Von Elke Linda Buchholz - Zu viele Eindrücke, zu viele Worte, zu viel Gefühl: In Paul Gurks Romanen herrscht Überdruck, auch in seinem 350-Seiten-Werk „Berlin“, dem heute bekanntesten und am meisten rezipierten Roman. Der Vielschreiber mit Wohnsitz im Wedding hinterließ über 40 Dramen, 30 Romane, dazu Fabeln, Gedichte und andere Textsorten, so genau weiß das wohl niemand zu überblicken. Vieles wurde nie veröffentlicht, ging verloren im Literaturbetrieb der wechselnden Zeiten. Sein immer wieder sich einstellender Misserfolg wurde für Gurk zur Gewohnheit, er empfand sich sowieso als aus der Zeit gefallen. Ein Einzelgänger, den es in der Metropole hielt, obgleich er sich hier nie zu Hause fühlte. Geboren wurde er in Frankfurt an der Oder. Der renommierte Kleist-Preis 1921 macht den über 40jährigen schlagartig berühmt, aber nicht auf Dauer.
In der Ausstellung „Flucht ins Innere. Der Künstler Paul Gurk in der NS-Diktatur“ kann man hineinblättern in ein Dutzend seiner literarischen Arbeiten. Ist ein Autor vergessen, wenn immer wieder einzelne Werke aufgelegt werden? Etwa zum 100. Todestag 1980 kam es dazu und auch jetzt in einer vom Arco-Verlag gestarteten Neuedition, die auf 15 Bände anwachsen soll. Gurks Themenspektrum reicht vom legendären Berliner Berufsverbrecherduo Gebrüder Sass bis zum Luther-Gegenspieler Thomas Müntzer, von Goya bis zu Judas. Wer sich festliest, erweitert in der winzigen Einraum-Ausstellung schnell seinen Horizont. Denn rasch zu fassen ist dieser Autor nicht. Zumal er eben auch Maler war und von Jugend an Musik komponierte. Ein Das Mitte Museum in der Pankstraße nahe Gesundbrunnen nimmt zum Anlass, dass es einiges Nachgelassene von Paul Gurk bewahrt. Anderes liegt in der Akademie der Künste, im Literaturarchiv Marbach, in der Berlinischen Galerie.
„Ich bin Berlin, die große Stadt, aller Laster und Lüste voll“: Die expressionistische Emphase in Gurks Texten fühlt sich heute leicht angestaubt an. Schon als sein Berlin-Roman mit dem Untertitel „Ein Buch vom Sterben der Seele“ 1934 endlich erschien, kam das ein Jahrzehnt zuvor verfasste Buch zu spät. Längst hatten andere, wie Alfred Döblin mit seinem sprachexperimentellen „Berlin Alexanderplatz“ oder Walter Ruttmann mit seiner gefilmten „Symphonie einer Großstadt“ das Feld der Metropolenerfahrung und Großstadtdarstellung moderner beackert. In Gurks literarischen Figuren wie dem ergrauten Büchertrödler Eckenpenn, der schamhaft errötend ein blaues Bändchen mit seinen eigenen Gedichten an junge Mädchen weitergibt, oder dem gegen Dauermüdigkeit ankämpfenden Nachtwächter Ulenhorst in „Ein ganz gewöhnlicher Mensch“ spiegelt der Autor sich selbst. Diesen Kiezroman siedelte er im Wedding an, wo er selber seit 1936 wohnte. Afrikanische Straße 144b, da hängt eine bronzene Gedenktafel, die nichts über den berühmt-vergessenen Bewohner erzählt. Auch die endlos sich reihenden Häuserzeilen der ab 1929 errichteten, neusachlichen Großsiedlung sind gesichtslos. Aber auf die uralte Robinie gegenüber der Haustür fiel wohl schon zu Gurks Zeiten sein Blick, wenn er hinaustrat.
Kurator Jonas Hartmann legt sein Augenmerk vor allem auf diese Jahre unter dem NS-Regime. Er stellt zur Diskussion, ob Gurk tatsächlich als Innerer Emigrant gelten kann, wie er sich selbst nach 1945 darstellte. Zwiespältig bleibt die Antwort auf diese Frage, so wie vieles an dem Autor und Maler. Gurk konnte weiter publizieren, sandte aber andrerseits in Werken wie seinem dystopischen Text „TUZUP 37“ (1935) anti-totalitäre Signale.
In Gurks Aquarellen wird es plötzlich still. Nahezu täglich soll er die handlichen Formate in den Jahren nach Hitlers Amtsantritt verfertigt haben, gern im nahen Volkspark Rehberge. Es sind Notate ohne jeden Bezug zum Politischen, auch sie aus der Zeit gefallen. Kein Mensch ist zu sehen. Die Großstadt klemmt einen als enge Häuserflucht klaustrophobisch ein. Oder sie rückt lieber ganz weit weg an den Horizont. Säuberlich notierte Gurk mit Bleistift am Rand die Uhrzeit und Wetterlage. „3 Grad, sehr windig, später Graupel“: das war am 2. Januar 1938. Ein doppelt roter Streifen zwischen den Wolkenbändern glimmt. Auch wenn immer wieder die Sonne aufgeht in Gurks Bildern: Sie bleiben düster, die Himmel über Berlin. Begraben liegt der Künstler nicht weit von seiner letzten Wohnung. Sein Platz auf dem Friedhof an der Müllerstraße ist es seit 2009 kein Ehrengrab mehr.
Mitte Museum
Pankstraße 47
Berlin-Wedding
Bis 2.11.2025
Sonntag-Freitag 10-18 Uhr, Samstag geschlossen
Eintritt frei
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