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Mittwoch, 22. Januar 2014

Licht und Schatten - Ausstellung und Buch über das Kino der Weimarer Republik

Von Michael Bienert - Es sind Werbefotos - und zugleich Kunstwerke, in denen sich eine Film- und Gesellschaftsepoche spiegelt. Manche sind zu Ikonen geworden wie der Vampir Nosferatu, schräg von unten aus dem Laderaum eines Schiffes vor der Takelage aufgenommen. Oder wie der von einem Speer durchbohrte Siegfried aus Fritz Langs Nibelungenfilm. Oder Peter Lorre als Kindermörder M, der beim Schulterblick in einem Spiegel das verräterische Zeichen auf seinem Mantel erkennt.
Das sind nicht einfach Bilder aus Kinofilmen der Weimarer Republik, es sind eigene fotografische Kompositionen, die das Wesen und die Atmosphäre eines Films vermitteln sollten, bestimmt für die Schaukästen der Kinos, für Programmhefte und Illustrierte. Die Deutsche Kinemathek zeigt unter dem Titel Licht und Schatten eine Ausstellung mit Originalfotografien aus ihrer Sammlung, ergänzt um prächtige gemalte Filmplakate und einige Filmausschnitte. Berühmte Filme wie Das Cabinet des Dr. Caligari, Metropolis und Berlin Alexanderplatz treffen auf weniger bekannte wie Genuine von Robert Wiene oder Dona Juana von Paul Czinner, das ergibt einen sehr schönen und halbwegs repräsentativen Überblick über das deutsche Filmschaffen zwischen 1918 und 1933. Alles in Schwarzweiß und doch unglaublich vielfältig in den ästhetischen Mitteln.
Der Besuch im Museum für Film und Fernsehen lohnt auch deshalb, weil man dort den Prachtband zur Ausstellung erheblich verbilligt gegenüber dem Buchhandelspreis erwerben kann. Hans Helmut Prinzler, bis 2006 Direktor des Museums, hat ihn herausgegeben und mit einem konzisen Überblick über das Kino der Weimarer Republik eingeleitet. Es folgen 335 Filmstills aus 72 Filmen, eine optisch überwältigende, perfekt in Buchform inszenierte Bildgeschichte des deutschen Kinos in seiner Blütezeit. Mehr zum Buch auf der Website von Hans Helmut Prinzler

Hans Helmut Prinzler 
Licht und Schatten. Die großen Stumm- und Tonfilme der Weimarer Republik. 
335 Filmbilder von „Mutter Krause“ bis „Dr. Mabuse“ 
Schirmer/Mosel, Deutsche Kinemathek, 
308 Seiten, 443 Abbildungen, 29,95 € (sonst 68 €)
ISBN 978-3-8296-0588-5

Die Ausstellung wird bis 27. April 2014 im Museum für Film und Fernsehen gezeigt.

Dienstag, 21. Januar 2014

Rinnsteinelend und Hochhausspitzen - neue London-Bücher

Von Elke Linda Buchholz - Mitten im tosenden Londoner Verkehr steht ein zierliches Haus aus Holz. Der solide gezimmerte Fachwerkbau balanciert in luftiger Höhe auf vier dünnen Pfosten nahe der U-Bahn-Station Aldgate. Durch die offenen Wände weht der Wind: »Paleys upon Pilers« gibt als literarisches Luftschloss den träumerischen Versen des mittelalterlichen Dichters Geoffrey Chaucer einen Ort – inmitten eines Cityquartiers, dessen bauliches Erbe gerade vom schwindelerregenden Wandel davongespült und durch ein Hochhauscluster ersetzt wird. Chaucers architektonische Phantasien waren poetischer. Er erträumte in seinem Gedicht »Parliament of Fowls« einen Götterpalast auf Säulen aus Jaspis. In »House of Fame« ließ er einen Glastempel auf einem Berg von Eis emporwachsen, wo alle Wörter zusammenfließen, die gesprochenen, gesungenen und in Angst geflüsterten. Der als Sohn eines Weinhändlers geborene Chaucer wohnte ab 1374 im Stadttor von Aldgate. Aus seinem Fenster sah er die quirlige, vielstimmige Menschenmenge in die schon damals boomende Stadt strömen. Das auf die Römerzeit zurückgehende Stadttor ist längst verschwunden. Von hier gen Osten erstreckt sich kilometerweit East End, jahrhundertelang das verrufenste Elendsviertel der Stadt. Der Amerikaner Jack London stürzte sich 1902 mitten hinein. Er ließ sich von einem entsetzten Droschkenkutscher am Bahnhof Stepney absetzen, tauschte seinen Anzug bei einem Altkleiderhökerer gegen abgerissene Klamotten und lebte wochenlang unter Obdachlosen und Lumpenproletariat. Was er als Undercover-Reporter in den übervölkerten Quartieren von Whitechapel, Spitalfields, Mile End erlebte, schildert seine Sozialreportage The People of the Abyss. - Weiterlesen im literaturblatt

Die besprochenen Titel:

Jack London, Menschen der Tiefe. Reportage aus dem Londoner East End um 1900. Reprint Verlag, Leipzig 2013. 272 Seiten, 19,90 Euro
London. Eine literarische Einladung. Hrsg. von Ingo Herzke und Hans-Gerd Koch. Wagenbach, Berlin 2013. 137 Seiten, 15,90 Euro
Gabriele Gugetzer, Indische Küche in London. Kulinarische Spaziergänge und Originalrezepte. Gräfe und Unzer, München 2013. 192 Seiten, 19,99 Euro
Steen Eiler Rasmussen, London. The Unique City. Die Geschichte einer Weltstadt. Bauverlag, Gütersloh und Berlin / Birkhäuser, Basel 2013. 440 Seiten, 29,95 Euro
Marina Bohlmann-Modersohn, London. Eine Stadt in Biographien. Merian / Travel House Media, München 2012. 176 Seiten, 16,99 Euro
Miroslav Sasek, London. Kunstmann, München 2013. 63 Seiten, 16,95 Euro

Montag, 20. Januar 2014

Berlin Says - Wall Works im Hamburger Bahnhof

Nasan Tur bei der Arbeit
Quelle: www.todayandtomorrow.net
Wie ein gigantischer roter Wandteppich bedeckt das Text-Bild eine Hallenwand hinter dem Hamburger Bahnhof, auf den ersten Blick käme man gar nicht darauf, dass er aus lauter Worten besteht. Davor liegen Dutzende von Spraydosen, ein Video zeigt den Graffitikünstler Nasan Tur bei der Arbeit: Er sprüht Wörter und Sätze auf die Riesenwand, braucht dazu eine Hebebühne, bis das Palimpsest kaum noch zu lesen ist. Aus den Wörtern wird ein monochromes Riesenbild. - Die Arbeit Berlin says ist Teil der Ausstellung Wall Works in den Rieck-Hallen, der entspannendsten Ausstellung von zeitgenössischer Kunst seit langem. 36 Künstler sind dort mit ihren Arbeiten und Konzepten für wandfüllende Werke vertreten. In den großen Hallen hinter dem Hamburger Bahnhof kommen diese Arbeiten ideal zur Wirkung. Dem Betrachter bleibt viel Freiheit, sie aus unterschiedlichen Perspektiven, aus der Ferne und Nähe zu betrachten - trotz oft monumentaler Formate fühlt man sich nie erschlagen oder überwältigt von den künstlerischen Auseinandersetzungen mit dem Thema "Wand". Mehr Infos zur Ausstellung

Freitag, 17. Januar 2014

Mark Twains Berlin

Von Michael Bienert - Mark Twain, der Erfinder von Tom Sawyer und Huckleberry Finn, ist hierzulande  vor allem als Jugendbuchklassiker bekannt, aber seine literarische Karriere begann als Reiseschriftsteller. 49 Schiffsreisen über den Atlantik nach Europa, Afrika und Asien hat er während seines Lebens unternommen, einmal überquerte er den Pazifik. Schon zu Lebzeiten weltbekannt, trat er rund um den Globus als Vortragender und Vorleser auf, der mit seinem Humor große Auditorien zum Lachen brachte. Mehrmals hat er Deutschland besucht und im Winter 1891/92 mit seiner Frau und den beiden Töchtern einige Monate in Berlin gelebt.
Am 3. April 1892 erschien in der Chicago Daily Tribune sein Berlinporträt The Chicago of Europe: "I feel lost in Berlin. It has no resemblance to the city I had supposed it was. There was once a Berlin which I could have known, from descriptions in books - the Berlin of the last century and the beginning of the present one: a dingy city in a marsh, with rough streets, muddy and lantern-lightes, dividing straight rows of ugly houses all alike, compacted into blocks as square and plain and uniform and monotonous and serious as so many dry-good boxes. But that Berlin disappeared. It seems to have disappeard totally, and left no sign. The bulk oft the Berlin of today has about it no suggestion of a former period. The site it stands on has traditions and a history, bt the city itself has no traditions and no history. It is a new city; the newest I have ever seen."
Berlin als Vorposten der Moderne, als Kolonialstadt ohne Verwurzelung im historischen Boden - dieser Befund klingt nicht sehr originell, weil er im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts von konservativen Kulturkritikern in Deutschland gebetsmühlenartig wiederholt wurde. Doch Twain stellte seine Diagnose erheblich früher und wählte den Vergleich Berlin-Chicago zu einem Zeitpunkt, als dieser noch kein Gemeinplatz war. Schon deshalb - und erst recht wegen der präzisen Beobachtungen Twains im Berliner Alltag um 1890 - handelt es sich bei The Chicago of Europe - um einen Schlüsseltext zur Wahrnehmungsgeschichte der werdenden Millionenstadt Berlin.

