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Dienstag, 9. Oktober 2018

Künstler, die auf Bäumen hocken - Ausstellung im Düppeler Forst (noch bis 28. Oktober 2018)

Von Elke Linda Buchholz - Mitten auf dem Waldweg liegt ein Lineal. Ein minimalistischer künstlerischer Eingriff in den Naturraum oder nur ein vergessenes Relikt vom Ausstellungsaufbau? Wer dieser Tage durch den herbstlichen Forst Düppel streift, darf sich auf ungewöhnliche Entdeckungen gefasst machen. "Through a Forest Wilderness" nennt sich die ausgedehnte Frischluftschau, die ihren Besuchern zu festem Schuhwerk rät. Wie Künstler seit den Pioniertagen von Fluxus und Happening den Wald als künstlerisches Terrain eroberten, will sie erkunden. Im Osten überwog dabei oft der Impuls, staatlicher Kontrolle zu entweichen, im Westen eher die Lust an antikommerziellen Ausdruckformen. Also: den Wetterbericht studieren und ab in den Wald! Der Parcours beginnt gleich gegenüber der Kirche Sankt Peter und Paul auf Nikolskoe, die schon seit 1837 einen kulturellen Außenposten im Forstgrün markiert. Die Busanbindung ist sporadisch, aber immerhin vorhanden. Und schon nach wenigen Schritten scheint die urbane Gegenwart weit weg. Äste knacken, Laub raschelt unter den Füßen, die Pfade werden schmaler. Die Sinne schärfen sich. Es riecht nach Herbst. Wald ist immer eine immersive Ganzkörpererfahrung. Jetzt aber hat sich die Natur mit intellektuellem Input aufgeladen. Die Idee dazu hegte Kuratorin Petra Stegmann seit 10 Jahren, sie bereitete ihr Projekt mit einer Indoor-Ausstellung in Potsdam letztes Jahr vor. Nun half die Bundeskulturstiftung, das Thema dorthin zu verpflanzen, wo es hingehört: ins Freie.


Tatsächlich sind mehrere Kilometer über Stock und Stein durch den lichten Eichenmischbestand zurückzulegen, wenn man tatsächlich alles sehen will, was sich hier in acht Themengruppen im Unterholz versteckt. Auf eigene Gefahr, versteht sich. Dass ein abgestorbener Ast, als Folge des heißen Sommers, auf Besucher herabstürzen könnte, gehört zu den Albtraumvisionen der Kuratorin. Auch die Exponate sind schutzlos allen Gefahren ausgeliefert. Kein Zaun sperrt sie ein, kein Ticket will am Eingang bezahlt sein. Dafür darf man gleich zu Beginn der Kunstwanderung selbst aktiv werden und am "Wish Tree" von Yoko Ono einen persönlichen Wunschzettel in den Wind hängen. Ob´s hilft?

Als freien, unkontrollierten Aktionsraum begannen Künstler verschiedenster Couleur seit den 1960er und 70er-Jahren den Wald zu entdecken. Er diente als Schauplatz, Arbeitsmaterial, kollektives Atelier, war Rückzugsort oder ganz einfach Ausstellungsraum für experimentelle Werke. Bei ihrer Beschäftigung mit Fluxus stieß Stegmann auf dieses internationale, ja globale Phänomen. Von abstrakten Interventionen mit Naturmaterial bis hin zu anarchischer Body-Art und künstlerischem Öko-Engagement reicht das Spektrum, das sie jetzt aufzeigt.

Die japanische Gutai-Gruppe hängte in den 1950er Jahren erstmals Gemälde an Bäume. Die russische Gruppe "Kollektive Aktionen" schwärmte seit 1976 für subversive Performances ins Moskauer Umland aus. Einige der Mitglieder, immer noch aktiv, haben jetzt angekündigt, drei riesige "Slogans" im Düppeler Forst zu postieren. Konzepte, Ideen und Gedankenspiele fluktuieren durch den herbstlichen Wald. "Vorsicht! Baum!" warnte der Tscheche Jiří Valoch die naturentfremdeten Städter bereits 1971 mit Schildern lakonisch.

