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Montag, 7. November 2016

Blind Date mit dem Hasen - Cornelia Schleime erhält den Hannah-Höch-Preis - Ausstellung in der Berlinischen Galerie

Cornelia Schleime (2010). Foto: E. L. Buchholz
Von Elke Linda Buchholz - Da sind feine Störungen. Die makellose Haut des jungen Mädchens wird schrundig. Die Malschicht raut auf. Der sahnige Farbauftrag stockt, als dürfe es keine allzu glatten Oberflächen geben. Die klassischen Schönheitsvorstellungen, sinnlichen Frauenblicke und romantischen Motivassoziationen beherrscht die Malerin Cornelia Schleime: Sie kann sie aufrufen, ganz nach Wunsch. Aber immer schleicht sich in ihre großformatigen Gemälde sogleich Ironie ein, eine Lust an Brüchen, ein Misstrauen gegenüber einheitlicher Ästhetik und geschlossenen Bildwelten.
Cornelia Schleime ist eine Künstlern, die seit vielen Jahren am klassischen Pinselmetier festhält. Märchenhaftes bevölkert ihre hybriden Gemälde: Rehlein, Froschbein, Mädchenzopf, Möwenflug. Frauengesichter im Close-Up verschwistern sich mit Anleihen aus Tierreich. Darin nistet auch Erotik. Es geht ums Jagen und Gejagtwerden, ums Verletzlichsein und Gefährlichsein. Auch dem Papst Wojtyla ist die Malerin, selbst katholisch erzogen, zwar in einer Bildserie schon auf den Leib gerückt. Aber ansonsten dominieren bei ihr die Frauen. Sie proben Rollen und Posen, vollführen Metamorphosen. Sie tragen Geweih oder Federn, Schlangenleib oder Rattenkrallen. Jede dieser Rehfrauen, Zopfmädchen und Handschuhträgerinnen könnte die Künstlerin selbst sein. Bei aller mädchenschlanken Zartheit stattet sie ihre Geschöpfe mit einer sehr widerständigen Kraft aus. Furchtlosigkeit blickt einem aus den Augen dieser Frauen entgegen. Sie verführen. Und irgendwas in ihnen ist gefährlich.
Dass Schleime nicht nur im Grenzbereich zwischen Innen- und Außenwelten navigiert, sondern auch in Sprachbildern denkt, verraten Werktitel wie "Wer aus mir trinkt, wird ein Reh", "Die Nacht hat Flügel" oder "Leise spricht die Zunge". Auch einen Roman hat sie schon geschrieben. Er heißt "Weit fort", bearbeitet aber autobiographische Erfahrungen, die der Künstlerin allzu nahegingen. "Ein Wimpernschlag" nennt Schleime nun ihre längst überfällige Retrospektive, die ihr die Berlinische Galerie in diesem Herbst widmet. Der federleichte Titel nimmt dem Anlass seine Wucht: Geehrt wird Schleime für ihr Lebenswerk mit dem Hannah-Höch-Preis, dem wichtigsten Kunstpreis des Landes Berlin. Man bekommt ihn erst nach dem 60. Geburtstag. Rückschau also ist angesagt. (Augenblicke, Blinzeln, ein Leben im Zeitraffer. Doch Vorsicht.) "Inszenieren tu ich mich immer", meinte die Künstlerin einmal in einem Dokumentarfilm: "Ich glaube, damit bin ich schon zur Welt gekommen."
Seit über einem Jahrzehnt hat sich die Großstadtpflanze Schleime dem Biotop Berlin entzogen. Ihr Prenzlberger Wohnatelier steuert sie nur noch sporadisch an. Ansonsten schätzt sie Freiraum und Freiblick im Ruppiner Land. Dort auf dem Dorf hat sie ein altes Gemäuer bezogen, das sich hinten zum freien Feld öffnet. Ohne Grenzen. Geboren wurde Schleime 1953 in Ostberlin. Nicht sehr regimetreu sei ihre Familie gewesen, verrät sie. Aber die Neugier zur frühen Biographie speist die Künstlerin mit wenigen Stichworten ab: Friseurlehre, Maskenbildstudium (abgebrochen), Pferdepflegerin auf der Vollblutrennbahn in Dresden. Wichtiger wird, was dann kommt: Fünf Jahre Kunststudium in der DDR machen Cornelia Schleime zum Teil einer aufmüpfigen Untergroundszene, die sich in Punk, Performances und Atelierausstellungen sich eine eigene Öffentlichkeit kreiert. Ausstellungsverbote bremsen Schleime aus. Sie antwortet mit Kopfeinschnürungen, Körperbemalungen, festgehalten auf Fotos und experimentellen S8-Filmen. Dass der Staat immer mitmischte und selbst das Privateste unterminierte, zeigte sich später, als der Freund Sascha Anderson sich als Stasispitzel entpuppte. Mittlerweile hat Schleime sich mit ihm ausgesöhnt, wie sie unlängst zu Protokoll gab. Was sie vor ihrer 1984 ertrotzten Übersiedlung in den Westen malte, zeichnete und filmte, ist nahezu komplett verschollen. Eine Leerstelle klafft im Oeuvre. Ein paar Fotos, Filmrollen und Reisetagebücher dokumentieren Bruchstücke davon. Und Spuren von Erfahrungen bleiben immer. Die Narben tragen ihre Protagonistinnen noch auf der Haut. Vielleicht sind es diese merkwürdig schrundigen Partien in Schleimes Gemälden aber auch nur Störfelder, bewusst eingebaut, um den Betrachter nicht einzulullen, sondern wachzuhalten. Wachsam und empfänglich für die Untertöne, die Fragen, die diese Bilder stellen und partout nicht beantworten wollen.
Eine Schlüsselszene Schleimes wiederholt sich seit Jahren an verschiedenen Schauplätzen, als One-Woman-Performance: Eine Frau zieht an ihren überlangen Zöpfen einen Kinderwagen hinter sich her. Sie passiert 1993 im buntgetupften Minirock das Haus eines Stasi-Offiziers, streift 2009 barfuß über Brandenburger Stoppelfelder, taucht 2010 in die Ostseebrandung ein, schreitet 2015 in Pelzstiefeln die Orangerie von Schloss Putbus ab. Die Geschichte ist nicht zu Ende. Die Erinnerungen im Schlepptau, geht es voran.

Ausstellung in der Berlinischen Galerie vom 25.11.2016 bis 24.4.2017 http://www.berlinischegalerie.de/ausstellungen-berlin/vorschau/cornelia-schleime/

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