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Samstag, 14. Mai 2016

Im Theater (61): "Berlin Alexanderplatz" am Deutschen Theater

Von Michael Bienert - Die Hälfte des Publikums verlässt den Saal schon in den beiden Pausen, die der Regisseur Sebastian Hartmann zuschauerfreundlich in seine Viereinhalb-Stunden-Adaption des berühmtesten Berlin-Romans eingeschaltet hat. An den Schauspielern des Deutschen Theaters liegt es nicht: Ob als perfekt disponierter Chor, ob in Spielszenen oder Monologen, in den ausgefeilten Auftritten reiht sich Kabinettstückchen an Kabinettstückchen, wird Döblins Roman Berlin Alexanderplatz als Sprachkunstwerk beim Wort genommen und zum Leuchten gebracht. Ja, auf eine vertrackte Art und Weise hält diese collagehafte Nummernrevue dem Autor Döblin und seinem Roman die Treue, so sehr, dass ein großer Teil des Publikums frustriert kapituliert. Aber ist es nicht, Hand aufs Herz,  vielen Lesern ebenso ergangen? Döblins Erzählen arbeitet gegen die naturalistische Zurichtung der Wirklichkeit an, es ist sprunghaft, ausufernd, anarchisch und auch selbstironisch. Eine ähnliche Verweigerungshaltung gegen das Gefällige, Geordnete und Erwartbare strukturiert diese Inszenierung.
Weder wollen Hartmann und das Ensemble die allbekannte Geschichte vom Franz Biberkopf noch einmal chronologisch nacherzählen, noch die Großstadtatmosphäre mit den Mitteln des Theaters simulieren, so wie es Döblin mit seiner Montagetechnik im Roman gelingt. Das Publikum blickt auf eine kühle Versuchsanordnung, auf grelle weiße Wände aus Leuchtstoffröhren, die vor dem nackten Rundhorizont der großen Bühne hin- und hergerollt werden. Sie dient als Projektionsfläche für Videoanimationen (von Thilo Baumgärtel), die auf surrealen, bisweilen kindlich verspielten Schwarz-Weiß-Zeichnungen beruhen. Ein Berliner Hinterhof ist da mal erkennbar, auch die Kostüme (Adriana Braga Peretzki) und der brachiale Dialekt zitieren die Stadt der Zwanziger Jahre, doch ist das nicht Endzweck der Inszenierung, sondern nur Spielmaterial. Gar keine Rolle spielt hier der reale oder historische Alexanderplatz: Er ist lediglich als kreisrunde Spielfläche und Schriftzug vorhanden. Viele ernster als die Berliner Topografie nimmt die Aufführung die vielfältigen mythologischen Verweise, durch die Döblin die Biberkopf-Story mit Bedeutung auflädt: Der Tod, Hiob, Abraham und Isaak, die Engel sind die Hauptfiguren neben Biberkopf. Der Schlachthof und die Irrenanstalt sind die Hauptschauplätze, auf denen die Frage verhandelt wird, wie viel ein Mensch von sich opfern muss, um als sehender und fühlender Zeitgenosse durchs Leben zu gehen.
Denn blind hat Franz Biberkopf seine Braut Ida erschlagen, so triebblind wie er nach Verbüßung seiner Haftstrafe wieder an die Tür - hier eine Blechkiste - ihrer Schwester Minna klopft. Andreas Döhlers Biberkopf spielt mehr den Zuhältertyp als den gutmütigen Transportarbeiter, lebenshungrig stürzt er sich auf die Frauen, die das Schicksal ihm zuspielt. Katrin Wichmann als Minna (und später als Mieze) gibt die resolute  Berlinerin, die sich mit Händen, Füßen und Mundwerk gegen die Kerls zu wehren weiß und am Ende trotzdem unterliegt. In einem fortgeschritteneren Stadium der Aufführung schlüpfen Felix Goeser und Wiebke Mollenhauer in die Rollen des vierschrötigen Biberkopf und der zarten Mieze, die für ihn anschaffen geht, nachdem er einen Arm verloren hat. Der stotternde Reinhold (Edgar Eckert), Miezes Mörder, bleibt als hübscher Kerl mit Lockenfrisur und Migrationshintergrund eine Nebenfigur. Moritz Grove kommentiert das Geschehen als Conférencier wie auf einem billigen Rummelplatz, Michael Gerber und Gabriele Heinz gelingen stillen, intensive Momente als Hiob und alte Erzählerin. Almut Zilcher als Tod rennt in einem zähen Showdown gegen den passiven Widerstand Franz Biberkopfs an, der sich weigert, ein anderer Mensch zu werden. 
Die Wandlung zu einer gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit hatte Döblin als Fluchtpunkt vor Augen, glaubte aber dieses Ziel selbst verfehlt zu haben, als er den fertigen Roman las. In der Aufführung wird Biberkopfs Wandlung im Schlussbild vom Chor behauptet, plausibler als im Roman wird sie dadurch nicht. Eine Empfindung von Ratlosigkeit, mit der man das Buch aus der Hand legt, bleibt auch nach dieser sorgfältigen Adaption. Sie schlachtet Döblins Roman nicht bloß fürs Theater aus, macht kein gefälliges Berlin-Stück daraus, sondern arbeitet sich tatsächlich an seinen Widersprüchen und Widerständen ab. Zum Spielplan des Deutschen Theaters  

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