Am 3. April 1892 erschien in der Chicago Daily Tribune sein Berlinporträt The Chicago of Europe: "I feel lost in Berlin. It has no resemblance to the city I had supposed it was. There was once a Berlin which I could have known, from descriptions in books - the Berlin of the last century and the beginning of the present one: a dingy city in a marsh, with rough streets, muddy and lantern-lightes, dividing straight rows of ugly houses all alike, compacted into blocks as square and plain and uniform and monotonous and serious as so many dry-good boxes. But that Berlin disappeared. It seems to have disappeard totally, and left no sign. The bulk oft the Berlin of today has about it no suggestion of a former period. The site it stands on has traditions and a history, bt the city itself has no traditions and no history. It is a new city; the newest I have ever seen."
Berlin als Vorposten der Moderne, als Kolonialstadt ohne Verwurzelung im historischen Boden - dieser Befund klingt nicht sehr originell, weil er im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts von konservativen Kulturkritikern in Deutschland gebetsmühlenartig wiederholt wurde. Doch Twain stellte seine Diagnose erheblich früher und wählte den Vergleich Berlin-Chicago zu einem Zeitpunkt, als dieser noch kein Gemeinplatz war. Schon deshalb - und erst recht wegen der präzisen Beobachtungen Twains im Berliner Alltag um 1890 - handelt es sich bei The Chicago of Europe - um einen Schlüsseltext zur Wahrnehmungsgeschichte der werdenden Millionenstadt Berlin.
Andreas Austilat Foto: Berlinica |
Mark Twain Foto: Berlinica |
Die Verlegerin Eva C. Schweitzer hat die Schauplätze von Twains Leben in Berlin fotografiert und neben historische Abbildungen gestellt. So ist das Buch einerseits ein Reiseführer geworden, der amerikanische Touristen an die Hand nimmt und auf den Spuren des großen Autors zum Brandenburger Tor und anderen Locations führt. Die ungewöhnlich gründliche und genaue Recherche, die Arbeit mit sonst kaum benutzten Quellen macht es aber andererseits auch für Berlinologen lesenwert, die sich für das Berlin der Kaiserzeit und die Berliner Großstadtliteratur vor dem Ersten Weltkrieg interessieren.
Mark Twain / Andreas Austilat:
A Tramp in Berlin: New Mark Twain Stories & an Account of Twain´s Berlin Adventures in the German Capital.
Berlinica, New York
176 Seiten
ISBN: 978-1-935902-92-8
Preis im deutschen Buchhandel 20 Euro (gebunden, Farbabbildungen) oder 13 Euro (Paperback, schwarzweiß, mäßige Druckqualität)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen