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Mittwoch, 6. August 2014

Saufen & Schreiben in Friedenau

Manuskriptseite aus Max Frischs Berliner Journal
Es ist nicht alles Gold, was im Safe liegt. Die Pappschachtel mit dem Berliner Journal wollte Max Frisch erst 20 Jahre nach seinem Tod geöffnet wissen. Entsprechend groß die Neugier: Was hatte er in den Aufzeichnungen aus den Jahren 1973 bis 1980 zu verbergen? Es ist die Lebensphase, in der Frischs zweite Ehe zerbricht. Davon handelt ein Teil der Dokumente, doch ins Schlafzimmer erlaubt die Edition der Nachlassverwalter keinen Blick – aus persönlichkeitsrechtlichen Gründen. Sie setzt mit dem Februar 1973 ein, als Frisch eine Wohnung im Berliner Stadtteil Friedenau bezieht, mit Hilfe von Uwe Johnson, der dort ebenso um die Ecke wohnt wie Grass und Enzensberger. Die Buchausgabe schließt mit dem Sockenkauf vor der Abreise in die USA im Frühjahr 1974, wo Frisch eine Affäre mit einer weit jüngeren Frau hatte; was dazu führte, dass das Schreibprojekt Berliner Tagebuch unabgeschlossen blieb und das Buch Montauk entstand. Also handelt es sich beim Berliner Journal um ein unvollendetes Werkmanuskript in der Nachfolge der zu Lebzeiten Frischs publizierten Tagebücher. Beim Schreiben seiner Friedenauer Prostückli schielte der Autor bereits in Richtung Leser, das macht ihre Stärke und Schwäche aus. Sie wirken leichthändig, nah am Alltag des alternden Schriftstellers, und sind doch disziplinierte, kunstvolle Prosa. Was Frisch über die Literaturszene im geteilten Berlin berichtet, ist weder entlarvend, noch verletzend. Kaum überraschend, dass er als Schriftsteller über Sechzig mit Gedächtnislücken kämpft und nicht mehr so feurig-sinnlich auf die Schreibmaschine einhämmert früher. Und dass Günter Grass mit seinem politischen Eifer den Nachbarn auf die Nerven geht: „Ich treffe kaum jemand, der mit Sympathie von ihm spricht, das Freundlichste ist Bedauern.“ Max Frisch verkonsumiert bedenklich viele Weinflaschen mit Uwe Johnson, er trifft Christa und Gerhard Wolf, besucht den Dissidenten Wolf Biermann und verhandelt mit DDR-Literaturfunktionären in Ost–Berlin. Wie wach, neugierig, vorurteilsfrei der Erfolgsautor aus dem Westen ihnen begegnet, ist durchaus erhellend. Aber erst die vorbildliche Kommentierung der Blätter durch Thomas Strässle macht das Buch zu einem wirklich inhaltsreichen Zeitdokument der jüngeren Literaturgeschichte.

Max Frisch
Aus dem Berliner Journal
Herausgegeben von Thomas Strähle
Suhrkamp Verlag, 240 Seiten, 20 Euro 
ISBN: 978-3-518-42352-3

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