Über der antiken Stadt Pergamon geht die Sonne auf. Stimmengewirr tönt von den belebten Plätzen der Akropolis herüber, die sich spektakulär auf einem schmalen Felsplateau über der weiten Ebene erhebt. Im Halbrund des Theaters nehmen die Leute auf Sitzkissen Platz, andere schlendern über den Vorplatz des Athenatempels. Am neuen Trajantempel daneben wird noch gebaut. Gerade besichtigt Kaiser Hadrian mit seinem Gefolge seine Baustellen: Wir schreiben das Jahr 129 nach Christus.
Die Illusion ist perfekt. Im 360-Grad-Rundumblick hat der Panoramakünstler Yadegar Asisi das antike Pergamon auf einer mehr als 100 Meter langen Stoffbahn mit ditigalfotografischer Schärfe und nach aktuellem archäologischen Forschungsstand vergegenwärtigt. Mittendrin im Stadtgetümmel erblickt man den berühmten Pergamonaltar - mit farbig bemaltem Relieffries. Ein Realitätschock.
Dabei weiß die Wissenschaft längst, dass die antike Bildhauerkunst bunt war. Über dem Opferaltar des Monuments steigt Rauch auf. Dann sinkt wieder nächtliches Dunkel über die antike Stadt herab. Keine zehn Minuten dauert ein Tag in Asisis Antikenkino.
Die Idee, die Ruinen Pergamons in einem Panorama zum Leben zu erwecken, ist nicht neu. Schon 1886, lange bevor es das Pergamonmuseum gab, konnten die Berliner die antike Stätte auf einem gemalten Rundbild in Augenschein nehmen. Jetzt versperrt der riesige Stahlzylinder des Panoramas wie ein monströser Gasometer den Ehrenhof des Pergamonmuseums. Museumspädagogik als gigantische Illusionsmaschinerie.
Andreas Scholl, Direktor der Antikensammlung, weiß, dass seine Altertümer nicht für sich sprechen, auch wenn sie jährlich über eine Million Besucher anlocken. Kontextualisierung heißt das neue Motto: Was die Forscher an neuen Erkenntnissen gewinnen, soll fürs breite Publikum fruchtbar gemacht werden. Da darf es keine Berührungsängste mit populären Medien geben. Nicht als reine Kunst, sondern eingebettet in soziale und politische Zusammenhänge sollen die Skulpturen und Architekturrelikte erfahrbar werden. Die Ausstellung ist auch ein Testlauf für künftige Sammlungspräsentationen des Pergamonmuseums, das nach seiner Generalsanierung völlig neu aufgestellt werden soll. Voraussichtliche Wiedereröffnung 2025.
Aber wie fing eigentlich alles an? Der Ingenieur Carl Humann sondierte 1865 in der Gegend der türkischen Stadt Bergama, rund 80 Kilometer nördlich von Izmir, das Terrain für eine neue Straßentrasse. Da wurde er auf Arbeiter aufmerksam, die Marmorblöcke einer byzantinischen Stadtmauer in die Kalköfen schoben, teilweise mit antiken Reliefs. Humann war alarmiert. Er nahm Kontakt zu den Berliner Museen auf und ging als Selfmadearchäologe in den 1870er Jahren selbst daran, die Schätze zu heben. Das junge deutsche Kaiserreich gierte danach, sich mit Antikenschätzen zu schmücken. Humann förderte innerhalb kürzester Zeit „eine ganze Kunstepoche” ans Licht. Mit allerhöchster Erlaubnis des türkischen Sultans verließen die Relieffragmente das Land. Bis aus Tausenden Bruchstücken der Pergamonfries zusammengepuzzelt war, dauerte es Jahrzehnte. Ab 1901 in einem Interimsbau gezeigt, konnte der rekonstruierte Altar 1930 im neu eröffneten Pergamonmuseum in seiner heutigen Form präsentiert werden.
Auf dem Fries tobt ein unerbittlicher Kampf: Mann gegen Frau, Götter gegen Giganten, mit Lanzen, Felsbrocken, lodernden Fackeln und bloßen Händen. Eingespannt in das horizontale Panoramaformat des Frieses wogt das Kampfgetümmel ohne Anfang und Ende, virtuos rhythmisiert. Die Götterfamilie des himmlischen Olymp ringt mit den schlangenbeinigen Giganten, die als Abkömmlinge der Erdmutter Gaia die Kräfte des Chaos und der rohen Natur verkörpern. Doch die Siegerpartei steht von Anfang an fest. Ungerührt tritt die Liebesgöttin Aphrodite ihrem am Boden liegenden, toten Gegner ins Gesicht. Das ist nicht mehr die stille Größe der klassischen Antike, sondern die mitreißende, barocke Erzählkunst des Hochhellenismus.
