Translate

Freitag, 22. März 2013

Die Erschütterung der Sinne - im Dresdner Albertinum

Der Katalog hat 216
Seiten und kostet
29,90 Euro
Von Elke Linda Buchholz. Mit letzter Kraft erreicht der erschöpfte Räuber die Wasserquelle und beugt sich tief hinab, um das erfrischende Nass zu schlürfen. Hinter ihm erstreckt sich wüstes Land, menschenleer. So wie der nach Wasser lechzende Brigant auf Eugène Delacroix' um 1825 gemaltem Bild streben die Künstler der Gegenwart in die großen Museen, zu ihren Vorgängern, um sich daran zu laben. Das jedenfalls behauptet die Dresdener Ausstellung 'Die Erschütterung der Sinne'. Mit knapp achtzig Werken aus zweihundert Jahren will sie erkunden, wie das Museum als Ort der Inspiration funktioniert. Der dänische Maler Per Kirkeby bekannte, er gehe ins Museum, um zu klauen. Auch für Cézanne war, neben der Natur, der Louvre der größte Lehrmeister.

Der Kurator Ulrich Bischoff hat sich zum Abschied nach zwanzig Jahren als Sammlungschef der Neuen Meister im Albertinum ein Experiment gegönnt, das er eigentlich schon immer machen wollte. Ältere und neue Kunst will er miteinander ins Gespräch bringen, gewohnte Kategorien durchbrechen, eben: die Sinne erschüttern. Vier Maler der Umbruchzeit um 1800 hat er als Impulsgeber der Moderne ausgewählt: Delacroix, Constable, Goya und Caspar David Friedrich. Er sieht sie als 'Lokomo­tiven', die auf unterschiedlichen Gleisen jeweils 'drei Waggons' in die Gegenwart schieben. Der Dresdener Romantiker Friedrich wird mit dem dänischen Interieurmaler Vilhelm Hammershoi, dem abstrakten Mark Rothko und Gerhard Richter auf eine Schiene gesetzt: Meister des Zwielichts und der Stille allesamt.

Der englische Landschafter Constable tritt mit seinen frischen Naturbeobachtungen als Gewährsmann für Menzel, Liebermann und den subtilen Videokünstler David Claerbout auf. Als große Figurenmaler begegnen sich Goya, Manet, Max Ernst und der Fotograf Jeff Wall. Ein spannendes Konzept. Bischoff erhielt dafür hochkarätige Unterstützung durch Leihgaben aus der Tate London, dem Louvre und dem Prado, auch wenn Delacroix leider nicht mit seinen machtvoll 'erschütternden' Riesenformaten, sondern eher durch kleinere Nebenarbeiten vertreten ist.

Statt jedoch seinem kunsthistorischen Konzept zu trauen, holte sich der Dresdener Sammlungschef den belgischen Maler Luc Tuymans als Co-Kurator an Bord, der bereits mehrfach Museumspräsentationen kuratiert hat, zuletzt 2011 eine große Schau in Brügge. Tuymans, ein Kenner und Liebhaber der klassischen Malkunst, insbesondere Jan van Eycks, befand: 'Meiner Meinung nach gibt es keine Entwicklung in der Malerei, es gab niemals eine. Es ging immer um dieses Filtern von Raum und Zeit.' Er ging daran, die wohlgeordnete Exponateliste Bischoffs kräftig durchzumixen und dessen Vierergruppen zu zerschreddern.

Nun trifft man in jedem Raum auf ein illustres Stelldichein von Werken in diversen Formaten, Stilen, Gattungen. Als Blickfang steht da etwa ein vom Regen durchnässter junger Mann in Turnschuhen vor einer Betonwand, fotografiert von Jeff Wall. Der kanadische Fotokünstler, ein studierter Kunsthistoriker, ließ sich von klassischen Adelsporträts zu seiner lebensgroßen Schwarz-Weiß-Aufnahme anregen. Tuymans hängt eine sitzende 'Dame in Rosa' von Manet dazu. Doch sie blickt eigensinnig in eine andere Richtung. Es mag sich kein rechter Dialog zwischen beiden Werken entspinnen. Mit der gegenüber platzierten abstrakten Farbfeldkomposition von Marc Rothko hat Walls Fotoarbeit höchstens die zurückhaltend grautonige Farbigkeit gemein. Dafür passt die radikal reduzierte Rothko-Komposition auf überraschende Weise zu einer fast leeren Gebirgslandschaft von Caspar David Friedrich. Dessen Bilder wurden zu seiner Zeit auch als gegenstandslos empfunden. Gerhard Richter gesellt sich mit einer verwischten Berglandschaft dazu. Außerdem wären da noch zwei handtellergroße Genreszenen von Goya auf hauchdünnem Elfenbein, ein Erdbeerstillleben Manets und eine düstere Entführungsszene von Delacroix. Alles klar? Nach dem teils vergeblichen Versuch, die Werke zueinander in Bezug zu setzen, fühlt man sich wie der von Jeff Wall fotografierte Turnschuhträger im Regen: ratlos. Statt sich gegenseitig zu erhellen, stehen die Werke fremd nebeneinander.

Natürlich, irgendeine Verbindung findet sich immer, und sei sie noch so banal. Max Liebermanns Arzt Ferdinand Sauerbruch sitzt ebenso schräg im Bild wie die surreal 'Schwankende Frau' von Max Ernst. Per Kirkebys naturhafte Farbstrukturen wirken wie eine vergröberte Antwort auf Cézannes Pinselführung. Und ähnelt der von Delacroix porträtierte Maler Léon Riesener nicht auf vertrackt-verblüffende Weise dem dunkelhaarigen Passanten, den Jeff Wall 2008 auf einer Straße in Vancouver ablichtete?

Adolph Menzel wäre sicher erfreut gewesen, seine Landschaften zusammen mit dem von ihm bewunderten Constable ausgestellt zu sehen. Beiden Malern ging es, wie der Katalog klug ausführt, darum, das Flüchtige eines Moments und einer momentanen Wahrnehmungserfahrung festzuhalten. Doch die Ausstellung verzichtet darauf, dies unmittelbar im Vergleich erfahrbar zu machen: Beide Künstler hängen gerade nicht im selben Raum. Auch erfährt man nicht, was Manet nun eigentlich an Goyas Figurenbildern faszinierte und warum er Delacroix' 'Dante und Vergil' im Louvre kopierte.

Sein Ziel als Kurator, so verriet Tuymans, sei es gewesen, eine Ausstellung zu machen, die das Publikum nicht unterschätzt. Bewusst legt er es darauf an, falsche Fährten zu legen. Oder er sucht die Bezüge so sehr zu verwischen, dass es nahezu unmöglich wird, sie zu sehen. Auch als Maler ist Tuymans ein Spezialist der unterschwelligen Anspielung. Sein blasstoniges Gemälde 'Der Architekt' aus der Sammlung des Albertinums zeigt einen gestürzten Skifahrer auf der Piste. Es ist Hitlers Baumeister Albert Speer, gemalt nach alten Filmaufnahmen. Verwisch die Spuren.


Bis 14. Juli immer Dienstag bis Sonntag 10-18 Uhr geöffnet.


Informationen zur Ausstellung unter www.skd.museum/erschuetterung


Erstdruck: STUTTGARTER ZEITUNG v. 22. März 2013

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen