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Montag, 30. September 2019

Triennale der Moderne 2019 startet am 10. Oktober 2019

Über hundert Veranstaltungen von rund 20 Partnern: Das am 10. Oktober startende Berliner Programm lädt ein, den Reichtum einer Epoche zu entdecken. Die 1920er-Jahre waren eine Zeit radikaler, uns bis heute faszinierender Umbrüche in Kunst, Design und Gesellschaft. Sie sind Ausgangspunkt der "Triennale der Moderne", die alle drei Jahre in Weimar, Dessau und Berlin stattfindet und die dortigen UNESCO-Welterbestätten stärker in den Fokus der Öffentlichkeit rückt. Während in den Bauhaus-Städten Weimar und Dessau die Architektur und Lehre der berühmten Design- und Kunstschule im Mittelpunkt steht, ist das moderne Erbe in der Metropole Berlin ungleich vielfältiger. Hier ist das im aktuellen Jubiläumsjahr sehr präsente Bauhaus nur ein Baustein unter vielen. Diesen Reichtum gilt es für Einheimische und Touristen neu zu entdecken und auch als Gesamtentwicklung zu begreifen. Es beginnt mit den imposanten Bauten der "Elektropolis Berlin", über sechs gemeinsam als Weltkulturerbe geltende "Siedlungen der Berliner Moderne" und zieht eine große Linie hin zur Nachkriegsmoderne oder der aktuellen Wohnungsbaufrage. Wie kaum eine andere Stadt, eignet sich Berlin, ein ganzheitliches Bild der Epoche und ihrer heutigen Relevanz auszuloten. Dazu passt, dass das Berliner Programm den Charakter einer bottom-up- Initiative hat: Rund zwanzig, oft rein zivilgesellschaftlich organisierte Projektpartner sorgen für ein facettenreiches Angebot von 115 Veranstaltungen. Das von der LOTTO-Stiftung Berlin geförderte Programm beginnt am Do, den 10. Oktober und spannt sich bis weit in den November 2019. In Symposien, Vorträgen, Diskussionen und Kongressen, aber auch in Performances, Installationen Ausstellungen und Publikationen lädt das thematisch breit gefächerte Programm zum Entdecken ein. Exkursionen und Besichtigungen, etwa zu den sechs Welterbesiedlungen, Behrenshalle, Hansaviertel und Karl- Marx-Allee ergänzen das Angebot. Zur Triennale erscheint ein Programmheft, das am Wochenende in den beiden Festivalzentralen auf dem Ernst-Reuter-Platz und in der Hufeisensiedlung ausliegt. Das komplette Programm findet sich unter www.triennale-der-moderne.de.

Das Erbe der Diktaturen - Ines Geipels "Umkämpfte Zone"

Von Michael Bienert. Ines Geipel trägt als Autorin ein schweres Gepäck. Beide Großväter waren tief in Naziverbrechen verstrickt, der Vater arbeitete als Agent für die DDR-Staatsicherheit und tobte seine Aggressionen an den eigenen Kindern aus. 
Die Tochter wurde berühmt als DDR-Topsprinterin, ohne ihr Wissen mit Dopingmitteln vollgepumpt und von der Stasi brutal aus dem Spiel genommen, als sie sich in einen Athleten aus dem Westen verliebte. Kurz vor dem Mauerfall floh sie über Ungarn in die Bundesrepublik, wurde Schriftstellerin und Professorin für Verslehre an der Schauspielschule „Ernst Busch“ in Berlin. Mit Joachim Walther sammelte Ines Geipel Texte von in der DDR mundtot gemachten Autoren in einem Archiv für unterdrückte Literatur, dafür wurde sie 2011 mit dem Antiquaria-Preis geehrt. 
Dem Verschwiegenen eine Stimme geben, dieses Motiv zieht sich auch durch ihr neues Buch. Auslöser war der Krebstod des jüngeren Bruders. Berührend schildert die Autorin, was die Geschwister so eng aneinander band. Als Kinder gaben sie sich gegenseitig Halt in der stummen Gewaltatmosphäre der Familie: „Was nicht greifbar sein sollte, was wir sichern mussten, brachten wir beim andern unter. Dort war es geschützt und konnte überdauern.“ Umso schmerzhafter war der Abschied vor dem Bruder, der geholfen hatte, dem familiären Anpassungsdruck zu widerstehen. 
Ines Geipel malt den Familienterror nicht aus. Sie bettet ihn in einen weiten geschichtlichen Kontext ein. Sie deckt die Schuldverstrickung der Großelterngeneration auf, die in der DDR weitgehend unaufgearbeitet blieb. Es gab zwar einen staatlich verordneten Antifaschismus und Erinnerungsrituale, doch in den Familien wurden die konkreten Charakterdeformationen durch die NS-Diktatur beschwiegen und unter der kommunistischen Parteiherrschaft zementiert. Dreißig Jahre nach dem Untergang des SED-Staates zeigt sich das in einer explosiven Mischung aus Geschichtsverleugnung und Radikalisierung, die vom Osten ausgehend das gesamte politische System der Bundesrepublik erschüttert. 
Ines Geipel nutzt die eigene Familiengeschichte als Schlüssel für das Unerzählte, das politisch derart mächtig geworden ist. Eine wagemutige Konstruktion. Doch sie erweist sich als belastbar. Aus schwerem Gepäck wird eine erhellende Erzählung. 

Ines Geipel: Umkämpfte Zone. Mein Bruder, der Osten und der Hass. 
Klett-Cotta, Stuttgart 2019, 280 Seiten, 20 Euro