Den Schriftsteller Peter Weiss erinnerte das erbitterte Getümmel an den Kampf des Proletariats gegen seine Unterdrücker. Auch die Menschen der Attaliden-Ära im zweiten Jahrhundert v. Chr. sahen darin vermutlich nicht nur realitätsferne Göttergestalten. Dieses Relief war eine unmissverständliche Machtdemonstration der Herrschenden gegenüber Umstürzlern, Aufrührern und äußeren Feinden.
Die Sonderausstellung gibt diesem Ausnahmekunstwerk sein politisches, soziales und kulturelles Umfeld zurück. Sie präsentiert die pergamenischen Funde erstmals in ganzer Breite. Wie die antike Stadt aufgebaut war, wie die Verwaltung funktionierte, die Wasserversorgung, das Bildungssystem, dafür gibt es Spuren. Manchmal müssen ein paar rostige Nägel und Tonscherben als Zeitzeugen genügen. Raumtexte in Deutsch, Englisch und Türkisch liefern die nötigen Hintergrundinfos. Die Attaliden-Könige Attalos I. und seine Nachfolger bauten Pergamon im 3. und 2. Jahrhundert v. Chr. zur wichtigsten Metropole der Region aus. Dass ihre Macht nicht aus friedlichen Wurzeln erwachsen war, macht ohne große Worte ein in Blutrot getauchter Ausstellungsraum deutlich. Dort liegen sie hingemordet wie auf einer Theaterbühne, die sterbenden Gallier, Galather und anderen Feinde. Die großartig im Moment des Todes erfassten Männerfiguren sind Leihgaben aus Neapel. Auch der berühmte Sterbende Gallier der Kapitolinischen Museen in Rom soll im Laufe der Ausstellung noch dazustoßen.
Die Türkei zeigte sich weniger kooperationsbereit. Kein einziges Stück durfte aus dem Museum von Bergama anreisen, wo die durch Fundteilung im Land verbliebenen und alle seit 1938 ausgegrabenen Funde bewahrt werden. Gipskopien fungieren in der Ausstellung als Platzhalter. Sie könnten jederzeit, so betonen die Kuratoren, durch die Originale ersetzt werden. Gleich im ersten Raum weisen sie auf die Rechtmäßigkeit der Berliner Besitztümer hin. Doch die Haltung der türkischen Behörden bleibt ambivalent. Jährlich verlängern sie die Grabungslizenz des Deutschen Archäologischen Instituts in Pergamon. Vielleicht wäre es auch eine Geste der Freundschaft, wenn das Asisi-Panorama nach Ende der Ausstellung in Bergama einen neuen Standort fände: Als Chance zu einer Zeitreise in die Antike direkt am historischen Ort des Geschehens.
Die Illusion ist perfekt. Im 360-Grad-Rundumblick hat der Panoramakünstler Yadegar Asisi das antike Pergamon auf einer mehr als 100 Meter langen Stoffbahn mit ditigalfotografischer Schärfe und nach aktuellem archäologischen Forschungsstand vergegenwärtigt. Mittendrin im Stadtgetümmel erblickt man den berühmten Pergamonaltar - mit farbig bemaltem Relieffries. Ein Realitätschock.
Dabei weiß die Wissenschaft längst, dass die antike Bildhauerkunst bunt war. Über dem Opferaltar des Monuments steigt Rauch auf. Dann sinkt wieder nächtliches Dunkel über die antike Stadt herab. Keine zehn Minuten dauert ein Tag in Asisis Antikenkino.
Die Idee, die Ruinen Pergamons in einem Panorama zum Leben zu erwecken, ist nicht neu. Schon 1886, lange bevor es das Pergamonmuseum gab, konnten die Berliner die antike Stätte auf einem gemalten Rundbild in Augenschein nehmen. Jetzt versperrt der riesige Stahlzylinder des Panoramas wie ein monströser Gasometer den Ehrenhof des Pergamonmuseums. Museumspädagogik als gigantische Illusionsmaschinerie.
Andreas Scholl, Direktor der Antikensammlung, weiß, dass seine Altertümer nicht für sich sprechen, auch wenn sie jährlich über eine Million Besucher anlocken. Kontextualisierung heißt das neue Motto: Was die Forscher an neuen Erkenntnissen gewinnen, soll fürs breite Publikum fruchtbar gemacht werden. Da darf es keine Berührungsängste mit populären Medien geben. Nicht als reine Kunst, sondern eingebettet in soziale und politische Zusammenhänge sollen die Skulpturen und Architekturrelikte erfahrbar werden. Die Ausstellung ist auch ein Testlauf für künftige Sammlungspräsentationen des Pergamonmuseums, das nach seiner Generalsanierung völlig neu aufgestellt werden soll. Voraussichtliche Wiedereröffnung 2025.
