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Mittwoch, 3. Februar 2010

Betriebsgeheimnisse (2): Fontanes Stilkunde


Beim gestrigen Besuch in der Stadtbibliothek - das Foto zeigt den derzeitigen Haupteingang, mehr dazu in Betriebsgeheimnisse (1) - bin ich unerwartet auf ein Rarissimum gestoßen, eine in 200 Exemplaren nur für Mitglieder gedruckte Festschrift zum zehnjährigen Bestehen der Litteraturarchiv-Gesellschaft in Berlin aus dem Jahr 1901. Sie machte mich neugierig, weil ich noch nie von einem solchen Archiv in Berlin gehört hatte. Ein Kapitel der Festschrift heißt Aus Fontanes Werkstatt und überliefert einige Briefstellen über literarische Projekte, Finanzierungsschwierigkeiten und Stilfragen. Am 3. März 1881 verteidigt Fontane die massenhaft auftretenden "unds" in manchen Werken, bei denen einem "himmelangst" werden könne: "Warum müssen sie bleiben? Es stört, es verdriesst etc. Und doch! Ich bilde mir nämlich ein, unter uns gesagt, ein Stilist zu sein, nicht einer von den unerträglichen Glattschreibern, die für alles nur einen Ton und Farbe haben, sondern ein wirklicher, d. h. also ein Schriftsteller, der dem Dinge nicht seinen alt-überkommenen Marlitt- oder Gartenlauben-Stil aufdrängt, sondern umgekehrt einer, der immer wechselnd seinen Stil aus der Sache nimmt, die er behandelt. Und so kommt es, dass ich Sätze schreibe, die 14 Zeilen lang sind und dann wieder andere, die noch lange nicht 14 Silben, oft nur 14 Buchstaben aufweisen. Und so ist es auch mit den unds. Wollt´ ich alles auf den Und-Stil stellen, so müsst ich als gemeingefährlich eingesperrt werden. Ich schreibe aber Mit-und-Novellen und Ohne-und-Novellen, immer in Anbequemung und Rücksicht auf den Stoff. Je moderner desto und-loser, je schlichter, je mehr sancta simplicitas, desto mehr und." Alles ist erlaubt, bloß kein Einheitsstil. Michael Bienert

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