war 2009 der Abbruch eines ersten offenen Ideenwettbewerbs mit 533 Teilnehmern. Als Konsequenz aus dem Fiasko wurde die Aufgabe beim zweiten Anlauf vereinfacht: Statt 200 Jahren Einheitsstreben sollten die Künstler nur noch die friedliche Revolution von 1989/90 in die Form eines Nationaldenkmals bringen.

Der Karlsruher Bildhauer Stephan Balkenhol schlägt einen demütig knieenden Mann im weißen Hemd vor, etwa fünf Meter hoch: Jogi Löw, nachdem er seinen ersten Titel als Nationaltrainer geholt hat. Der Münchner Architekt Andreas Meck will einen flachen Pavillon mit Revolutionsschlagwörter auf dem halb transparenten Dach bauen. Originell und waghalsig wirkt allein die Idee des Stuttgarter Büros Milla und Partner, eine mächtige Metallschale aufzustellen, die sich unter dem Gewicht der darauf steigenden Besucher neigen soll. Motto: „Bürger in Bewegung“. Auch die Berliner Choreografin Sasha Waltz war am Entwurfsprozess beteiligt. Das interaktive Riesenspielzeug hätte wohl die meisten Chancen, eine Besucherattraktion zu werden. Doch nach Auskunft des Juryvorsitzenden Arno Sighardt Schmidt blieben offene Fragen in puncto Sicherheit, Betriebskosten und Statik. Es müsse erst geklärt werden, ob der denkmalgeschützte Sockel des einstigen Kaiser-Wilhelm-Reiterstandbildes an der Spree die kühne Konstruktion überhaupt tragen kann.

Der Bundestag war schlecht beraten, als er sich auf diesen Ort für eine Freiheits- und Einheitsdenkmal festlegte. Die Wettbewerbsteilnehmer quälten sich vor allem damit ab, ihre Ideen in ein Verhältnis zum Unterbau aus der Kaiserzeit und der Schlossfassade zu bringen, die nebenan wieder aufgebaut werden soll. Das Nationaldenkmal des demokratischen Deutschland soll sich in den vorgegebenen Rahmen einer monarchischen Denkmalsetzung einfügen – eine schon im Ansatz verfehlte Aufgabenstellung. Der Stuttgarter Entwurf einer monumentalen Bundeswippe, auf der Bürger ihr Gewicht spüren, löst dieses Problem spielerisch und selbstbewusst auf.

Alle 28 Wettbewerbsentwürfe sind bis 31. 10. im Berliner Martin-Gropius-Bau ausgestellt. Hier finden Sie Bilder der Wettbewerbsentwürfe. - Warum das Freiheitsdenkmal besser nicht auf dem Kaiser-Wilhelm-Sockel stehen sollte, erläutern wir hier.

Montag, 4. Oktober 2010

Im Theater (11): Freedom And Democracy


Politisches Theater lebt nicht allein von gutem Willen und gesuchter Provokation. Es braucht Fingerspitzengefühl, Leute für etwas zu interessieren, was sie vielleicht lieber nicht sehen wollen. Im Berliner Ensemble wird dieser Balanceakt zur Schlingerpartie, weil der Hausherr und Regisseur Claus Peymann sich schwer damit tut, das Zumutbare vom Umzumutbaren zu unterscheiden. Und auch weil die elf zeitkritischen Dramolette von Mark Ravenhill, die unter dem Titel Freedom and Democracy – I Hate You dargeboten werden, von sehr verschiedener Qualität sind. Lesen Sie hier die ausführliche Theaterkritik.