Aber wie fing eigentlich alles an? Der Ingenieur Carl Humann sondierte 1865 in der Gegend der türkischen Stadt Bergama, rund 80 Kilometer nördlich von Izmir, das Terrain für eine neue Straßentrasse. Da wurde er auf Arbeiter aufmerksam, die Marmorblöcke einer byzantinischen Stadtmauer in die Kalköfen schoben, teilweise mit antiken Reliefs. Humann war alarmiert. Er nahm Kontakt zu den Berliner Museen auf und ging als Selfmadearchäologe in den 1870er Jahren selbst daran, die Schätze zu heben. Das junge deutsche Kaiserreich gierte danach, sich mit Antikenschätzen zu schmücken. Humann förderte innerhalb kürzester Zeit „eine ganze Kunstepoche” ans Licht. Mit allerhöchster Erlaubnis des türkischen Sultans verließen die Relieffragmente das Land. Bis aus Tausenden Bruchstücken der Pergamonfries zusammengepuzzelt war, dauerte es Jahrzehnte. Ab 1901 in einem Interimsbau gezeigt, konnte der rekonstruierte Altar 1930 im neu eröffneten Pergamonmuseum in seiner heutigen Form präsentiert werden.
Auf dem Fries tobt ein unerbittlicher Kampf: Mann gegen Frau, Götter gegen Giganten, mit Lanzen, Felsbrocken, lodernden Fackeln und bloßen Händen. Eingespannt in das horizontale Panoramaformat des Frieses wogt das Kampfgetümmel ohne Anfang und Ende, virtuos rhythmisiert. Die Götterfamilie des himmlischen Olymp ringt mit den schlangenbeinigen Giganten, die als Abkömmlinge der Erdmutter Gaia die Kräfte des Chaos und der rohen Natur verkörpern. Doch die Siegerpartei steht von Anfang an fest. Ungerührt tritt die Liebesgöttin Aphrodite ihrem am Boden liegenden, toten Gegner ins Gesicht. Das ist nicht mehr die stille Größe der klassischen Antike, sondern die mitreißende, barocke Erzählkunst des Hochhellenismus.
Den Schriftsteller Peter Weiss erinnerte das erbitterte Getümmel an den Kampf des Proletariats gegen seine Unterdrücker. Auch die Menschen der Attaliden-Ära im zweiten Jahrhundert v. Chr. sahen darin vermutlich nicht nur realitätsferne Göttergestalten. Dieses Relief war eine unmissverständliche Machtdemonstration der Herrschenden gegenüber Umstürzlern, Aufrührern und äußeren Feinden.
Die Sonderausstellung gibt diesem Ausnahmekunstwerk sein politisches, soziales und kulturelles Umfeld zurück. Sie präsentiert die pergamenischen Funde erstmals in ganzer Breite. Wie die antike Stadt aufgebaut war, wie die Verwaltung funktionierte, die Wasserversorgung, das Bildungssystem, dafür gibt es Spuren. Manchmal müssen ein paar rostige Nägel und Tonscherben als Zeitzeugen genügen. Raumtexte in Deutsch, Englisch und Türkisch liefern die nötigen Hintergrundinfos. Die Attaliden-Könige Attalos I. und seine Nachfolger bauten Pergamon im 3. und 2. Jahrhundert v. Chr. zur wichtigsten Metropole der Region aus. Dass ihre Macht nicht aus friedlichen Wurzeln erwachsen war, macht ohne große Worte ein in Blutrot getauchter Ausstellungsraum deutlich. Dort liegen sie hingemordet wie auf einer Theaterbühne, die sterbenden Gallier, Galather und anderen Feinde. Die großartig im Moment des Todes erfassten Männerfiguren sind Leihgaben aus Neapel. Auch der berühmte Sterbende Gallier der Kapitolinischen Museen in Rom soll im Laufe der Ausstellung noch dazustoßen.
Die Türkei zeigte sich weniger kooperationsbereit. Kein einziges Stück durfte aus dem Museum von Bergama anreisen, wo die durch Fundteilung im Land verbliebenen und alle seit 1938 ausgegrabenen Funde bewahrt werden. Gipskopien fungieren in der Ausstellung als Platzhalter. Sie könnten jederzeit, so betonen die Kuratoren, durch die Originale ersetzt werden. Gleich im ersten Raum weisen sie auf die Rechtmäßigkeit der Berliner Besitztümer hin. Doch die Haltung der türkischen Behörden bleibt ambivalent. Jährlich verlängern sie die Grabungslizenz des Deutschen Archäologischen Instituts in Pergamon. Vielleicht wäre es auch eine Geste der Freundschaft, wenn das Asisi-Panorama nach Ende der Ausstellung in Bergama einen neuen Standort fände: Als Chance zu einer Zeitreise in die Antike direkt am historischen Ort des Geschehens.
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