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Sonntag, 29. Oktober 2017

Yolla Niclas und Alfred Döblin

Bauarbeiter in Berlin, um 1930
Foto: Yolla Niclas (aus dem
besprochenen Band)
Der Frankfurter Literaturwissenschaftler und Fotohistoriker Eckhardt Köhn untersucht in einer Monographie luzide die langjährige Beziehung Alfred Döblins zu seiner Freundin und "Schwesterseele" Yolla Niclas. Dabei kommt sie nicht nur als Anhängsel der literaturwissenschaftlichen Forschung, sondern als eigenständige Künstlerpersönlichkeit zu ihrem Recht.

Am 24. Februar 1900 wurde Charlotte Niclas in Berlin als Tochter eines jüdischen Kaufmanns geboren, mit 20 lernte sie auf einem Ball den mehr als doppelt so alten verheirateten Arzt und Dichter Alfred Döblin kennen: der Anfang einer für beide ebenso beglückenden wie schmerzhaften Beziehung, da es für Döblin unmöglich war, sich von seiner Frau und den Kindern zu trennen, trotz der seelischen Übereinstimmung, die er im Zusammensein mit der jüngeren Freundin empfand. Etwa um dieselbe Zeit schloss Niclas eine Ausbildung zur Fotografin beim Lette-Verein ab und arbeitete zunächst als Standfotografin beim Film für den innovativen Kameramann Karl Freund. Bald machte sie sich in Berlin selbständig und fand Anerkennung als Porträt- und Werbefotografin. So stellte die Zeitschrift Gebrauchsgrafik ihre Arbeit 1932 auf sechs Seiten vor, und auch im Pariser Exil konnte Niclas bis zum Einmarsch der Deutschen ihren Lebensunterhalt als Fotografin verdienen. Niclas´ Fotos von Berliner und Pariser Alltags- und Straßenszenen lassen ein Interesse am städtischen Alltag erkennen, das sie mit Döblin teilte. Leider ging ihr gesamtes fotgrafisches Frühwerk im Zweiten Weltkrieg fast vollständig verloren, ebenso wie zahllose Briefe, die ihr Döblin geschrieben hat.
Aus dem besetzten Frankreich gelang Yolla Niclas, inzwischen mit einem aus Deutschland geflohenen jüdischen Rechtsanwalt verheiratet, die Flucht in die USA, wo sie ihrer großen Liebe wiederbegegnete. Nach großen Startschwierigkeiten konnte sie in der USA bald wieder als Fotografin reüssieren, empfohlen von dem berühmten Alfred Stieglitz, der ihr Werk als "all fresh and her own" lobte. Niclas´ letzte großen Arbeiten waren Kinderbücher mit anspruchsvollen Fotoerzählungen; sie starb 1977, zwanzig Jahre nach Döblin.
Köhns Publikation in der Reihe "Fotofalle" ist für Döblin-Liebhaber und -Forscher schon deshalb ein Muss, weil hier erstmals Niclas´ eigene Erinnerungen an ihre Freundschaft mit Döblin in Gänze nachzulesen sind; sie hatte das Manuskript noch zu Lebzeiten dem Deutschen Literaturarchiv anvertraut und bis 2005 gesperrt. Der Herausgeber Eckhardt Köhn zieht in seinem detektivischen Essay weitere Quellen und Werke Döblins heran, um dieser unauflösbaren Liebesbeziehung auf die Spur zu kommen. Das Gefühl seelischer Verbundenheit hat den Dichter in seiner naturphilosophischen Annahme bestärkt, es existiere eine geheime Einheit der beseelten Natur; ähnlich hat Yolla Niclas selbst ihre Bindung an Döblin über den Tod hinaus interpretiert. In seinem letzten Brief verabschiedete Döblin sich von ihr mit den Worten: "Ich eine kleine Wolke am Himmel."

Eckhardt Köhn (Hg.)
Yolla Niclas und Alfred Döblin
Fotofalle 3, 140 Seiten, zahlreiche Abbildungen
Edition Luchs, Lautertal 2017, 24 Euro
ISBN  978-3-00-057707-9

Bestellbar über:
Edition Luchs
An der Teichmühle 15
36369 Lautertal
edition.luchs@gmx.de

Donnerstag, 26. Oktober 2017

Döblins Pankow

In der ehemaligen Irrenanstalt in Buch hat
Alfred Döblin als junger Assistenzarzt gearbeitet.
Foto aus DÖBLINS BERLIN.
Was hat Alfred Döblin mit Pankow zu tun? Das wollte Christian Hönicke für den Tagesspiegel-Newsletter Pankow wissen, der heute per Mail verschickt wurde. Anlass ist das Erscheinen des Buches DÖBLINS BERLIN von Michael Bienert: 

Hönicke: Herr Bienert, wo hat Sie Döblin hingeführt?