Sensible Antennen für die fragile Natur entwickelten, angesichts von Umweltzerstörung und Baumsterben, auch Künstler im Westen, wie Grünen-Mitbegründer Joseph Beuys mit seiner legendären Pflanzaktion "7000 Eichen" in Kassel. Mit ihm versuchten Eugen Blume und Erhard Monden vom Dresdener Elbstrand aus imaginär mit Baumes Hilfe Kontakt aufzunehmen. Sie verkabelten Bäume, legten Schiefertafeln als Empfänger aus und beklagten schließlich die "Sendestörung". Radikalere Formen des Naturkontakts testete Petr Štembera in Prag. Er pfropfte sich 1975 einen jungen Ast in die eigene geöffnete Blutbahn und riskierte prompt eine Blutvergiftung. Weniger gefährlich scheint die Mitmachaktion "Implant", die der 1967 geborene Duisburger Reiner Maria Matysik jetzt Freiwilligen offeriert. "Was können wir dem Baum geben?" fragte er sich. Seine Antwort: Nimm einen Buchenschössling samt gesäubertem Wurzelwerk in den Mund und nähre ihn mit deinem körpereigenen Speichel. "Good Luck!" wünscht Konzeptkünstler Carlos Ginzburg aus Buenos Aires. Er hat überall entlang des Wegs trockenes Astwerk zum glücksbringenden Daraufklopfen arrangiert.

Leider allerdings machen sich solche "echten" Kunstwerke und Interventionen in der Ausstellung rar. Das Gros der Exponate besteht aus historischen Fotos, die sich an Drähten zwischen den Baumstämmen spannen und, ergänzt durch Texttafeln, von vergangenen Aktionen erzählen. Aber so ist es eben mit der ephemeren Aktions- und Performancekunst: Was bleibt, sind oft nur ein paar Fotos. Fluxus-Veteran Milan Knížák immerhin lässt eine einstige Aktion wiederaufleben. Er bat junge Berliner Modedesigner, Bekleidung für Bäume entwerfen: So als sei der Baum ein Freund. Aus Schweden reiste achtzigjährige Altmeister Bengt af Klintberg an, um den Berlinern auf Forstspaziergängen von seiner Walduniversität zu berichten. Vergnügt erinnert er sich an seine Eisausstellung 1965, für die er bizarre Eisschollen aus einem See fischte und an die Uferbäume hängte. Die Antikommerz-Ausstellung schmolz, als echte Fluxus-Idee, binnen Stunden dahin. Entspannt ließ es auch der britische Kollege Robert Watts angehen. Für seine Aktion "Tree working, Artist resting" band er Farbstifte an windbewegte Äste und ließ den Baum als natürliche Malmaschine die künstlerische Arbeit erledigen.

Waldkunst kann aber auch handfester Umweltaktivismus sein. Als vehemente Baumbeschützerin kletterte die junge polnische Künstlerin Cecylia Malik 2009 Tag für Tag auf einen anderen Baum und harrte dort oben in extravaganten Posen und Outfits aus, um auf die rücksichtslose Rodungspolitik Polens aufmerksam zu machen. Je näher man dieser letzten Themensektion "Bedrohter Wald" kommt, umso vernehmlicher dringt das Motorengeräusch der nahen Straße herüber. Die urbane Soundkulisse ist in einem so stadtnahen Stück Wildnis nie weit weg. Ob auch die unverrückbar hier wurzelnden Bäume davon Notiz nehmen? Welche Möglichkeiten haben sie überhaupt für eine Interaktion mit anderen Lebewesen? Die in Südafrika geborene Künstlerin Cobi van Tonder ist überzeugt, dass telepathische Verbindungen zu Pflanzen möglich sind. Sie hat ein einstündiges Konzert für Bäume komponiert. Zur Finissage am 28. Oktober ist ihre Klangperformance noch einmal interaktiv zu erleben. Die Besucher dürfen sich einen handlichen Lautsprecher nehmen, einen Baum als Zuhörer auswählen und ihm die computergenerierten Sounds aus nächster Nähe ein Weile vorspielen. Dann kehrt wieder Stille in den Wald ein.

 "Through a Forest Wilderness. Aktionen im Wald", bis 28.10. 2018 Übersichtsplan sowie Termine für Performances, Führungen, Filmscreenings unter: https://throughaforestwilderness.org/


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