Donnerstag, 16. Januar 2014

Schrift wirkt! Typografie für den Hausgebrauch

Von Michael Bienert - Früher war Typografie eine Sache für Spezialisten, heute stellen Textverarbeitungsprogramme schon Schüler vor die Frage: Welche Schrifttype soll ich wählen, welchen Zeilenabstand, Block- oder Flattersatz? Eine sehr schöne Handreichung ist da Schrift wirkt aus dem Verlag Hermann Schmidt Mainz, einem von uns heiß geliebten Fachverlag für Buch- und Mediengestaltung, der jedes Jahr Preise für vorbildliche Buchgestaltung abräumt. Der Band führt mit den Mitteln der Typografie in diese ehemalige Geheimwissenschaft ein, demonstriert einfach und schlagend die Wirkung verschiedener Schriftgrößen, Schriftmischungen, Laufweiten, Auszeichnungen und Trennungen. Nebenbei lernt man das Fachchinesisch der Typografen - was ist satztechnisch eine "Witwe", ein "Waisenkind" und eine "Schusterjunge"? Und wussten Sie, dass das @-Zeichen schon im 19. Jahrhundert verwendet wurde, allerdings um den Preis pro Einheit anzugeben: "12 bananas @ 30 pence"? Ein wirklich schönes Buch für jeden, der die typografischen Anforderungen des modernen Alltags meistern will.

Jim Williams | Gesine Hildebrandt
SCHRIFT WIRKT! Einfache Tipps für den täglichen Umgang mit Schrift 
mit einem Vorwort von Ben Casey 
160 durchgehend zweifarbige Seiten 
Format 22 x 17 cm 
Soft-Flex-Band mit runden Ecken, Kunstledereinband, 
zwei Lesebändchen und einem vertikalen 
Gummibandverschluss 

ISBN 978-3-87439-836-7 
19,80 EUR

Samstag, 11. Januar 2014

Nackte Eva aus dem Depot - eine Wiederentdeckung in der Berliner Gemäldegalerie

Quelle: SMB/Jörg P. Anders
Von Elke Linda Buchholz - An der Größe liegt es nicht, wenn kaum ein Mensch dieses Meisterwerk kennt. Über drei Meter breit ist das Gemälde von Guillaume de Marcillat, das die Gemäldegalerie aus dem Depot ans Licht befördert hat. Über 70 Jahre war das Werk nicht zu sehen. 1939 hatte man es in den Luftschutzkellern auf der Museumsinsel in Sicherheit gebracht. Dort setzten heftige Klimaschwankungen der riesigen Holztafel so zu, dass jahrzehntelang kaum jemand wagte, das Bild auch nur zu bewegen. Jetzt haben Restauratoren die fragilen Malschichten gesichert, ohne allerdings die Narben der Geschichte zuzukleistern. Quer durch das Gemälde zieht sich ein grober Riss. Aber die Farben wirken erstaunlich frisch. Eine nackte Eva räkelt sich mitten im Bild lässig auf grünem Rasen: ein hüllenloser Blickfang in Lebensgröße. Die beidseitig versammelten Kirchenlehrer schenken der Sündigen keinen Blick. Sie sind in erregte Debatten vertieft. Mit energischen Gesten und bohrenden Blicken bringen die Theologen ihre Statements vor. Worüber sie diskutieren, lässt sich unten auf der Sockelzone nachlesen: Wie kann es sein, dass Maria als einziger Mensch frei von der Erbsünde blieb? Weiterlesen im TAGESSPIEGEL

Freitag, 10. Januar 2014

Adolf Heilborns Reise nach Berlin

Von Michael Bienert - Verarmt, grau, unruhig und lebenshungrig: So haben Zeitgenossen wie Brecht oder Joseph Roth das Nachkriegsberlin der frühen Zwanziger Jahre vielfach beschrieben. "Die Straße ist als Bild viel ärmer geworden. Zwischen den stehengebliebenen Dekorationen der reichen Zeiten bewegt sich ein im ganzen mißfarbenes Gewimmel ohne alle Üppigkeit an Gliedern, Wangen und Bekleidung", notierte Heinrich Mann 1921 in einem großen Essay über das republikanische Berlin. Im selben Jahre bricht der Arzt und Schriftsteller Adolf Heilborn zu seiner Reise nach Berlin auf. Die feuilletonistischen Berlin-Streifzüge erscheinen ab 1921 in der Berliner Morgenpost, dann 1925 als Buch. Heilborns Reise nach Berlin führt nicht in die Fremde. Der Autor wurde 1873 in Berlin geboren, in einer noch recht überschaubaren Stadt, die sich bis zur Jahrhundertwende in eine Millionenmetropole verwandelte, mit einem Tempo, das wir uns heute gar nicht mehr vorstellen können. Den Potsdamer Platz hat er noch erlebt als "einen unregelmässigen, hässlichen leeren Raum, gleichsam ein gähnendes Loch in der Straßenkreuzung, umrahmt von ebenso erbärmlichen Häusern", hinter dem von Berlin aus gesehen die "Jejend" begann: mit Blumengärten, Ausflugslokalen, Künstlervillen und dem alten Botanischen Garten auf dem Gelände des heutigen Kleistparks.

Donnerstag, 9. Januar 2014

"Manet kann man nie genug haben."

Von Elke Linda Buchholz - Über dem Kaminsims ein schwungvolles Schützenbildnis nach Frans Hals, neben der Salontür ein großes Reiterporträt von Manet, dazu kleinformatige Ölskizzen und ein Jagdstück seines Lehrers Carl Steffeck: Hausherr Max Liebermann richtete sich in seiner Wannseevilla inmitten einer prachtvollen Gemäldesammlung ein. Was der Maler liebte und schätzte, hängte er sich an die Wände, freundschaftlich durchmischt mit eigenen Arbeiten. Jetzt sind die Werke in Originalgröße als Schwarz-Weiß-Fotos in den Kaminsalon der Liebermann-Villa am Großen Wannsee zurückgekehrt. Ein Ullstein- Pressefoto von 1914 belegt: Genau so sah es hier einmal aus. Weiterlesen im TAGESSPIEGEL

Dienstag, 7. Januar 2014

Krimi um Ifflands Korrespondenz - Provenienzstreit um das Archiv des Berliner Nationaltheaters

Konvolut mit einem Brief Ifflands.
Foto: Antiquaria
Die Sache kam uns gleich dubios vor: Im vergangenen Herbst erreichte uns die Nachricht, auf der Ende Januar stattfindenden Antiquaria-Messe in Ludwigsburg werde das verschollene Korrespondenzarchiv des Berliner Nationaltheaters am Gendarmenmarkt aus der Zeit um 1800 zum Verkauf angeboten. Ein kulturhistorischer Schatz, 34 Bände mit etwa 6000 Briefen, darunter etwa 1000 Korrespondenzentwürfe des berühmten Schauspielers und Intendanten August Wilhelm Iffland. Wie aber kam dieses Archiv einer öffentlichen Institution in Privatbesitz, die Voraussetzung dafür, dass es nun auf dem Markt feilgeboten wird? Das hat sich auch der Berliner Senat gefragt und rechtliche Schritte gegen den Verkauf eingeleitet. Für den TAGESSPIEGEL hat Peter von Becker den Provenienzkrimi recherchiert, hier ist er nachzulesen.

Zur Beschreibung des Konvoluts im Katalog (S.48f.)

Samstag, 4. Januar 2014

Berlin 1914 - zwei Seiten im Tagesspiegel vom Samstag

Nur heute erhältlich und nur in der Printausgabe des TAGESSPIEGEL: Das Berlin des Jahres 1914 auf einer Zeitungsdoppelseite porträtiert von Michael Bienert. Mehr Infos

Freitag, 3. Januar 2014

Idealstadtwahn - eine Ausstellung über Brasília

Von Elke Linda Buchholz - Leben in dieser Stadt Menschen? Wenn man sie nur von weit genug oben fotografiert, verschwinden die Bewohner. Aus einem von alltäglichen Wegen und Erfahrungen durchzogenen Lebensraum wird eine kühle, geometrische Struktur. Und plötzlich steht sie rein vor einem: die Idee, die Stadtplaner einst beflügelte. Ein über 25 Quadratmeter großes Satellitenfoto der Großstadt Brasília hat die brasilianische Botschaft in ihren Räumen in der Wallstraße aufgebaut. Als winzige schneeweiße Klötzchen sind darauf die Bauten der ab 1957 auf dem Reißbrett entworfenen Hauptstadt montiert. Was später an Wildwuchs, Satellitensiedlungen und Vorstadtkonglomeraten drumherum entstand, verschmilzt mit dem Terrain zu einer ornamentalen Fläche. Weiterlesen im TAGESSPIEGEL