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Montag, 31. Januar 2022

Das verborgene Museum - Nachruf und Ausblick

Ausstellungsraum im Verborgenen Museum (Wikimedia)

Von Elke Linda Buchholz - Wo gab es das sonst? Das spezielle farbige Leuchten in den Landschaften der Expressionistin Ilse Heller-Lazard, der scharfe Blick der Fotoreporterin Inge Morath oder der Witz in den winzigen Gesellschaftsszenen der Malerin Mathilde Tardif: im Verborgenen Museum gab es jedesmal etwas Besonderes, meist noch nie Gesehenes zu entdecken. Versteckt im Hinterhof der Charlottenburger Schlüterstraße 70 nistete die Institution auf 100 Quadratmetern Ausstellungsfläche. Aber nicht wegen seiner Lage hieß das Verborgene Museum so. Alles begann mit einem Paukenschlag, 35 Jahre ist das her.

Zur 750-Jahr-Feier Berlins 1987 holte eine Projektgruppe um die Künstlerinnen Evelyn Kuwertz und Gisela Breitling das Strandgut der weiblichen Kunstgeschichte aus den Museumsdepots der Hauptstadt. In der Akademie der Künste am Hanseatenweg wurde ausgepackt. Beim Durchforsten der Bestände von Gemäldegalerie, Bauhaus-Archiv, Brücke-Museum und anderen war man auf 600 Werke von Frauen aus fünf Jahrhunderten gestoßen. Nahezu völlig vergessen. Eine fatale Amnesie. Die Schau „Das Verborgene Museum“ rückte rund 150 Exponate ins Licht. Mokant witzelte die Kritik über die „Fleißarbeit“ der „Damenriege“, aber es gab auch Anerkennung für das Ende der weiblichen Bescheidenheit. 

Als gemeinnütziger Verein organisiert blieben die Initiatorinnen dran an ihrem Thema. Fortan richtete sich der Fokus auf einzelne Künstlerinnen, vornehmlich der Moderne. Ausstellung folgte auf Ausstellung, Katalog auf Katalog. Mit geringen Mitteln, viel ehrenamtlichem Engagement und immer wieder neu beantragten Projektfinanzierungen etablierte sich ein weltweit einzigartiges Museum: Anlaufstelle für Interessierte, Knotenpunkt für Netzwerkerinnen und Auffanglager für weibliche Kunst. Die langjährige Chefkuratorin Marion Beckers und Elisabeth Moortgat aus dem Vorstand bewiesen enorme Hartnäckigkeit. Vielfach glich die Wiederentdeckung vergessener Namen einer Detektivrecherche. Werke wurden in Privatsammlungen, Depots und Nachlässen aufgespürt, verwischte Lebensspuren rekonstruiert. Etwa bei Künstlerinnen jüdischer Herkunft, die durch Exil und Verfolgung zusätzlich in Vergessenheit gerieten.

 Der 1909 geborenen Man Ray-Schülerin und Ullstein-Fotografin Marianne Breslauer widmete das Verborgene Museum 1987 eine Ausstellung. Zwei Jahre später zog die Berliner Nationalgalerie mit einer Soloschau nach. Es blieb nicht der einzige wichtige Impuls, den das Verborgene Museum setzen konnte. Stolze Bilanz nach 35 Jahren: Rund 150 Künstlerinnen konnten der Öffentlichkeit vorgestellt werden. 

Am Anfang standen manchmal Dachbodenentdeckungen oder Nachlässe - so auch bei der Expressionistin Ilse Heller-Lazard. Ein Nachkomme der Künstlerin kam auf das Verborgene Museum zu. Einen wichtigen Schwerpunkt der Ausstellungstätigkeit bildeten die Fotografinnen. Denn die junge Bildkunst bot vielen Frauen seit der Jahrhundertwende ein Betätigungsfeld. Lotte Jacobi, Eva Besnyö, Ré Soupault, Gerta Taro, Frieda Riess und viele bekamen im Verborgenen Museum eine Plattform, oft erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg. Kooperationen mit internationalen Partnern, Stiftungen und Museen machten es möglich. Auch die erste Retrospektive von Alice Lex-Nerlinger, der politisch engagierten Malerin und Fotomonteurin, fand hier statt. 

Ein echter Coup war die phänomenale Wiederentdeckung von Lotte Laserstein. Heute wird ihr Name, etwa von der Nationalgalerie, mit Dix und Kirchner in einer Reihe genannt. 2003 versammelte das Verborgene Museum erstmals ihre weltweit verstreuten Gemälde, in Kooperation mit dem Stadtmuseum. Das wirkte und zwar nachhaltig. Lasersteins großes Hauptwerk „Abend über Potsdam“ wurde 2010 von der Kulturstiftung der Länder für die Nationalgalerie angekauft. Die Berlinische Galerie legte 2019 mit einer großen Retrospektive nach. Sichtbarkeit braucht Hartnäckigkeit. 

Jetzt übergeben die Macherinnen des Verborgenen Museums den Staffelstab an die Berlinische Galerie. Also: weiter geht´s! Dranbleiben! Der Wechsel vom Hinterhof in die große, etablierte Institution bietet die Chance auf mehr Reichweite, birgt aber auch die Gefahr, dass der Elan versickert. Ein schöner Einstand war die Ausstellung der ungewöhnlichen Bildhauerin Louise Stomps. Ihre bis zu drei Meter hohen Großformate aus Buche, Föhre oder Obstbaumholz faszinieren mit extrem reduzierter, ausdrucksstarker Figürlichkeit. Es war die erste Soloschau der mit 88 Jahren verstorbenen Berliner Künstlerin: initiiert vom Verborgenen Museum.

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