Bienert: Döblin war vor allem „Ostler“, so nannte er sich einmal selbst. Er kannte das ansässige Arbeitermilieu im Ostteil der Stadt aus erster Hand und hat es präzise und unideologisch mit allen Widersprüchen beschrieben, etwa in seinem großen Revolutionsroman „November 1918“. Sein Lebensmittelpunkt war lange die Gegend um die Frankfurter Allee. Aber natürlich verschlug es ihn auch über die Bezirksgrenzen, nach Lichtenberg, Kreuzberg und auch ins heutige Pankow.

Hönicke: Ein Kapitel haben Sie seiner Arbeit in Buch im heutigen Bezirk Pankow gewidmet. Welche Rolle spielt die kurze Episode in seinem Leben und seinem Werk?

Bienert: Eine durchaus wichtige. Er hat von 1906 bis 1908 als junger Assistenzarzt in der Städtischen Irrenanstalt in Buch (siehe Fotos) gearbeitet, dort lernte er auch die Pflegerin Frieda Kunke kennen; aus dem Verhältnis ging Döblins unehelicher Sohn Bodo hervor. Später hat er Buch durch „Berlin Alexanderplatz“ zum Schauplatz von Weltliteratur gemacht. Seine alltäglichen Erlebnisse bilden die Grundierung für das große Finale des Romans, für Franz Biberkopfs Ringen mit dem Tod im sogenannten „Festen Haus“ in Buch. In dem wurden psychisch gestörte Kriminelle von den anderen Patienten getrennt untergebracht. Das ist auch deswegen spannend, weil das Haus bis heute dieselbe Funktion hat, obwohl der Rest der Anlage in der Nazizeit zu einer normalen Klinik umgewandelt wurde. Dafür wurde die Mehrzahl der Insassen verschleppt und ermordet.

Hönicke: Welche Orte in Pankow sind noch von Relevanz für Döblins Berlin?

Bienert: In „Berlin Alexanderplatz“ taucht das Obdachlosenasyl Fröbelstraße in Prenzlauer Berg auf, in dem sich heute das Krankenhaus befindet. Ob Döblin je selbst dort war, ist unklar, aber er muss mit Leuten zu tun gehabt haben, die das Asyl kannten. Seine Beschreibungen sind sehr detailliert und kenntnisreich. Der frühere Zentralviehhof im südlichen Zipfel von Prenzlauer Berg wurde durch „Berlin Alexanderplatz“ ebenfalls weltberühmt. Der gehörte quasi zur Nachbarschaft seiner Wohnung in der Frankfurter Allee. Und auf dem Jüdischen Friedhof in Weißensee sind Döblins Mutter und seine Schwester begraben.

Hinweis: Am 7. Dezember liest Michael Bienert um 20 Uhr in der Buchhandlung Chaiselongue in der Dietzgenstraße 68 (Niederschönhauen) aus seinem Buch (Verlag für Berlin-Brandenburg, 192 Seiten, 200 Abb., 25 Euro). Autor und Verlag sind übrigens auch in Pankow ansässig.

Samstag, 14. Oktober 2017

Fahrradfahren in Berlin - 13 Großstadtgeschichten

13 Geschichten ums Fahrradfahren in Berlin aus 130 Jahren: MasterstudentInnen des Studiengangs Historische Urbanistik am Center für Metropolitan Studies der TU Berlin (CMS) haben sie recherchiert und aufgeschrieben. Präsentiert werden die urbanistischen Schlaglichter ab sofort in der Rubrik "Großstadtgeschichten" auf der Website der Zentral- und Landesbibliothek Berlin.
Geleitet hat das Projekt Dr. Dagmar Thorau, mit der Michael Bienert in den vergangenen zwei Jahren am CMS zusammengearbeitet hat: http://grossstadtgeschichten-berlin.de/themen/show/16

Kabinett der Spiegel - Wechselblicke in der Kunstbibliothek

Foto: Museum für Asiatische Kunst – SMB / Maja Bolle 
Im 18. Jahrhundert begeisterte sich Europa mit Teehäusern und Porzellanfiguren für China. Und China kopierte Barockpaläste. Elke Linda Buchholz über eine Ausstellung in der Berliner Kunstbibliothek. Hier lesen

Samstag, 7. Oktober 2017

DÖBLINS BERLIN - LITERARISCHE SCHAUPLÄTZE - ab sofort im Buchhandel

Das neue Buch von Michael Bienert ist aus der Druckerei gekommen und so schön geworden wie  KÄSTNERS BERLIN und E. T. A. HOFFMANNS BERLIN. Das Triple ist also gelungen und von Autor und Verleger (Foto: Leon Buchholz) begossen worden. Bis Weihnachten sind sechs Lesungen in Berlin geplant (Termine siehe rechte Spalte), weitere Veranstaltungen in Vorbereitung.