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Dienstag, 30. Mai 2017

Im Theater (63): Oliver Reese & Co. stellen ihre Pläne für das Berliner Ensemble vor

Von Michael Bienert - Endlich wieder ein Arbeitsplatz in Berlin! Oliver Reese, in guten Zeiten Chefdramaturg am Maxim-Gorki-Theater und Deutschen Theater (bei Bernd Wilms), zuletzt Intendant am Schauspiel Frankfurt, ist die Erleichterung anzumerken. Aber ziemlich aufgeregt ist er auch, das merkt man, jetzt in der Nachfolge von Helene Weigel, Ruth Berghaus, Heiner Müller und dem unerwähnt bleibenden Claus Peymann das Programm des Berliner Ensembles für die Spielzeit 2017/2018 vorzustellen. Reese gibt den Anti-Peymann: Keine großen Sprüche zur Weltlage, keine scharfen Worte gegen die Presse, kein Politiker-Bashing. Hier sitzt kein ichbezogenes Genie, sondern ein Teamspieler, ist die Botschaft. Zum Leitungsteam zählt er ausdrücklich auch Michael Thalheimer (Chefregisseur), Sibylle Baschung (Dramaturgie), Clara Topic-Matutin (Dramaturgie, Talentscout) und Moritz Rinke (Leiter Autorenprogramm), sie sitzen mit auf der Bühne im Rangfoyer des Theaters. Man kennt sich seit mindestens 12 Jahren und will hier "mit Geduld" etwas Schönes auf die Beine stellen. Auch unter den 28 fest engagierten Schauspielern sind viele Bekannte, alle haben schon an großen Bühnen gespielt, am Deutschen Theater, der Schaubühne, der Volksbühne, dem Burgtheater, wir nennen nur: Constanze Becker, Judith Engel, Ingo Hülsmann, Corinna Kirchhoff, Wolfgang Michael, vom alten Berliner Ensemble Peymanns werden nur Peter Luppa und Veit Schubert übernommen. 17 der 12 Premieren in der kommenden Spielzeit sind lebenden Autoren gewidmet, Frank Castorf inszeniert daneben Les Miserables und Thalheimer Brechts Kaukasischen Kreidekreis. Das weitere ist bitteschön auf der neuen Website des Berliner Ensembles nachzulesen. Interessant ist das von Moritz Rinke geleitete Projekt einer Autorenwerkstatt, bei der die Schreiber vor allem eng mit Schauspielern zusammenarbeiten sollen und auch das Publikum in die Stückentwicklung einbezogen werden könnte. Es ist schon eine tolle Truppe, die Oliver Reese um sich versammelt hat, keine Frage. Dahinter steckt eine gediegene Theaterphilosophie (Autorentheater! Ensembletheater! Gegenwartsstoffe! Erzählung statt Dekonstruktion!), die sich gar nicht so sehr von der des scheidenden Peymann unterscheidet (seine letzte Inszenierung wird sogar übernommen). Anders als das Volksbühnenpublikum nach dem Abgang von Frank Castorf muss das Stammpublikum des Berliner Ensembles keinen totalen Traditionsbruch fürchten.

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