Translate

Mittwoch, 16. Dezember 2020

Wahlberlinerin mit Courage – ein Frankfurter Buntbuch über Bettine von Arnim

Von Michael Bienert   Sehr versteckt hängt im Haus der Kulturen der Welt eine der üblichen Berliner Gedenktafeln aus KPM-Porzellan zur Erinnerung an Bettine von Arnim. Sie wohnte ab 1847 bis zu ihrem Tod 1859 in einem verschwundenen Haus am Tiergartenrand mit der Adresse In den Zelten 5. Doch es gibt noch mehr verschwundene Adressen – nicht weniger als 16 Wohnorte Bettines in Berlin lassen sich nachweisen und weisen sein als Wahlberlinerin aus. Geboren in Frankfurt am Main, fühlte sie sich in der Geselligkeit der preußischen Hauptstadt wohler als in der Abgeschiedenheit von Schloss Wiepersdorf, wo ihr Mann, der Dichter Achim von Arnim, ein Gut bewirtschaftete – und wo Bettine begraben liegt.

Dass auch das Leben in der Hauptstadt idyllisch sein konnte, dokumentiert ein Brief der eben verheirateten Ehefrau aus der ersten gemeinsamen Wohnung des Paares in der Wilhelmstraße, adressiert an Goethe am 8. Mai 1811: „Ich wohne hier in einem Paradies! Die Nachtigallen schmettern in den Kastanienbäumen vor meinem Schlaffenster, und der Mond, der nimmer so hell geschienen, weckt mich mit vollen Strahlen (…): von morgens früh an gehe ich der Musik nach, und Arnim treibt seine eigenen Geschäfte; gegen Abend bearbeiten wir ein kleines Gärtgen hinter unserem Häuslein, das mitten in einem großen Garten steht; und nun! Philemon und Baucis konnten nicht ruhiger leben.“

Das Ehepaar hatte mehrere Kinder, lebte sich aber in den folgenden Jahren ziemlich auseinander. Die schöpferische Energie der musisch begabten und politisch interessierten Bettine drohte zwischen Erziehungs- und Hausarbeit zu ersticken. Erst als Arnim 1831 plötzlich an einem Schlaganfall starb, da war Bettine 45 Jahre alt, begann ihr Eigenleben als Schriftstellerin. Als Adlige ergriff sie in ihren Büchern Partei für die Benachteiligten, für die Selbstbestimmung der Frauen, für die politische Mitsprache der Bürger und Arbeiter, und versuchte dem preußischen König die Augen für die Not der Armen öffnen. Sie machte sich damit angreifbar und wurde bespitzelt, wie aus einem Geheimdienstbericht von 1847 über die Berliner Salons hervorgeht: „Die Tendenz der Teegesellschaften ist eine sozialistische, indem die Versammelten sich vorzugsweise über ein in Wesen und Form zu verbesserndes Lebens unterhalten und besprechen. Vorzüglich ist es das weibliche Geschlecht, das sich nach der Befreiung von den Fesseln des Herkommens, der Mode der Konvenienz sehnt. Unter allen Frauen dieser Art in Berlin, die einen öffentlichen Ruf genießen, ist Bettina von Arnim unstreitig die erste und bedeutendste. Daß ihre Abendzirkel den bezeichneten Charakter haben, ist hier allgemein und selbst dem Hofe bekannt.“

Sonja Hilzinger gibt in ihrem Frankfurter Buntbuch eine knappe, schön illustrierte Einführung in Leben und Werk, die das Moderne, das Unbequeme und Mutige in Bettines gelebtem Lebensentwurf unterstreicht.

Sonja Hilzinger: „Herzhaft in die Dornen der Zeit greifen…“ Bettine von Arnim in Berlin (1810-1859), Frankfurter Buntbuch 67, Verlag für Berlin-Brandenburg 2020, 32 Seiten, 23 Abbildungen, Broschur mit Schutzumschlag, ISBN: 978-3-947215-94-2, € 8,00.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen