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Mittwoch, 13. August 2014

Die Museumswohnung in der Reichsforschungssiedlung Haselhorst

Zum Tag des offenen Denkmals wird erstmals die Museumswohnung in der 1930-1935 errichteten Reichsforschungssiedlung Haselhorst zu besichtigen sein, außerdem finden am 13. September Führungen im Haus und der Umgebung mit Michael Bienert statt.
Wir haben die Einrichtung der Wohnung seit über einem Jahr beratend begleitet und einen Kurzführer verfasst, der demnächst als Leporello gedruckt vorliegt. Eine umfangreiche Dokumentation ist Arbeit.
Die Kleinstwohnung wurde sorgfältig im Stil der Bauzeit eingerichtet, mit historischem Badeofen, Kurzbadewanne und Kochmaschine, und vermittelt einen atmosphärisch dichten Eindruck von der damaligen Wohnkultur. Hier finden Sie mehr Infos und Öffnungszeiten.

Foto: Sabine Dobre / Gewobag

Samstag, 9. August 2014

Stadtführer im Trainingslager

Damit dem literarischen Stadtführer im Berliner Fachland nicht die Puste ausgeht, ist er von seinem familiären Trainerteam in diesem Sommer die Berge rund um das Kleinwalsertal hinaufgescheucht worden, bis oben aufs Gottesacker-Plateau. (Foto: Leon Buchholz)

Mittwoch, 6. August 2014

Saufen & Schreiben in Friedenau

Manuskriptseite aus Max Frischs Berliner Journal
Es ist nicht alles Gold, was im Safe liegt. Die Pappschachtel mit dem Berliner Journal wollte Max Frisch erst 20 Jahre nach seinem Tod geöffnet wissen. Entsprechend groß die Neugier: Was hatte er in den Aufzeichnungen aus den Jahren 1973 bis 1980 zu verbergen? Es ist die Lebensphase, in der Frischs zweite Ehe zerbricht. Davon handelt ein Teil der Dokumente, doch ins Schlafzimmer erlaubt die Edition der Nachlassverwalter keinen Blick – aus persönlichkeitsrechtlichen Gründen. Sie setzt mit dem Februar 1973 ein, als Frisch eine Wohnung im Berliner Stadtteil Friedenau bezieht, mit Hilfe von Uwe Johnson, der dort ebenso um die Ecke wohnt wie Grass und Enzensberger. Die Buchausgabe schließt mit dem Sockenkauf vor der Abreise in die USA im Frühjahr 1974, wo Frisch eine Affäre mit einer weit jüngeren Frau hatte; was dazu führte, dass das Schreibprojekt Berliner Tagebuch unabgeschlossen blieb und das Buch Montauk entstand. Also handelt es sich beim Berliner Journal um ein unvollendetes Werkmanuskript in der Nachfolge der zu Lebzeiten Frischs publizierten Tagebücher. Beim Schreiben seiner Friedenauer Prostückli schielte der Autor bereits in Richtung Leser, das macht ihre Stärke und Schwäche aus. Sie wirken leichthändig, nah am Alltag des alternden Schriftstellers, und sind doch disziplinierte, kunstvolle Prosa. Was Frisch über die Literaturszene im geteilten Berlin berichtet, ist weder entlarvend, noch verletzend. Kaum überraschend, dass er als Schriftsteller über Sechzig mit Gedächtnislücken kämpft und nicht mehr so feurig-sinnlich auf die Schreibmaschine einhämmert früher. Und dass Günter Grass mit seinem politischen Eifer den Nachbarn auf die Nerven geht: „Ich treffe kaum jemand, der mit Sympathie von ihm spricht, das Freundlichste ist Bedauern.“ Max Frisch verkonsumiert bedenklich viele Weinflaschen mit Uwe Johnson, er trifft Christa und Gerhard Wolf, besucht den Dissidenten Wolf Biermann und verhandelt mit DDR-Literaturfunktionären in Ost–Berlin. Wie wach, neugierig, vorurteilsfrei der Erfolgsautor aus dem Westen ihnen begegnet, ist durchaus erhellend. Aber erst die vorbildliche Kommentierung der Blätter durch Thomas Strässle macht das Buch zu einem wirklich inhaltsreichen Zeitdokument der jüngeren Literaturgeschichte.

Max Frisch
Aus dem Berliner Journal
Herausgegeben von Thomas Strähle
Suhrkamp Verlag, 240 Seiten, 20 Euro 
ISBN: 978-3-518-42352-3

Uwe Johnsons "Versuch eine Heimat zu finden"

Stierstraße 22, Ecke Hauptstraße:
Hier traf sich Uwe Johnson mit Günter Grass.
Foto: Michael Bienert, Sommer 2014
Noch bis kommenden Freitag widmet sich die Uwe-Johnson-Woche des Literaturforums im Brecht-Haus dem Werk und Leben des vor 80 Jahren geborenen und vor 30 Jahren früh verstorbenen Schriftstellers. Das Interesse ist überraschend groß: Zur Auftaktveranstaltung am vergangenen Sonntag, einem literarischen Spaziergang in Friedenau, wo Johnson von 1959 bis 1974 wohnte, wollten sich etwa 100 Interessenten anmelden - deshalb bieten wir am kommenden Wochenende zwei Zusatztermine an, die auch schon restlos ausgebucht sind.
Um auf dem laufenden zu sein, hat Michael Bienert neben dem im Frühjahr erschienenen Berliner Journal von Max Frisch auch Frauke Meyer-Gosaus neues Buch Versuch eine Heimat zu finden. Eine Reise zu Uwe Johnson konsultiert. Die Autorin hatte Schwierigkeiten, Gesprächspartner für ihr geplantes Buch über Johnson zu finden, denn dieser quer- und starrköpfige Charakter schaffte es mit den Jahren, sich mit fast allen nahen Freunden zu zerstreiten. Also ist sie zu den Lebenstätten Johnsons gereist, ins polnische Darzowice, das noch Darsewitz hieß, als der Autor dort zur Welt kam, durch Mecklenburg und nach Leipzig, hat Friedenau durchwandert, war in New York und auf der abgelegenen Themse-Insel Sheppey, der letzten Station von Johnson Lebensreise. Viele dieser Orte sind seinen Lesern aus dem großen Jahrestage-Roman vertraut. Dem Autor war es nicht gleichgültig, wo und worüber er schrieb: "Alle positiven Empfindungen des pommerschen Sturschädels ... waren auf die Landschaft versammelt, in der das für den Erwachsenen unerreichbar gewordene Kindheits-Land lag. All sein Schreiben kann gelesen werden als ein immer dringlicheres Wiederheraufrufen eines verlorenen Seins-Zustands (mit allem, was in dieser Landschaft immer auch dazu gehört hatte: Gewalt, Brutalität, Terror, Krieg...). All seine Suche im realen Leben richtete sich darauf, für das Verlorene einen Ersatz zu finden, um nach dem ersten, alle weiteren Wahrnehmungen prägenden Verlust vielleicht doch noch irgendwo anwachsen, sich mit der konkreten Lebensumgebung auch emotional wieder verbinden zu können - in Landschaften an Flüssen, Seen und am Meer." Und wirklich erweist sich das Reisen als probates Mittel, diesem spröden, sperrigen Prosaisten näher zu kommen, das Reisebuch als perfekt geeignete Form für eine Einführung und einen Überblick über Leben und Werk. Frauke Meyer-Gosau hat genau und gründlich recherchiert, ohne damit zu prahlen. Ihr Reisebericht verwebt angenehm lesbar Gegenwart und Vergangenheit, Beschreibung und Reflexion - wir wissen, wieviel Arbeit dahinter steckt, bis dergleichen einigermaßen mühelos aussieht. Und obwohl wir seit vielen Jahren literarische Stadtführungen in Friedenau anbieten, haben wir noch Neues durch dieses Buch entdeckt, wie die Kneipe "Zur Kogge", in der Uwe Johnson mit Günter Grass gerne einen heben ging.

Frauke Meyer-Gosau
Versuch, eine Heimat zu finden 
Eine Reise zu Uwe Johnson
Verlag C. H. Beck 2014. 
296 Seiten mit 22 Abbildungen, 22,95 Euro
ISBN 978-3-406-65958-4

Telefonieren wie in den Dreißigern

Auf dem Dorfanger von Alt-Lübars, nahe der alten Dorfkirche, steht diese historische Telefonzelle aus dem Jahr 1934/35 und ist immer noch in Betrieb. Das erste Modell dieses Typs wurde 1928 auf dem Reichskanzlerplatz in Berlin erprobt (heute Theodor-Heuss-Platz). In der Nazizeit wurde die neusachliche Beschriftung "Fernsprecher" auf Frakturbuchstaben umgestellt.

Montag, 7. Juli 2014

Walter Triers Bilderbuch-Karriere

15 Jahre hat die Kunsthistorikerin Antje Neuner-Warthorst recherchiert, um dem Zeichner Walter Trier Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Das berühmteste Cover der neueren deutschen Literaturgeschichte stammt von ihm und hat enorm zum Erfolg von Emil und die Detektive beigetragen - leider aber auch das übrige Schaffen seines Schöpfers überstrahlt. Als 1929 die Zusammenarbeit mit Erich Kästner begann, war Trier bereits ein Star unter den Pressezeichnern im Berlin der Weimarer Republik. Er arbeitete auch als Werbegrafiker und entwarf Ausstattungen für Kabarette- und Revueaufführungen. 1936 emigrierte Trier nach London, wo er antinazistische Karikaturen zeichnete, und später nach Kanada, wo er 1951 starb.
In ihrem Nachwort berichtet die Autorin, dass mehrere kunsthistorische Institute es abgelehnt hätten, eine Habilitationsschrift über den nicht nur vielseitigen, sondern auch ganz eigenständigen und unverwechselbaren Gebrauchskünstler anzunehmen, da es dem Thema an akademischer Seriosität fehle! Ihr Buch zerstreut dieses dumme Vorurteil. Seriös recherchiert, aber leichthändig geschrieben und angenehm lesbar, ist es ein substantieller  Forschungsbeitrag zur Kulturgeschichte der Weimarer Republik und zur Geschichte der Karikatur in Deutschland. Solche Bücher empfehlen wir gern weiter.

Antje Neuner-Warthorst
Walter Trier. Eine Bilderbuch-Karriere
Nicolai Verlag, Berlin 2014
304 Seiten 
29,95 Euro

Die Autorin im Hörfunkinterview:
http://www.wdr5.de/sendungen/neugiergenuegt/sendeterminseiten/achtundzwanzigsterjanuar100.html

Freitag, 4. Juli 2014

100 beste Plakate

Von Elke Linda Buchholz - Superman fällt aus dem Bild. Auf der hellblauen Fläche ist der abstürzende Comic-Held ganz unten zu sehen. Ein Eyecatcher! Sonst ist nichts drauf auf dem Plakat von Vincenzo Fagnani. Keine Schrift, kein Logo. Wofür es wirbt? Für sich selbst, den Gestalter, der es im Eigenauftrag kreierte. Ist das noch ein Plakat oder schon freie Kunst? Die Fachjury um die Designerin Verena Panholzer steckte auch bei der diesjährigen Ausgabe der „100 besten Plakate“ wieder mitten in der Debatte. Was ein künstlerisch gestaltetes Plakat ist, wo die Grenzen des Mediums liegen und nach welchen Kriterien die eingereichten Kreationen zu bewerten sind, muss immer wieder neu ausgehandelt werden. Weiterlesen im Tagesspiegel

Freitag, 27. Juni 2014

Spitzentechnologie und Massenproduktion - Neue Dauerausstellung des Museums für Vor- und Frühgeschichte

Schädel aus Rudolfs Virchows
Sammlung im Roten Saal
des Neuen Museums.
Foto: Bienert
Von Michael Bienert - Warum die Männer einander die Schädel eingeschlagen haben, wissen die Archäologen nicht. Tausende müssen es gewesen sein, die vor etwa 3300 Jahren ungefähr 150 Kilometer nördlich von Berlin mit Keulen, Pfeil und Bogen aufeinander losgingen. Das Schlachtfeld wurde erst 1996 entdeckt, als ein Schlauchbootfahrer auf dem Flüsschen Tollense in Mecklenburg-Vorpommern einen menschlichen Oberarmknochen fand, in dem eine Pfeilspitze aus Feuerstein steckte. Seit ein paar Jahren suchen Wissenschaftler die Flussniederung systematisch ab. Überreste von mehr als hundert Opfern des Gemetzels, wurden schon geborgen. Erst im vergangenen Jahr legten Archäologen eine dicht mit Knochen und Schädeln dicht gespickte Bodenschicht frei, die nun als großes Wandrelief im Neuen Museum ausgestellt ist. Mit moderner Technik wurde die Grabungsstelle gescannt, die Daten in einen 3-D-Drucker eingefüttert. So beamt die Neupräsentation der Vor- und Frühgeschichte im Neuen Museums das Publikum nicht nur zurück in die älteste Menschheitsgeschichte, sondern gibt sich zugleich topaktuell. Weiterlesen im Tagesspiegel

Freitag, 20. Juni 2014

Stadt hinter Glas

Copyright: Simone Fischer
"Nebel, Dunst, Sonne, Regen und Dämmerung, das sind die Mächte, die im unendlichen Wechsel die großen Steinnester mit immer neuem Formenglanz umkleiden, ihre Formen verschmelzen, sie geschlossener, ja monumental machen; die aus den ärmlichsten Haufen, den trostlosesten Gegenden eine Welt farbiger Wunder aufbauen", schrieb August Endell vor dem Ersten Weltkrieg über "Die Schönheit der großen Stadt". Der Fotografin und Buchgestalterin Simone Fischer genügt dazu eine zerkratzte Fensterscheibe in der Buslinie M 27. Ihre Fotoserie ist noch bis 20. Juli als Teil der Gruppenausstellung »Landschaft im Dekolleté – Fenster als Element und Metapher« zu sehen. Weitere Informationen und Fotos auf ihrer Website www.salon-visuell.de

Montag, 16. Juni 2014

Seelenaufschlitzer. Oskar Kokoschka in Wolfsburg

Von Elke Linda Buchholz - „Der Sessel, auf dem Karl Kraus für dieses Porträt gesessen, ist nach der letzten Sitzung auseinandergefallen“, pinselte Oskar Kokoschka am 7. Februar 1925 auf die Rückseite der Leinwand. Hatte der Wiener Satiriker und Schriftsteller während der Modellsitzungen so nervös herumgehampelt? Kokoschkas Bildnis räumt der ungelenk ausfahrenden Gestik fast die Hälfte des breiten Bildformats ein. Nicht nur die mit lila Pinselstrichen akzentuierte Gesichtslandschaft, sondern auch der Körper wird hier zur Bühne des Selbst.
Immer wieder ziehen in Kokoschkas Bildnissen die Hände die Aufmerksamkeit auf sich. Sie verkrampfen sich, spreizen die Finger, formen kryptische Zeichen und stehlen den Gesichtern gerade bei den frühen Arbeiten fast die Schau.
Das will etwas heißen. Denn auch in den Physiognomien ballte der junge Kokoschka angefeuert vom Erlebnis van Goghs eine immense Ausdrucksenergie. Ob das Resultat dem Dargestellten ähnelte, war dem Maler zweitrangig. Nicht jeder Auftraggeber konnte sich damit abfinden. Aber der Schriftsteller Walter Hasenclever meinte, er bemühe sich täglich, seinem Bildnis ähnlicher zu werden. Rund 55 Gemälde und 140 Papierarbeiten versammelt das Kunstmuseum Wolfsburg zu einer Kokoschka-Retrospektive... Weiterlesen auf tagesspiegel.de