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Donnerstag, 22. Dezember 2016

Pumpernickel und andere Merkwürdigkeiten aus der Provinz. Ein Buch über westfälische Erinnerungsorte

Typisch Westfalen:
Windmühle in Holzhausen
Foto: Bienert
Von Elke Linda Buchholz - 350 km liegt die Porta Westfalica von Berlin entfernt. Aber in Gedanken ist man auch als Hauptstadtbewohner in Nullkommanix da. Erinnerungen tragen weit und fern: Auch sie sind Markierungen, Einschreibungen, Orte, an die man zurückkehren kann. Sofern sie nicht im Nebel der Vergangenheit verblassen und verschwinden. Um sie anzupeilen, hilft Information.

Punktuelle Tiefenbohrungen ins unwägbare Reich des Westfälischen unternehmen die über 40 Autoren des jetzt erschienenen Bandes "Westfälische Erinnerungsorte", herausgegeben von Lena Krull. HistorikerInnen und StudentenInnen haben sich mehr als drei dutzend Aspekte herausgepickt aus dem weitläufigen Terrain. Zwei Seminare der Uni Münster schoben das Projekt an. Tatsächlich ansteuerbare "Orte", wie der Teutoburger Wald oder der Möhnesee sind auch dabei. Vor allem aber geht es, im Sinne der "lieux de mémoire" des französischen Historikers Pierre Nora, um Abstrakta, um historische Ereignisse und prägende Phänomene, die Westfalen im Denken der Gegenwart markieren. Und das kann auch der westfälische Pumpernickel sein. Wo kommt eigentlich dieser komische Name her? Aus dem Französischen womöglich? Und was ist so westfälisch an dem grobschlächtigen Brot, das mindestens 16 Stunden nur aus Roggenkörnern, Wasser und Salz gegart wird? Schon im 16. Jahrhundert lag das westfälische Backwerk einem durchreisenden italienischen Humanisten schwer im Magen, wie man erfährt.

Die Porta Westfalica selbst rückt durch handfeste denkmalpflegerische Aktivitäten derzeit ohnehin buchstäblich wieder stärker in den Blick. Dort, wo der Weserlauf schon im Jurazeitalter sich seinen Weg durch den Riegel von Wiehen- und Wesergebirge bahnte – was im Volksglauben nur mit Teufels und Gottes Eingreifen geschehen sein konnte –, platzierte die Kaiserzeit ein kapitales Kaiser-Wilhelm-Denkmal. 1896 weihten 20.000 mit Sonderzügen angereiste Gäste und Kaiser Wilhelm II. es bei Sturm und Regen ein. Der riesige Trumms wilhelminischer Denkmalskunst harrte in den Nachkriegsjahrzehnten als Sonntagsausflugsziel hoch oben auf dem Berg aus, wenig geliebt, aber eben vorhanden und rundum zunehmend zugewuchert von Baum- und Buschwerk. Neuerdings wird das architektonische Renommierstück durch den Eigentümer, den Landschaftsverband Westfalen-Lippe, aufwendig saniert, freigeschnitten, durch Ausgrabungen arrondiert und wieder samt Vorplatz und Substruktionen in seinen imposanten Maßen erlebbar gemacht. Ein riesiges Restaurant im Sockelgeschoss soll Ausflügler verköstigen, die, so hofft man, in Massen strömen werden. Bühne der Erinnerung oder kommerzielles Highlight? Auf dem mattschwarzen Cover glimmt das Wahrzeichen als schimmernd neongrüne Architekturzeichnung, als sei es ein virtuelles Luftschloss.

Lena Krull (Hg.)
Westfälische Erinnerungsorte
Beiträge zum kollektiven Gedächtnis einer Region
Ferdinand Schönigh Verlag, 2016
592 Seiten, zahlreiche Abbildungen, 34,90 Euro

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