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Donnerstag, 29. Dezember 2016

Wird Alexander von Humboldt überschätzt?

Matthias Glaubrecht ist Gründungsdirektor des
Centrums für Naturkunde der
Universität Hamburg. Foto: Bienert
Im Tagesspiegel setzt sich Matthias Glaubrecht kritisch mit Andrea Wulfs Buch "Alexander von Humboldt und die Erfindung der Natur" auseinander und kommt zu dem Schluss: "Statt einer Heroisierung Humboldts wird es Zeit, die geläufigen Erzählmuster seiner Biografie aufzubrechen und zu erkennen, dass der kosmische Ansatz von Humboldts Naturverständnis nicht zukunftsfähig war und sein Weltbild längst veraltet ist." Insbesondere verweist Glaubrecht auf Darwin, dessen Evolutionstheorie den Glauben an eine harmonische All-Einheit der Natur überwunden habe. Seine profunde Argumentation kann man hier nachlesen.

Samstag, 24. Dezember 2016

Wie die Futura den Mond eroberte

Von Michael Bienert - Zweckmäßig. Elegant. So wollten Architekten und Designern die Welt nach der Katastrophe des Ersten Weltkrieges umgestalten. Schlichte geometrische Formen galten plötzlich als todschick, auch in der Buchkunst. Serifenlose Schriften, bis dahin fast nur für Reklame und Beschilderungen verwendet, wurden zu einem Erkennungsmerkmal moderner Typografie. Doch die erfolgreichste Schrifttype der neuen Zeit entstand nicht am Bauhaus, sondern wurde von dem erfahrenen Typografen Paul Renner in Zusammenarbeit mit der Bauerschen Schriftgießerei in Frankfurt am Main entworfen. Futura, die Zukünftige, kam 1927 nach dreijähriger Entwicklungszeit auf den deutschen Markt. Renner löste das Problem, die eigentlich aus der Schreibschrift stammenden Kleinbuchstaben aus den geometrischen Grundformen Kreis, Dreieck und Quadrat zu konstruieren und harmonisch mit den Großbuchstaben der klassischen Antiqua zu verbinden. Durch feine Abweichungen von der starren Geometrie schuf er ein Schriftbild, das so ausgewogen und lesefreundlich wirkte wie traditionelle Druckschriften. Ein wunderschön in allen Futura-Varianten gesetztes Buch und eine Ausstellung (noch bis 30. März 2017 im Gutenberg-Museum Mainz) zeichnen den weltweiten Siegeszug der Schrift nach. Kurt Schwitters etwa benutzte sie Futura für ein neues Corporate Design der Stadt Hannover, von Bauhausmeistern wie Laszlo Moholy-Nogy wurde die Futura kopiert, in Frankreich unter dem Namen „Europe“ vertrieben, in den USA machten das Magazin „Vanity Fair“ und Werbegrafiker sie ab 1929 populär. Da Paul Renner 1932 in der Schweiz eine Streitschrift gegen die Kulturpolitik der Nazis hatte drucken lassen, vertrieben sie ihn vom Direktorenposten der Münchner Meisterschule für Deutschlands Buchdrucker. Doch die Futura wurde weiter benutzt, etwa vom „Verlag nationalsozialistischer Bilder“ des Hitler-Fotografen Heinrich Hoffmann. Fans hatte sie auch bei der US-Weltraumagentur NASA: Für die Beschriftung der Gedenkplakette, die 1969 die ersten Mondbesucher am Landungsort hinterließen, kam einzig die Futura in Frage.

Petra Eisele, Annette Ludwig, Isabel Nagele (Hg.)
Futura. Die Schrift
Verlag Hermann Schmidt, Mainz 2016
520 Seiten, 50 Euro

Donnerstag, 22. Dezember 2016

Pumpernickel und andere Merkwürdigkeiten aus der Provinz. Ein Buch über westfälische Erinnerungsorte

Typisch Westfalen:
Windmühle in Holzhausen
Foto: Bienert
Von Elke Linda Buchholz - 350 km liegt die Porta Westfalica von Berlin entfernt. Aber in Gedanken ist man auch als Hauptstadtbewohner in Nullkommanix da. Erinnerungen tragen weit und fern: Auch sie sind Markierungen, Einschreibungen, Orte, an die man zurückkehren kann. Sofern sie nicht im Nebel der Vergangenheit verblassen und verschwinden. Um sie anzupeilen, hilft Information.

Punktuelle Tiefenbohrungen ins unwägbare Reich des Westfälischen unternehmen die über 40 Autoren des jetzt erschienenen Bandes "Westfälische Erinnerungsorte", herausgegeben von Lena Krull. HistorikerInnen und StudentenInnen haben sich mehr als drei dutzend Aspekte herausgepickt aus dem weitläufigen Terrain. Zwei Seminare der Uni Münster schoben das Projekt an. Tatsächlich ansteuerbare "Orte", wie der Teutoburger Wald oder der Möhnesee sind auch dabei. Vor allem aber geht es, im Sinne der "lieux de mémoire" des französischen Historikers Pierre Nora, um Abstrakta, um historische Ereignisse und prägende Phänomene, die Westfalen im Denken der Gegenwart markieren. Und das kann auch der westfälische Pumpernickel sein. Wo kommt eigentlich dieser komische Name her? Aus dem Französischen womöglich? Und was ist so westfälisch an dem grobschlächtigen Brot, das mindestens 16 Stunden nur aus Roggenkörnern, Wasser und Salz gegart wird? Schon im 16. Jahrhundert lag das westfälische Backwerk einem durchreisenden italienischen Humanisten schwer im Magen, wie man erfährt.

Die Porta Westfalica selbst rückt durch handfeste denkmalpflegerische Aktivitäten derzeit ohnehin buchstäblich wieder stärker in den Blick. Dort, wo der Weserlauf schon im Jurazeitalter sich seinen Weg durch den Riegel von Wiehen- und Wesergebirge bahnte – was im Volksglauben nur mit Teufels und Gottes Eingreifen geschehen sein konnte –, platzierte die Kaiserzeit ein kapitales Kaiser-Wilhelm-Denkmal. 1896 weihten 20.000 mit Sonderzügen angereiste Gäste und Kaiser Wilhelm II. es bei Sturm und Regen ein. Der riesige Trumms wilhelminischer Denkmalskunst harrte in den Nachkriegsjahrzehnten als Sonntagsausflugsziel hoch oben auf dem Berg aus, wenig geliebt, aber eben vorhanden und rundum zunehmend zugewuchert von Baum- und Buschwerk. Neuerdings wird das architektonische Renommierstück durch den Eigentümer, den Landschaftsverband Westfalen-Lippe, aufwendig saniert, freigeschnitten, durch Ausgrabungen arrondiert und wieder samt Vorplatz und Substruktionen in seinen imposanten Maßen erlebbar gemacht. Ein riesiges Restaurant im Sockelgeschoss soll Ausflügler verköstigen, die, so hofft man, in Massen strömen werden. Bühne der Erinnerung oder kommerzielles Highlight? Auf dem mattschwarzen Cover glimmt das Wahrzeichen als schimmernd neongrüne Architekturzeichnung, als sei es ein virtuelles Luftschloss.

Lena Krull (Hg.)
Westfälische Erinnerungsorte
Beiträge zum kollektiven Gedächtnis einer Region
Ferdinand Schönigh Verlag, 2016
592 Seiten, zahlreiche Abbildungen, 34,90 Euro

Freitag, 2. Dezember 2016

Haus Buchthal - Ausstellung in der Galerie Aedes

Foto: Elke Linda Buchholz
Von Elke Linda Buchholz - Kapitel eins. Das Bauherrenehepaar traut sich was. Mitten im noblen Westend lassen sich Thea und Eugen Buchthal 1922 eine expressive Villa errichten, die zwischen den gediegenen Wohnhäusern rundum wie ein Paradiesvogel wirkt. Im Musikzimmer leuchten grüne Pfeiler vor knallgelben Wänden, nebenan im Wohnzimmer taucht man in blaues Farbfluidum, während die Speisen vor orange-violett getünchten Wänden im Essraum serviert werden. Nach außen faltet sich der Baukörper in V-Form mit kristallinen Kanten und Ecken auf. Hingucker ist eine rasant expressionistische, mehrfach gestufte Giebelfront, mit symmetrischem Brunnen davor. Den Entwurf für dieses extravagante Stück Berliner Architekturgeschichte lieferten die jungen Brüder Wassili und Hans Luckhardt mit ihrem Büropartner Franz Hoffmann. Zwar hatten sie noch nie zuvor einen Bau realisiert, aber in einer Berliner Galerie mit kristallinen Architekturvisionen aus Glas, Licht und Farbe für Aufsehen gesorgt. Der Konfektionskaufmann Buchthal und seine kunstsinnige Frau entschieden: Genau so wollten sie wohnen. Mit Gemälden von Feininger, Nolde, Pechstein und Erich Heckel komplettierten sie ihr Domizil, schafften Skulpturen von Lehmbruck und Emy Roeder an. Sogar der Garten wuchs sich mit pfeilförmig auf das Haus weisenden Blumenrabatten zu einem Kunstwerk aus. Arnold Schönberg, Max Beckmann, Lou Andreas-Salome und andere kamen zu Gast. Doch der Expressionismus überstand den Praxistest nicht.
Kapitel zwei. Kaum fünf Jahre wohnte das Paar mit seinen drei Kindern in dem gewagten Objekt, dann reichte es der Familie. Buchthals engagierten einen neuen Architekten. Als Ernst Freud, Sohn des Psychoanalytikers, sein Umbauwerk 1928 vollendet hatte, war die expressionistische Villa Buchthal praktisch aus dem Stadtbild verschwunden. Statt schräger Winkel, Kanten und Ecken dominierten nun glatte weiße Mauern und schlichte Rechteckfenster. Im Inneren wurden die komplexen Grundrisse vereinfacht, soweit möglich. Zusätzliche Obergeschossräume und eine üppige Dachterrasse erweiterten die Wohnfläche. Nicht wiederzuerkennen, das Haus! Weiterlesen im Tagesspiegel

Bauen mit Holz - Ausstellung im Martin-Gropius-Bau

© Architekturmuseum der Technischen Universität München
Von Elke Linda Buchholz - Auf dem Monte Rosa bei Zermatt hockt auf 2880 Metern Höhe ein futuristisches Gebäude, halb silbriger Kristall, halb futuristische Raumstation. Nur per Hubschrauber versorgt, bietet es in den Sommermonaten 120 bergverrückten Alpinisten Obhut. Das asymmetrische Volumen wurde mit Hilfe von Computerprogrammen klimatisch optimal an seine Extremlage angepasst. Unter der Aluhülle jedoch verbirgt sich einer der traditionellsten Werkstoffe: Die Monte Rosa Hütte ist komplett aus Holz gebaut. Schon immer wurde im Alpenraum mit Holz gebaut. Aber doch nicht so! Was internationale Architekten seit einigen Jahren mit dem nachwachsenden Traditionsbaustoff zustande bringen, zeigt der Martin-Gropius-Bau anhand von 60 Modellen sowie Fotos und Filmen. Das jüngste Projekt wird gerade in Vancouver fertiggestellt und ist ein echtes Renommierstück, obgleich knapp kalkuliert für Minimalstandard: Das Hochhaus soll 400 Studenten beherbergen und zugleich die Leistungsfähigkeit der kanadischen Holzwirtschaft unter Beweis stellen. 18 Stockwerke ragt die Holzkonstruktion empor. Noch nie wurde mit Holz so gewagt in die Höhe gezimmert. Neue Fertigungstechniken, computergestützte Entwurfsverfahren und innovative Ideen haben den klassischen Holzbau revolutioniert. Weiterlesen im Tagesspiegel

Montag, 21. November 2016

Antiquaria-Preis 2017 für den "Schriftgott" Friedrich Forssmann

Friedrich Forssmann ist der Star unter den Buchgestaltern in Deutschland, es war eigentlich nur eine Frage der Zeit, wann er den Antiquaria-Preis für Buchkultur erhalten würde. Nun ist es soweit, am 26. Januar 2017 wird der Preis im Rahmen der Antiquariatsmesse Ludwigsburg verliehen. Im März dieses Jahres war Forssmann in Berlin, damals schrieben wir über seinen Auftritt:
Die Ankündigung seines Vortrags zur Frage "Was ist gute Buchgestaltung?" zwang die Staatsbibliothek gestern abend, kurzfristig einen neuen Raum in der nahen Universität zu aquirieren, so groß war der Andrang der Neugierigen. Natürlich konnte Forssmann die Frage nicht abschließend beantworten (dann bräuchten wir ja auch keine kreativen Typografen und Umschlagkünstler mehr), unterhielt sein Publikum aber zwei Stunden lang prächtig. Er präsentierte Beispiele vor allem aus der eigenen Produktion und erklärte seine Beweggründe für die Wahl unterschiedlicher Gestaltungsmittel bei der Inszenierung von Werkausgaben, wissenschaftlichen Schriften, Literaturzeitschriften oder aktueller Belletristik.

Mittwoch, 16. November 2016

Chamisso Schatten - jetzt auch auf DVD

Wer nicht die Gelegenheit hatte oder es einfach nicht geschafft hat, zwölf Stunden im Kino zu verbringen, um der Filmemacherin Ulrike Ottinger auf ihrer Reise in die Beringsee zu folgen, kann das jetzt gemütlich eingemummelt auf dem heimischen Sofa tun. Ab sofort ist ihr Film "Chamissos Schatten" auf vier DVDs erhältlich. Kein schlechtes Weihnachtsgeschenk und ein passender Zeitvertreib für die langen Abende zwischen den Jahren! Mit ihrem Filmteam ist Ulrike Ottinger den Weltreisenden James Cook, Georg Wilhelm Steller und Adelbert von Chamisso in die entlegene Gegend zwischen Sibirien und Alaska nachgefahren, um sie als moderne Ethnologin und Naturforscherin mit der Kamera zu vermessen. Monate verbrachte sie im Schneideraum und montierte die Impressionen von heute mit den historischen Aufzeichnungen früherer Reisender (gelesen von Hanns Zischler, Thomas Thieme und Burkhardt Klaußner) zusammen. Über Ottingers Arbeit und ihre Erfahrungen haben wir bereits berichtet. Hier kann man den außergewöhnlichen, alle herkömmliche Seherfahrungen sprengenden Film bestellen.

Luthers Idee wird zu Stein - Die Reformation in der Architektur

Martin Luther gilt als Schöpfer des deutschen Wortes "Denkmal", die Stätten seines Wirkens stehen wie viele Kirchen heute unter Denkmalschutz. Im Auftrag der Deutschen Stiftung Denkmalschutz hat Elke Linda Buchholz alles Wissenswerte zu diesem Thema zusammengetragen. Die 40-seitige Broschüre Luthers Idee wird zu Stein - Die Reformation in der Architektur können Sie gratis hier bestellen.

Mittwoch, 9. November 2016

Fred Hildenbrandts Erinnerungen ans Berlin der Zwanziger Jahre neu ediert

Von Michael Bienert - Leider liegt ein Schatten von Unaufrichtigkeit auf diesem Buch. Wie vertrauenswürdig sind die Erinnerungen eines Journalisten, der von seinem steilen Aufstieg in einem deutsch-jüdischen Zeitungshaus zwischen den Weltkriegen schwärmt, aber verschweigt, dass er sich in den Nazizeit als Buch- und Filmautor genauso geschmeidig dem Ton der Zeit anpasste?
Zehn Jahre lang, von 1922 bis 1932, leitete der in Stuttgart geborene Fred Hildenbrandt das Feuilleton des „Berliner Tageblatts“, das sich als liberales „Weltblatt“ verstand. Er hob Gedichte von Else Lasker-Schüler und Feuilletons von Erich Kästner ins Blatt und bemühte sich um faire Honorare für seine Autoren. Als einflussreicher Feuilletonchef begegnete er der Kulturprominenz der Zeit auf Augenhöhe, oft auch privat auf Partys oder als Wochenendgast. Hildenbrandt spielte Tischtennis mit Hans Albers, tanzte mit Josephine Baker und Gret Palucca, flirtete mit Marlene Dietrich.
Federleicht erzählt er in seinem nach dem Zweiten Weltkrieg verfassten, 1966 postum erschienenen Erinnerungsbuch von schillernden Begegnungen im Kulturbetrieb der „Roaring Twenties“. Dass viele seiner jüdischen Freunde in der Nazizeit drangsaliert wurden, verschweigt er nicht, doch blendet er völlig aus, wie anpassungsfähig er selbst sich durch die braunen Jahre lavierte. Und am Schluss des Buches bleibt völlig unerklärt, wie sich denn 1932 ein „unerbittliches Unheil“ über den Verlagshaus der jüdischen Verlegerfamilie Mosse zusammenbraute und warum Hildenbrandt dem später von den Nazis drangsalierten Chefredakteur Theodor Wolff kündigte, ehe es für ihn brenzlig wurde. Die Schuld für den Niedergang des Verlags schiebt Hildenbrandt dem Verlagschef Hans Lachmann-Mosse in die Schuhe, der sicher Fehler machte, aber auch in einer nahezu aussichtlosen wirtschaftlichen und politischen Lage steckte und schließlich von den Nazis mit seiner Familie in die Emigration gezwungen wurde.
So erhellend es ist, was Hildenbrandt über das Innenleben eines großen Zeitungshauses zum Zeitpunkt seines Eintritts in den Verlag erzählt, so wenig Insiderwissen gibt er über die Situation kurz vor der Machtübernahme der Nazis preis. Das schmälert dann doch das Vergnügen an diesem ansonsten so flott und amüsant hingeworfenen Anekdotenbuch. Immerhin weist ein Nachwort von Thomas Zeipelt auf die braunen Flecken in der Autorenbiografie hin. Nicht unbedingt zwingend erscheint die Kürzung des Textes der Memoiren um zwölf Kapitel, insbesondere der farbige Bericht über eine spektakuläre Hochzeitsfeier in der Berliner Unterwelt fehlt: Damit baut das bildhübsche Bändchen aus dem Transit Verlag die 3-Euro-Altausgaben aus dem Antiquariat selbst zu einer Alternative auf.

Fred Hildenbrandt
„... ich soll dich grüßen von Berlin“.
Erinnerungen 1922-1932
Transit Verlag, Berlin 2016
92 Seiten, 19,80 Euro

Montag, 7. November 2016

Blind Date mit dem Hasen - Cornelia Schleime erhält den Hannah-Höch-Preis - Ausstellung in der Berlinischen Galerie

Cornelia Schleime (2010). Foto: E. L. Buchholz
Von Elke Linda Buchholz - Da sind feine Störungen. Die makellose Haut des jungen Mädchens wird schrundig. Die Malschicht raut auf. Der sahnige Farbauftrag stockt, als dürfe es keine allzu glatten Oberflächen geben. Die klassischen Schönheitsvorstellungen, sinnlichen Frauenblicke und romantischen Motivassoziationen beherrscht die Malerin Cornelia Schleime: Sie kann sie aufrufen, ganz nach Wunsch. Aber immer schleicht sich in ihre großformatigen Gemälde sogleich Ironie ein, eine Lust an Brüchen, ein Misstrauen gegenüber einheitlicher Ästhetik und geschlossenen Bildwelten.
Cornelia Schleime ist eine Künstlern, die seit vielen Jahren am klassischen Pinselmetier festhält. Märchenhaftes bevölkert ihre hybriden Gemälde: Rehlein, Froschbein, Mädchenzopf, Möwenflug. Frauengesichter im Close-Up verschwistern sich mit Anleihen aus Tierreich. Darin nistet auch Erotik. Es geht ums Jagen und Gejagtwerden, ums Verletzlichsein und Gefährlichsein. Auch dem Papst Wojtyla ist die Malerin, selbst katholisch erzogen, zwar in einer Bildserie schon auf den Leib gerückt. Aber ansonsten dominieren bei ihr die Frauen. Sie proben Rollen und Posen, vollführen Metamorphosen. Sie tragen Geweih oder Federn, Schlangenleib oder Rattenkrallen. Jede dieser Rehfrauen, Zopfmädchen und Handschuhträgerinnen könnte die Künstlerin selbst sein. Bei aller mädchenschlanken Zartheit stattet sie ihre Geschöpfe mit einer sehr widerständigen Kraft aus. Furchtlosigkeit blickt einem aus den Augen dieser Frauen entgegen. Sie verführen. Und irgendwas in ihnen ist gefährlich.
Dass Schleime nicht nur im Grenzbereich zwischen Innen- und Außenwelten navigiert, sondern auch in Sprachbildern denkt, verraten Werktitel wie "Wer aus mir trinkt, wird ein Reh", "Die Nacht hat Flügel" oder "Leise spricht die Zunge". Auch einen Roman hat sie schon geschrieben. Er heißt "Weit fort", bearbeitet aber autobiographische Erfahrungen, die der Künstlerin allzu nahegingen. "Ein Wimpernschlag" nennt Schleime nun ihre längst überfällige Retrospektive, die ihr die Berlinische Galerie in diesem Herbst widmet. Der federleichte Titel nimmt dem Anlass seine Wucht: Geehrt wird Schleime für ihr Lebenswerk mit dem Hannah-Höch-Preis, dem wichtigsten Kunstpreis des Landes Berlin. Man bekommt ihn erst nach dem 60. Geburtstag. Rückschau also ist angesagt. (Augenblicke, Blinzeln, ein Leben im Zeitraffer. Doch Vorsicht.) "Inszenieren tu ich mich immer", meinte die Künstlerin einmal in einem Dokumentarfilm: "Ich glaube, damit bin ich schon zur Welt gekommen."
Seit über einem Jahrzehnt hat sich die Großstadtpflanze Schleime dem Biotop Berlin entzogen. Ihr Prenzlberger Wohnatelier steuert sie nur noch sporadisch an. Ansonsten schätzt sie Freiraum und Freiblick im Ruppiner Land. Dort auf dem Dorf hat sie ein altes Gemäuer bezogen, das sich hinten zum freien Feld öffnet. Ohne Grenzen. Geboren wurde Schleime 1953 in Ostberlin. Nicht sehr regimetreu sei ihre Familie gewesen, verrät sie. Aber die Neugier zur frühen Biographie speist die Künstlerin mit wenigen Stichworten ab: Friseurlehre, Maskenbildstudium (abgebrochen), Pferdepflegerin auf der Vollblutrennbahn in Dresden. Wichtiger wird, was dann kommt: Fünf Jahre Kunststudium in der DDR machen Cornelia Schleime zum Teil einer aufmüpfigen Untergroundszene, die sich in Punk, Performances und Atelierausstellungen sich eine eigene Öffentlichkeit kreiert. Ausstellungsverbote bremsen Schleime aus. Sie antwortet mit Kopfeinschnürungen, Körperbemalungen, festgehalten auf Fotos und experimentellen S8-Filmen. Dass der Staat immer mitmischte und selbst das Privateste unterminierte, zeigte sich später, als der Freund Sascha Anderson sich als Stasispitzel entpuppte. Mittlerweile hat Schleime sich mit ihm ausgesöhnt, wie sie unlängst zu Protokoll gab. Was sie vor ihrer 1984 ertrotzten Übersiedlung in den Westen malte, zeichnete und filmte, ist nahezu komplett verschollen. Eine Leerstelle klafft im Oeuvre. Ein paar Fotos, Filmrollen und Reisetagebücher dokumentieren Bruchstücke davon. Und Spuren von Erfahrungen bleiben immer. Die Narben tragen ihre Protagonistinnen noch auf der Haut. Vielleicht sind es diese merkwürdig schrundigen Partien in Schleimes Gemälden aber auch nur Störfelder, bewusst eingebaut, um den Betrachter nicht einzulullen, sondern wachzuhalten. Wachsam und empfänglich für die Untertöne, die Fragen, die diese Bilder stellen und partout nicht beantworten wollen.
Eine Schlüsselszene Schleimes wiederholt sich seit Jahren an verschiedenen Schauplätzen, als One-Woman-Performance: Eine Frau zieht an ihren überlangen Zöpfen einen Kinderwagen hinter sich her. Sie passiert 1993 im buntgetupften Minirock das Haus eines Stasi-Offiziers, streift 2009 barfuß über Brandenburger Stoppelfelder, taucht 2010 in die Ostseebrandung ein, schreitet 2015 in Pelzstiefeln die Orangerie von Schloss Putbus ab. Die Geschichte ist nicht zu Ende. Die Erinnerungen im Schlepptau, geht es voran.

Ausstellung in der Berlinischen Galerie vom 25.11.2016 bis 24.4.2017 http://www.berlinischegalerie.de/ausstellungen-berlin/vorschau/cornelia-schleime/

Freitag, 4. November 2016

Familie Chamisso auf der Flucht

Der Dichter und Naturforscher Adelbert von Chamisso war das Kind einer Flüchtlingsfamilie. Anders als seine Eltern und Geschwister ist er nicht wieder in seinem Geburtsland Frankreich heimisch geworden, sondern nutzte seine Chance, sich in Deutschland aus der Familientradition zu befreien.

Adelberts Bruder Charles war Augenzeuge des
Sturms auf die Tuilerien in Paris, 1793
Von Michael Bienert - „Von Stadt zu Stadt irrend, ohne Bindungen, ohne Vaterland, fast ohne Hoffnung, die Stütze der Elenden, habe ich das Unglück kennengelernt“, heißt es in einem Schulaufsatz, den der junge Adelbert von Chamisso in Berlin verfasst: „Kaum war es mir vergönnt, den Erzeugern meiner Tage nützlich zu sein. An ihr Schicksal gebunden und ihren Schritten folgend, habe ich Brabant, Holland, das Reich durchmessen; überall bot sich ein Bild des Unglücks meinen Augen; überall fand ich Landsleute von allerhöchstem Rang ins Elend gestürzt.“ Auf der Flucht vor dem Bürgerkrieg, den die Französischen Revolution auslöst, finden Chamissos Eltern und ihre sechs Kinder 1796 eine sichere Bleibe in Berlin. Am Französischen Gymnasium holt der spätere Dichter und Naturforscher in Einzelstunden ein wenig Schulbildung nach. Kurz nach seinem 17. Geburtstag wird er in eine Fähnrichsuniform gesteckt und zum Exerzieren geschickt. Kanonenfutter kann der preußische König immer brauchen, die Herkunft spielt keine Rolle.
Der Vater Louis Marie de Chamissot, Graf von Boncourt, hofft auf eine glänzende Offizierslaufbahn für seinen zweitjüngsten Sohn. Früher hat der Graf eine berittene Kompagnie von Schweizergardisten des französischen Königs kommandiert. Die Familie Chamissot ist dem Königshaus seit Jahrhunderten eng verbunden. So dienen Hippolyte und Charles, die beiden ältesten Söhne des Grafen, als Pagen am Hof von Versailles und bereiten sich auf eine Karriere am Hof und in der Armee vor, bis die Revolution in Frankreich alle Zukunftspläne zunichte macht. Weiterlesen

Sonntag, 30. Oktober 2016

Berliner Porzellanplastik im Kunstgewerbemuseum - Ausstellung und Katalog

Von Elke Linda Buchholz - Dem Bildhauer ist der Meißel zu Boden geglitten. Mit glasigen Augen schaut er auf die Opiumschale in seiner Hand. Die gertenschlanke nackte Frau neben ihm könnte das Aktmodell des benebelten Künstlers sein. Neckisch verbirgt sie ihr Gesicht hinter einer Theatermaske, während sie leichtfüßig auf einer goldenen Kugel balanciert, als sei sie die Glücksgöttin Fortuna persönlich. Tatsächlich tritt sie hier als Allegorie der Bildhauerkunst auf. Dezent hält sie einen prallen Geldbeutel in der Hand: Lässt sich mit der Bildhauerkunst womöglich doch Geld verdienen? Das Vorbild der Antike allerdings tritt sie in Gestalt eines muskulösen Männertorso leichthin mit Füßen. Verlockender als dessen sprödes Marmorweiß schimmert das zarte Rosa ihrer Brüste. Porzellanhaut, buchstäblich! Die ganze Figurengruppe ist nur 30 Zentimeter hoch und ein Meisterstück der Berliner Porzellanplastik des 18. Jahrhunderts. Mit Bravour und scharfer Ironie hat der Bildhauer Wilhelm Christian Meyer hier seine eigene Profession persifliert und deren hehre Ideale mit der Wirklichkeit abgleicht. Die Porzellanskulptur gehört zu einer ganzen Serie ironischer Allegorien der Freien Künste, eine witziger als die andere. Jede der zierlichen Figurengruppen schraubt sich als perfekte Komposition aus Gesten und Posen in den Raum und ist gespickt mit witzigen Details. Dies alles zu entschlüsseln, braucht es Scharfblick und Geduld. In einem mehrjährigen Forschungsprojekt hat sich die Kunsthistorikerin Dorothee Heim über die fragilen Porzellanfiguren aus dem Bestand des Kunstgewerbemuseums gebeugt. Das Ergebnis liegt jetzt als dickleibiger Bestandskatalog zur Berliner Porzellanplastik zwischen 1751 und 1825 vor.

Freitag, 21. Oktober 2016

+ultra - eine Ausstellung als "Trainingslager für das Humboldt-Forum"

Von Michael Bienert - "Das ist unser Trainingslager für das Humboldt-Forum", sagt Horst Bredekamp, einer der drei Gründungsintendanten der Kulturinstitution, die das wiederaufgebaute Berliner Schloss bald mit Leben erfüllen soll. Im Martin-Gropius-Bau ist Bredekamp nun mitverantwortlich für die interdisziplinäre Wissenschaftsausstellung +ultra. gestaltung schafft wissen, einer Wunderkammer, die 300.000 Jahre alte Faustkeile mit dem Operationsbesteck von Neurochirurgen, Aufzeichnungen von Charles Darwin und Karl Marx, 3-D-Animationen eines Hundeskeletts in Bewegung mit Videoarbeiten zeitgenössischer Künstler zusammenbringt. Hervorgegangen ist die Ausstellung aus dem Exzellenzcluster "Labor Bild Wissen Gestaltung" der Humboldt-Universität, an dem Wissenschaftler aus 40 Disziplinen mitarbeiten.
Radikal grenzüberschreitendes Denken und Forschen liegt dieser Präsentation zugrunde, und es kann einem schon ein bisschen schwindlig werden, wenn Horst Bredekamp erklärt, es gehe letztlich darum, "den aristotelischen Materiebegriff" zu verändern: "Wir gehen von der Aktivität aus!" Tatsächlich ist dieser Denkansatz aber gar nicht so neu, vor 200 Jahren - zu Zeiten der Humboldts - arbeiteten viele Forscher bereits an der Überwindung eines mechanistischen Weltbildes. Sie versuchten wie Hegel die Materie aus der Bewegung des Geistes zu erklären oder gingen wie Goethe von einer beseelten Natur aus: "Kein Menschen will begreifen, dass die höchste und einzige Operation der Natur und Kunst die Gestaltung sei."
Dieses Goethe-Zitat steht als Leitspruch über der ganzen Ausstellung. "Gestaltung" ist der Begriff, der Natur- und Kulturwissenschaften zusammenführen soll, und so werden in der Ausstellung sehr unterschiedliche Natur- und Kulturphänomene von verschiedenen Perspektiven her belichtet: Der Werkzeuggebrauch, der auch in der Tierwelt zu beobachten ist, organisches Denken in der Architektur oder auf Naturbeobachtungen fußende technische Konstruktionen.
In den letzten drei Ausstellungskapiteln geht es um Themen, die durch die Digitalisierung des Alltags besondere Brisanz gewonnen haben: Die Erfassung von Körperdaten, die Wissenschaftler und Künstler schon immer interessiert hat, jetzt aber zu einem Volkssport und Riesengeschäft geworden ist. Die Künstlerin Jennifer Lyn Morton hat auf diese Kommerzialisierung mit der Gründung einer Firma reagiert, die Daten ihrer Aktivitäten vermarktet. Digitale Gesichtserkennung ist ein weiteres Thema, mit dem wir aktuell als Nutzer von Internetplattformen und videoüberwachten Plätzen konfrontiert sind, das aber ähnlich schon die Physiognomen des 18. Jahrhunderts umgetrieben hat. Zuletzt wirft die Ausstellung einen kritischen Blick auf bildgeleitete Handlungen. Bei medizinischen und militärischen Operationen werden Bilder, auf denen Entscheidungen basieren, immer wichtiger, während ein direkter Kontakt mit dem Ziel des Ein- oder Angriffs vermieden wird.
Der Zusammenhang der präsentierten Objekte und Themen erschließt sich nicht immer gleich auf den  ersten Blick. Die Aktivität der Ausstellungsbesucher ist gefordert, sie werden Teil der Laborsituation, mit der die Kuratoren Nikola Doll, Horst Bredekamp und Wolfgang Schäffner austesten wollen, mit welchen Mitteln eine Wissenschaftsausstellung heute ihr Publikum am besten erreicht. Der größte Ausstellungsraum ist als "active space" konzipiert, in dem fast täglich Begleitveranstaltungen stattfinden, alles bei freiem Eintritt.
"Die Ausstellung im Humboldt-Forum wird aber ganz anders aussehen", versichert Kuratorin Nikola Doll. Auf ähnlich großer Ausstellungsfläche seien dort jährlich drei wechselnde, kleinere Ausstellungen  geplant. Im Martin-Gropius-Bau erkennt man die Richtung, in der es im Humboldt-Forum gehen soll: Vorgeführt wird heutige Wissenschaft als eine Aktivität, die schöpferisch gestaltet, Grenzen überschreitet, Geschichte und Gegenwart zusammenbringt. Darin schwingt ein utopisches Moment mit, das im Universitäts- und Wissenschaftsbetrieb oft unter die Räder kommt. Genau diese Freiheit des Denkens, Experimentierens und Gestaltens ist es jedoch, die den Begriff "Humboldt-Forum" mit Leben füllen könnte.

Bis 8. Januar 2017 im Martin-Gropius-Bau, Eintritt frei.

Mittwoch, 19. Oktober 2016

Go Osaka in Berlin

Michael Bienert und Go Osaka bei
Lutter & Wegner. Foto: Tomo Miichi
Der vielfach preisgekrönte japanische Krimi- und Bestsellerautor Go Osaka schreibt an einem Roman über den romantischen Dichter und Richter E. T. A. Hoffmann. Auf einer Recherchetour durch Berlin hat Michael Bienert den japanischen Autor begleitet: zunächst ins Jüdische Museum, in dessen Altbau Hoffmann als Richter gearbeitet hat, in den von Daniel Libeskind entworfenen E. T. A. Hoffmann-Garten (heute Garten des Exils), dann auf die Friedhöfe vor dem Halleschen Tor zu den Gräbern Hoffmanns, Adelbert von Chamissos und der Familie Mendelssohn. Weiter gings zum Gendarmenmarkt, viele Jahre Wohnsitz und Lebensmittelpunkt des Dichters, zum versteckten Hoffmann-Denkmal und in die Weinstube Lutter & Wegner. Über die Berlintour wird bald mehr in der japanischen Literaturzeitschrift "Shosetsu Shincho" zu lesen sein, denn Osaka wurde von einem Redakteur und einem Fotografen begleitet, außerdem von einer Übersetzerin und seiner Frau. Der weitgereisten Runde spendierte das Weinlokal eine Runde "Lutter & Wegner"-Sekt und die Japaner lernten den traditionellen Trinkspruch: "In Hoffmanno!"
Michael Bienerts Buch E. T. A. Hoffmanns Berlin hatte Go Osaka bereits in Japan via Internet bestellt, nun ließ er es sich signieren (Foto). Sein Urteil: "Sollte sofort ins Englische übersetzt werden, damit es weltweit gelesen wird!"

Michael Bienert
E. T. A. Hoffmanns Berlin
Literarische Schauplätze
176 Seiten, 193 Abbildungen
vbb- Verlag für Berlin und Brandenburg,
Berlin 2015, 24,99 €

Mehr Infos zum Buch und Stadtführungen

Donnerstag, 13. Oktober 2016

Gropius to Go

Mit ein paar Tagen Verspätung ist sie nun einsatzbereit: Die App des Landesdenkmalamtes, mit denen man Berlin auf den Spuren des Bauhausgründers Walter Gropius erkunden kann. Gropius hat Villen, Wohnzeilen, Kupferhäuser, ein Grabmal auf dem Jüdischen Friedhof und das Bauhaus-Archiv entworfen, die Gropiusstadt trägt seinen Namen, darüber hinaus hinterließ Gropius eine Vielzahl unrealisierter Berliner Projekte wie ein "Totaltheater" für den Regisseur Erwin Piscator. Zu all diesen Themen bietet die App kompakte Informationen, Karten und Empfehlungen für Spaziergänge.

Im Auftrag der Gewobag hat Michael Bienert dem Landesdenkmalamt mit einer Recherche zum Anteil von Gropius an der Reichsforschungssiedlung Haselhorst zugearbeitet. Auf dieser Grundlage ist jetzt auch der Eintrag in die Denkmaldatenbank überarbeitet und mit aktuellen Fotos vom Zustand der denkmalgerecht sanierten Siedlung versehen worden.

Weitere Infos über Führungen durch die Reichsforschungssiedlung und das Buch von Michael Bienert über Haselhorst

Mittwoch, 12. Oktober 2016

Im Käfig der Freiheit - Neuerwerbungen im Kunstmuseum Wolfsburg

Von Elke Linda Buchholz - Einfach nervtötend, dieser Alarmton. Kaum betritt man den Ausstellungsraum, schrillt er los. Die Besucher müssen sich den Bondage-Aktfotos von Nobyoshi Araki bis auf Tuchfühlung nähern, erst dann verstummt das ohrenbetäubende Piepen. Jeppe Heins Soundinstallation verkehrt das übliche Museumsalarmsystem, das die Besucher auf Abstand hält, ins Gegenteil. Aber will man den kunstreich zum Paket verschnürten weiblichen Aktmodellen Arakis wirklich so nahe treten? Jeder muss hier selbst ausloten, wo die Schmerzgrenze des Erträglichen erreicht ist, nicht nur akustisch. Der Direktor des Kunstmuseums Wolfsburg, Ralf Beil, hat die beiden künstlerischen Arbeiten kurzerhand nach eigenem Gutdünken kombiniert und so einen sehr speziellen Erfahrungsraum geschaffen. Auch die regulierten Bedingungen, unter denen man Kunst im Museum sieht, legt er damit offen. „Im Käfig der Freiheit“ nennt Beil seinen thematischen Streifzug durch die eigenen Bestände. Weiterlesen im Tagesspiegel

Dienstag, 11. Oktober 2016

Kollwitzmuseum eröffnet Lesesaal und Depot

Für Museumsleiterin Iris Berndt (Foto rechts) und den von Eberhard Diepgen geleiteten Förderverein war es ein freudiges Ereignis: Heute wurde im Käthe-Kollwitz-Museum der neue Lesesaal mit modernen Magazinschränken für die empfindlichen Arbeiten auf Papier offiziell eingeweiht. Damit ist sichergestellt, dass die Blätter von Käthe Kollwitz künftig nach heutigen konservatorischen Standards aufbewahrt werden, zugleich wurde die Zugänglichkeit für Besucher des Museums verbessert.
Nur 20 Prozent des Sammlungsbestandes können in der Ausstellung des Hauses gezeigt werden, weitere Arbeiten können Interessenten und Forscher sich nun nach Voranmeldung vorlegen lassen. Fachlich beraten wurde das Privatmuseum vom Berliner Kupferstichkabinett, finanziert hat das Vorhaben von der Herrmann Reemtsma Stiftung, nachdem der heutige Eigentümer des Gebäudes eine Garantie abgegeben hatte, dass das Kollwitz-Museum das Haus in der Fasanenstraße mindestens 20 Jahre lang weiter nutzen kann.
Zur Website des Museums

Fotos des neuen Magazin- und Lesesaals: Michael Bienert

Sonntag, 9. Oktober 2016

Kunst statt Knast - eine deutsch-chinesische Künstlerbegegnung im ehemaligen Frauengefängnis Lichterfelde

Das ehemalige Frauengefängnis in Lichterfelde
Von Elke Linda Buchholz - An den grauen Zellentüren sitzen massive Schlösser. Lichtschalter gibt es nur außen, auf dem Gang. Aber die Türen stehen offen. Das ehemalige Frauengefängnis in Lichterfelde probt seit dem Frühsommer die Metamorphose zum Kulturort. „Atelier 5“ steht in chinesischen Schriftzeichen an einer Zellentür. Seit Mitte August arbeiten hier acht chinesische und acht deutsche Künstlerinnen und Künstler. Weiterlesen im Tagesspiegel

Donnerstag, 22. September 2016

Preisträger protestieren gegen die Abschaffung des Adelbert-von-Chamisso-Preises

Diese Nachricht würde dem Namensgeber
Adelbert von Chamisso gar nicht
gefallen haben.
"Da bleibt einem die Spucke weg", kommentieren die Preisträger Ilija Trojanow und José F. A. Oliver in der F. A. Z.: Einer der renommiertesten und wirkungsvollsten Literaturpreise wird abgeschafft! Die Robert-Bosch-Stiftung will den Adelbert-von-Chamisso-Preis 2017 zum letzten Mal vergeben. Das Presseecho ist kontrovers:

- Stefan Kister berichtet in den Stuttgarter Nachrichten.
- Ein kritischer Kommentar aus der Stuttgarter Zeitung
- Feridun Zaimoglu im Deutschlandradio Kultur
- Pro und Contra im Bayerischen Rundfunk
- Jörg Plath auf Deutschlandradio Kultur - Preisträger Sherko Fatah im rbb-Kulturradio
- Preisträger Artur Becker spricht in der Frankfurter Rundschau von einer "technokratischen Entscheidung" und einem falschen Signal.

Donnerstag, 15. September 2016

Kunstspaziergänge zur Berlin Art Week



Im aktuellen Kunstmagazin des Tagesspiegels sind wir mit zwei Beiträgen vertreten: Michael Bienert hat einen Wegweiser zu wenig bekannten Bauhausbauten in Berlin beigesteuert, Elke Linda Buchholz ein Vademecum zu den originellsten Tierskulpturen im Stadtbild verfasst. Das pralle Heft, ein veritabler Führer durch die aktuelle Kunststadt Berlin, ist für 8,50 Euro im Zeitschriftenhandel erhältlich.

Donnerstag, 1. September 2016

Modernes Berlin der Kaiserzeit - Lesungen im September

Nach der gut besuchten Buchpremiere in der Villa Oppenheim gibt es weitere Lesungen und Gelegenheiten, mit dem Autor Michael Bienert ins Gespräch zu kommen: am 8. September 2015 um 17.30 Uhr in der Urania und am 22. September 2016 um 19 Uhr im Fachbereich Berlin-Studien der Zentral- und Landesbibliothek Berlin.

Donnerstag, 18. August 2016

Heideggers Hütte und Berlin

Michael Bienert vor Heideggers Hütte
Im August 1922 bezog die Familie von Martin Heidegger erstmals ihr Ferienhaus in Todtnauberg im Schwarzwald, eine Butze, die als liebster Schreibort des Denkers in die Philosophiegeschichte einging. In der legendären "Hütte" herrschte indes in den ersten Jahren solcher Lärm, dass der empfindliche Heidegger vor Frau und Kindern floh und sich eine Schreibstube in der Nachbarschaft mietete. Wer heute auf dem mit fünf Infotafeln versehenene Martin-Heidegger-Wanderweg rund um Todtnauberg wandelt, erfährt, dass eher Elfriede Heidegger die treibende Kraft hinter dem Hüttenprojekt war. Sie war es auch, die dafür sorgte, dass das Haus 1931 ans Stromnetz angeschlossen wurde. Heidegger, der an der Freiburger Universität lehrte, hatte zuvor einen Ruf nach Berlin erhalten. Als Ausgleich dafür, dass der Philosoph zu schlechteren finanziellen Bedingungen in Freiburg blieb, übernahm die badische Regierung auf Drängen Elfriede Heideggers die Kosten für einen Stromanschluss.
Neue Sachlichkeit in Todtnauberg
Die Hütte wird bis heute von den Nachkommen des Ehepaars genutzt und ist daher nicht zu besichtigen. Ein Ausflug dorthin lohnt sich aber allemal wegen der schönen Wanderwege in der Umgebung, die auch Heidegger gerne beging. Äußerlich präsentiert sich die Hütte denkmalgerecht restauriert. Die Lage am Hang, das tief herabgezogene Dach und die Fassade aus Holzschindeln sind typisch für die Gegend, die blauen Fensterrahmen und grünen Fensterläden eher für die dezidiert moderne Architektur der 1920er Jahre. Nebenan plätschert der Brunnen, aus dem schon Heideggers schöpften. Eine völlig weltabgewandte Klause war die Hütte jedenfalls nicht, entdeckt hat den landschaftlich reizvollen Ort Elfriede Heidgger beim Skiurlaub in den Bergen. Mit Bahn und dem Bus ist Todtnauberg von Freiburg in einer guten Stunde zu erreichen, viel länger dürfte man auch zu Heidggers Zeiten nicht unterwegs gewesen sein. Mehr Informationen zur Lage der Hütte.

Mittwoch, 27. Juli 2016

Frisch aus der Druckerei: Modernes Berlin der Kaiserzeit

Und so sieht das neue Buch von innen aus...

Es werde Kunst!

Von Elke Linda Buchholz - Da glänzt echtes Gold. Was auf Ikonen und mittelalterlichen Altargemälden einen Abglanz himmlischer Heiligkeit ins Bild holt, nutzt die polnischstämmige Alicja Kwade, um schnöde Kohlebriketts zu veredeln. Warenwerte und Bodenschätze sind beide, Kohle wie Gold. Ordentlich gestapelt verkörpern die schimmernden Barren geballte Finanzkraft, kapitalistische Wirtschaftsstruktur. Gut oder Böse? Die Ausstellung „The Repetition of the Good. The Repetition of the Bad“ im Centrum Judaicum macht keine klaren Grenzen auf. Statt eindeutig Hell und Dunkel zu kontrastieren, beharren die ausgestellten Arbeiten von 15 Künstlern auf Zwischentönen, Vagheiten, Doppelsinn. Die Schau fügt sich in den elfteiligen Ausstellungsreigen „Sein.Antlitz.Körper“ des Kurators Alexander Ochs, der im Frühjahr gestartet wurde und noch bis Ende des Jahres diverse Berliner Kirchen mit neuer Kunst bestückt. Weiterlesen im Tagesspiegel

Sonntag, 26. Juni 2016

Was Sie schon immer über Hoffmanns Berlin wissen wollten

In der Veranstaltung zu "E. T. A. Hoffmanns Berlin" im Tagesspiegel-Salon vom 6. Juni wurden viele Fragen an Michael Bienert aus dem Publikum gestellt - einige hat Dorothee Nolte dokumentiert, erschienen sind die Antworten gestern in der gedruckten Ausgabe des Tagesspiegels:

Welche Quellen nutzen Sie für Ihre Bücher? Archive? Zeitnahe Veröffentlichungen? Andere Autoren?
Susanne und Lutz Janke, Neukölln

Alles! Aber da man nicht alles lesen kann, besteht die Kunst darin, die benötigten Facts möglichst rasch zu finden und einzuordnen. Meistens schaue ich erstmal in der Stadtbibliothek nach und werde im Fachbereich Berlin-Studien fündig.

Welchen Einfluss hatte Berlin Anfang des 19. Jahrhunderts auf das künstlerische Schaffen von E.T.A. Hoffmann?
Anne Schumann, Steglitz 

Berlin als Großstadt mit über 150.000 Einwohnern bot ihm alles, was er brauchte: belebte Straßen zum Flanieren, ein reges Kulturleben, Bibliotheken zum Recherchieren und gleichgesinnte Freunde. Das findet sich in den Erzählungen aus seiner Berliner Zeit wieder.

In Zilles Fußstapfen - Fotografien von Gottfried Schenk

Hinterhof im ehemaligen Zillemilieu
Foto: Gottfried Schenk
Ab dem 6. Juli 2016 präsentiert das Museum Charlottenburg-Wilmersdorf die Sonderausstellung „Auf den Spuren von Heinrich Zille. Kiezfotografien 1976 – 1984 von Gottfried Schenk“ im Kabinett der Villa Oppenheim. Damit rückt das Museum den in der Kaiserzeit errichteten Charlottenburger Klausenerplatz-Kiez in den Fokus. „Auf den Spuren von Heinrich Zille“, der hier 37 Jahre lang wohnte und seine berühmten „Milljöh“-Studien schuf, wandelte 1976 bis 1984 der Fotograf Gottfried Schenk. Er dokumentierte als Mitglied einer Mieterinitiative die Aktivitäten der Kiezbewohnerinnen und Bewohner sowie die morbide Schönheit verfallender Gründerzeitbauten. Seine Fotografien spüren Ansichten und Szenen aus einem traditionellen Arbeiterkiez auf und fangen die verbliebenen Spuren des alten Zille-Milieus ein. Sonderausstellung bis 8. Januar 2017 Weitere Informationen

Mittwoch, 8. Juni 2016

So schön ist Harakiri - Wiedereröffnung des Georg-Kolbe-Museums mit dem Hanako-Zyklus von Rodin

Hanako-Porträts von Auguste Rodin
Fotos: Michael Bienert
Von Michael Bienert - Sie war eine Sensation in der Berliner Kaiserpassage, Friedrichstraße Ecke Unter den Linden. „Madame Hanako wird erdolcht und kann nun mit allen Finessen zeigen, wie große japanische Künstlerinnen auf der Bühne zu sterben verstehen. Unsagbar realistisch und doch wahrhaft ergreifend, mit grausamer Eindringlichkeit nach der Natur gezeichnet“, schwärmte 1908 die „Sport im Bild“. Japans größte Tragödin lockte die Touristen an, im Passage-Theater, das unter einem Dach mit Nippesläden, exotischen Völkerschauen, Panoptikum und Kaiserpanorama residierte. 
Was die Berliner für authentische, weil reichlich fremdartige Schauspielkunst hielten, war tatsächlich ein interkulturelles Missverständnis: Im japanischen Kabuki-Theater wurden Hanakos Paraderollen üblicherweise von Männern gespielt. Insbesondere das Harakiri, der rituelle Selbstmord durch Bauchaufschneiden, war traditionell der obersten Schicht der Samurai-Krieger vorbehalten. Japanische Theaterleute mochten sich eine Frau in so einer Rolle gar nicht erst vorstellen. Nur in Europa und Amerika wurde die puppenhafte Hanako um 1910 zum Star. Sie gehörte zur Riege der Tänzerinnen, die schon vor dem Ersten Weltkrieg ihre von Korsetts und Konventionen befreiten Körper auf den westlichen Bühnen präsentierten. Jetzt bekommt die kleine Tänzerin noch einmal einen großen Auftritt in Berlin. In der Ausstellung „Auguste Rodin und Madame Hanako“ zur Wiedereröffnung des Georg-Kolbe-Museums. Weiterlesen im TAGESSPIEGEL

Der Bildhauer Michael Jastram im Schadow-Haus

Reiterfigur von Jastram und Pferdekopf
von Schadow in der Ausstellung
Von Elke Linda Buchholz - Dieser Stier spürt das Gewicht seiner Reiterin nicht. Sein wuchtiger Körper, aus kantigen Platten gefügt, steht trotzig im Raum wie ein Panzer. Zierlich auf ihm thront Europa, eine schmale Göttin, so als habe sie auf einem Ausguck Platz genommen. Das Ganze ist ein sperriges Gebilde, so wie das politische Europa bisweilen.
Der Bildhauer Michael Jastram, geboren 1953 in Ost-Berlin, hat die mannshohe Gipsskulptur in das historische Atelierhaus Johann Gottfried Schadows verfrachtet. Auf Einladung des Kunstbeirats des Deutschen Bundestages, der im noblen klassizistischen Domizil seinen Dienstsitz hat, arbeitet der Künstler für vier Monate nicht wie sonst in einer Industrieetage im Wedding. Stattdessen testet er die Konfrontation mit dem Schaffensort des Altmeisters. Weiterlesen im TAGESSPIEGEL

Mittwoch, 1. Juni 2016

Der Architekt Jean Krämer - Buchvorstellung am 3. Juni 2016 im Bücherbogen

Straßenbahndepot Nordend
Wer sich mit der Architektur der Zwanziger Jahre in Berlin befasst, kommt an Jean Krämers Bauten nicht vorbei. Doch über den Baumeister vieler Depots, Werkswohnungen und Verwaltungsgebäude für die Berliner Straßenbahn war bisher wenig bekannt. Wer weiß schon, dass der Verkehrsturm am Potsdamer Platz, eine Ikone des damaligen Berlin, von Jean Krämer entworfen wurde? Ehe er sich als Architekt selbständig machte, leitete er von 1908 bis 1918 das Büro seines Lehrers, des AEG-Designers und Architekten Peter Behrens. Diese Keimzelle der Moderne wird in einem neuen Buch mit bisher unbekannten Dokumenten der in Australien lebenden Tochter Jean Krämers beleuchtet. Krämers umfangreiches eigenständiger Beitrag zur modernen Architektur wird erstmals in einem Werkkatalog erfasst. "Krämers Architektur ist aus heutiger Perspektive relevant, denn er wollte eine andere, phantasievollere Moderne, die die Vielschichtigkeit der historischen Stadt nicht verleugnet. Er schuf Bauwerke mit einem individuellen Ausdruck, die auf den städtischen Kontext reagieren. Wie Peter Behrens war er ein umfassender Gestalter auch von Möbelentwürfen und Schrifttypen bis zu ganzen städtebaulichen Anlagen. Da er auch dekorative und spielerische Lösungen suchte, die nicht in den Kanon der puristischen Bauhaus-Moderne passten, wurde er von der Architekturgeschichtsschreibung bisher übergangen", heißt es in der Ankündigung der Monografie,  die am 3. Juni 2016 vorgestellt wird. Sie findet anlässlich des Besuchs der Tochter von Jean Krämer in Berlin im Bücherbogen am Savignyplatz statt. Inge Fernando (Tochter Jean Krämers), Karen Grunow (Kunsthistorikerin und Journalistin) und Carsten Krohn (Architekt, Architekturhistoriker und Fotograf) sprechen über Leben und Werk des Architekten. Die Moderation des Abends übernimmt Jan Dimog (Reporter und Redakteur).

3. Juni 2016, 19:30 Uhr
Bücherbogen am Savignyplatz
Stadtbahnbogen 593
S-Bahn Savignyplatz

Stanford Anderson / Karen Grunow / Carsten Krohn
Jean Krämer | Architekt – und das Atelier von Peter Behrens
Weimarer Verlagsgesellschaft, Weimar 2016
240 S., 313 teilweise farbige Abbildungen, geb. 49,00 Euro

Montag, 23. Mai 2016

Anita Lasker-Wallfisch in der Galerie Parterre - Uraufführung einer Komposition von Hermann Keller am 26. Mai 2016

Anita Lasker-Wallfisch wurde 1925 als jüngste von drei Töchtern des deutschen Rechtsanwalts Alfons Lasker und der Geigerin Edith Lasker in Breslau geboren. Sie ist eine der letzten Überlebenden des sogenannten »Mädchenorchesters von Auschwitz«. Ihre älteste Schwester Marianne konnte Ende 1939 nach England in Sicherheit gebracht werden, 1942 wurden Lasker-Wallfischs Eltern deportiert und ermordet. Gemeinsam mit ihrer Schwester Renate versuchte Anita Lasker-Wallfisch, mit Hilfe gefälschter Pässe nach Frankreich zu entkommen. Beide wurden verhaftet und nach Gefängnisstrafen ins KZ Auschwitz deportiert. Anita wurde als Cellistin und Renate als Notenwart Mitglied im Lagerorchester. Im November 1944 wurden die Schwestern ins KZ Bergen-Belsen verlegt und dort am 15. Ap­ril 1945 von britischen Truppen befreit. Wenige Monate später trat Anita Lasker-Wallfisch im »Lüneburger Prozess« als Zeugin auf. 1946 wanderte sie nach Großbritannien aus und wurde Mitbegründerin des Londoner English Chamber Orchestra. Dort spielte sie bis 2000 als Cellistin. 1994 besuchte sie zum ersten Mal wieder Deutschland. Herman Keller schrieb sein Stück als eine Hommage an Anita Lasker-Wallfisch. Seit langer Zeit bemüht er sich um die Uraufführung in Anwesenheit der Künstlerin, die nun von der Galerie Parterre Berlin in Zusammenarbeit mit dem Berliner Kabinett e.V. realisiert werden konnte.

Sonntag, 15. Mai 2016

Modernes Berlin der Kaiserzeit - lieferbar ab August 2016

Nun ist es kein Geheimnis mehr: Die Deutsche Nationalbibliothek hat als erste den Titel und die Eckdaten unseres neuen Buches im Internet veröffentlicht.
"Modernes Berlin der Kaiserzeit" von Michael Bienert und Elke Linda Buchholz erscheint im August 2016 und erweitert den Erfolgstitel "Die Zwanziger Jahre in Berlin" (6. Auflage) zu einem Wegweiser durch das moderne Berlin der Epoche von 1871 bis 1933.
Beide Bücher erscheinen im Berlin Story Verlag zum Preis von 19,95 €.

Samstag, 14. Mai 2016

Im Theater (61): "Berlin Alexanderplatz" am Deutschen Theater

Von Michael Bienert - Die Hälfte des Publikums verlässt den Saal schon in den beiden Pausen, die der Regisseur Sebastian Hartmann zuschauerfreundlich in seine Viereinhalb-Stunden-Adaption des berühmtesten Berlin-Romans eingeschaltet hat. An den Schauspielern des Deutschen Theaters liegt es nicht: Ob als perfekt disponierter Chor, ob in Spielszenen oder Monologen, in den ausgefeilten Auftritten reiht sich Kabinettstückchen an Kabinettstückchen, wird Döblins Roman Berlin Alexanderplatz als Sprachkunstwerk beim Wort genommen und zum Leuchten gebracht. Ja, auf eine vertrackte Art und Weise hält diese collagehafte Nummernrevue dem Autor Döblin und seinem Roman die Treue, so sehr, dass ein großer Teil des Publikums frustriert kapituliert. Aber ist es nicht, Hand aufs Herz,  vielen Lesern ebenso ergangen? Döblins Erzählen arbeitet gegen die naturalistische Zurichtung der Wirklichkeit an, es ist sprunghaft, ausufernd, anarchisch und auch selbstironisch. Eine ähnliche Verweigerungshaltung gegen das Gefällige, Geordnete und Erwartbare strukturiert diese Inszenierung.
Weder wollen Hartmann und das Ensemble die allbekannte Geschichte vom Franz Biberkopf noch einmal chronologisch nacherzählen, noch die Großstadtatmosphäre mit den Mitteln des Theaters simulieren, so wie es Döblin mit seiner Montagetechnik im Roman gelingt. Das Publikum blickt auf eine kühle Versuchsanordnung, auf grelle weiße Wände aus Leuchtstoffröhren, die vor dem nackten Rundhorizont der großen Bühne hin- und hergerollt werden. Sie dient als Projektionsfläche für Videoanimationen (von Thilo Baumgärtel), die auf surrealen, bisweilen kindlich verspielten Schwarz-Weiß-Zeichnungen beruhen. Ein Berliner Hinterhof ist da mal erkennbar, auch die Kostüme (Adriana Braga Peretzki) und der brachiale Dialekt zitieren die Stadt der Zwanziger Jahre, doch ist das nicht Endzweck der Inszenierung, sondern nur Spielmaterial. Gar keine Rolle spielt hier der reale oder historische Alexanderplatz: Er ist lediglich als kreisrunde Spielfläche und Schriftzug vorhanden. Viele ernster als die Berliner Topografie nimmt die Aufführung die vielfältigen mythologischen Verweise, durch die Döblin die Biberkopf-Story mit Bedeutung auflädt: Der Tod, Hiob, Abraham und Isaak, die Engel sind die Hauptfiguren neben Biberkopf. Der Schlachthof und die Irrenanstalt sind die Hauptschauplätze, auf denen die Frage verhandelt wird, wie viel ein Mensch von sich opfern muss, um als sehender und fühlender Zeitgenosse durchs Leben zu gehen.
Denn blind hat Franz Biberkopf seine Braut Ida erschlagen, so triebblind wie er nach Verbüßung seiner Haftstrafe wieder an die Tür - hier eine Blechkiste - ihrer Schwester Minna klopft. Andreas Döhlers Biberkopf spielt mehr den Zuhältertyp als den gutmütigen Transportarbeiter, lebenshungrig stürzt er sich auf die Frauen, die das Schicksal ihm zuspielt. Katrin Wichmann als Minna (und später als Mieze) gibt die resolute  Berlinerin, die sich mit Händen, Füßen und Mundwerk gegen die Kerls zu wehren weiß und am Ende trotzdem unterliegt. In einem fortgeschritteneren Stadium der Aufführung schlüpfen Felix Goeser und Wiebke Mollenhauer in die Rollen des vierschrötigen Biberkopf und der zarten Mieze, die für ihn anschaffen geht, nachdem er einen Arm verloren hat. Der stotternde Reinhold (Edgar Eckert), Miezes Mörder, bleibt als hübscher Kerl mit Lockenfrisur und Migrationshintergrund eine Nebenfigur. Moritz Grove kommentiert das Geschehen als Conférencier wie auf einem billigen Rummelplatz, Michael Gerber und Gabriele Heinz gelingen stillen, intensive Momente als Hiob und alte Erzählerin. Almut Zilcher als Tod rennt in einem zähen Showdown gegen den passiven Widerstand Franz Biberkopfs an, der sich weigert, ein anderer Mensch zu werden. 
Die Wandlung zu einer gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit hatte Döblin als Fluchtpunkt vor Augen, glaubte aber dieses Ziel selbst verfehlt zu haben, als er den fertigen Roman las. In der Aufführung wird Biberkopfs Wandlung im Schlussbild vom Chor behauptet, plausibler als im Roman wird sie dadurch nicht. Eine Empfindung von Ratlosigkeit, mit der man das Buch aus der Hand legt, bleibt auch nach dieser sorgfältigen Adaption. Sie schlachtet Döblins Roman nicht bloß fürs Theater aus, macht kein gefälliges Berlin-Stück daraus, sondern arbeitet sich tatsächlich an seinen Widersprüchen und Widerständen ab. Zum Spielplan des Deutschen Theaters  

Mittwoch, 11. Mai 2016

Der Maler Wolfgang Leber im Märkischen Museum

Wolfgang Leber im Atelier
Foto: Lutz Wohlrab / Wikimedia
Von Elke Linda Buchholz - Eine Frau steht am Fenster, halb verdeckt. Um sie herum überlagern sich weiße Flächen wie Spiegel, Raumgrenzen, Durchblicke und Wände. Ein wenig Jan Vermeer steckt in dem Motiv, auch Oskar Schlemmer und Henri Matisse. Das ergibt Brechungen und Transparenzen: ein typischer Wolfgang Leber. Der Berliner Künstler hat das Großformat 1978 gemalt. Neben seinen neueren Arbeiten hängt das Bild ganz bruchlos, weder alt noch neu, genauso frisch, genauso klassisch. Hundertvierzig Werke aus fünfzig Jahren versammelt die Retrospektive im Märkischen Museum.
Sie ehrt einen Maler, den man in seiner Stadt kaum noch kennt. Im Februar ist Leber achtzig Jahre alt geworden. Mit elastischem Schritt schreitet Wolfgang Leber durch die Ausstellung, ein Flaneur noch immer, mit unaufgeregtem Habitus und ruhigem Blick. Aquarellartige Transparenz zeichnet viele Gemälde Lebers aus. Das macht sie leicht und luftig, trotz klarer Linienstrukturen und leuchtender Töne. Er selbst erklärt seine Vorliebe fürs verdünnte Kolorit lachend mit seiner Sparsamkeit: Wer die Farbe stark verdünnt, braucht weniger Material. Und das war in der DDR häufig knapp für einen, der außerhalb des offiziellen Betriebs arbeitete. Eingeschränkt habe ihn das Regime nicht, meint Leber beim Gang durch die Ausstellung: „Man steht ja im Atelier, da ist keine Aufsicht. Da hatte ich die Freiheit, zu malen, was ich wollte. Der Druck kam dadurch, dass man nicht genügend Ausstellungsmöglichkeiten hatte.“Weiterlesen auf www.tagesspiegel.de

Montag, 9. Mai 2016

Neues Leben im Nicolaihaus - Lesung am 26. Mai 2016 - Buch zur Hausgeschichte in einer Neuausgabe

Im März wurde das Nicolaihaus in der Brüderstraße, eines der wenigen erhaltenen Bürgerhäuser des 18. Jahrhunderts in Berlin, von der Deutschen Stiftung Denkmalschutz wiedereröffnet. Die Stiftung hat das Haus mit hohem Aufwand restauriert und modernisiert, um es als bedeutende Adresse der europäischen Aufklärung und als "Keimzelle unserer Demokratie" zu sichern. Dem Andenken des Verlegers und Schriftstellers Friedrich Nicolai wurde durch die Einrichtung einer Dauerausstellung zu Leben und Werk Rechnung getragen. Gelegenheit, das Haus als geselligen Treffpunkt von innen zu erleben, gibt es am 26. Mai 2016 ab 19 Uhr.

Professor Dr. Manfred Kappeler stellt sein Buch "Lessings Kiste. Nicolais Plan und das Grimm'sche Wörterbuch" vor. Ein gemeinsames Anliegen der Jugendfreunde Nicolai, Lessing und Mendelssohn war es, zur 'Hebung des Geschmacks' ein allgemeines Wörterbuch der deutschen Hochsprache zu schaffen. Welche Erfahrungen und Motive die Freunde zu diesem Vorhaben brachten und was schließlich daraus geworden ist, wird der Autor Kappeler mit einer Lesung aus seinem Buch berichten. Im Anschluß wird Zeit für Diskussion und einen kleinen Umtrunk sein. Der Eintritt ist frei. Anmeldung ab sofort telefonisch (030/626406-390) oder per E-Mail (nicolaihaus@denkmalschutz.de). Weitere Veranstaltungen werden auf der Website des Freundeskreises Nicolaihaus angekündigt.

Zur Wiedereröffnung des Nicolaihauses hat der Verlag der Deutschen Stiftung Denkmalschutz ein 2006 erschienenes Buch über die Geschichte des Gebäudes in einer aktualisierten Fassung wiederaufgelegt. Vorgestellt werden berühmte Bewohner wie der Porzellanfabrikant Johann Ernst Gotzkowky, die Verlegerfamilie Partei, der Dichter Theodor Körner und die Malerin Johanna Dorothea Stock. Auch wird daran erinnert, dass das von den Nationalsozialisten geschlossene Lessing-Museum sich seit 1913 im Nicolaihaus befand. Zahlreiche Veranstaltungen machten es zum ersten Literaturhaus Berlins. Ergänzt wird die Neuausgabe des Buches durch Informationen zum Umgang mit der historischen Bausubstanz während der Sanierung, die erheblich länger dauerte als zunächst geplant.

Marlies Ebert / Uwe Hecker (Hg.)
Das Nicolaihaus
Brüderstraße 13 in Berlin
Monumente Publikationen, Bonn 2016
Gebunden, 96 Seiten, 14,90 Euro
ISBN 978-3-86795-122-7
Bestellbar bei Monumente Publikationen


Sonntag, 8. Mai 2016

E. T. A. Hoffmann im Mai

So romantisch umblüht sieht man das Denkmal am Gendarmenmarkt
nur an wenigen Tagen im Jahr. Foto: Michael Bienert


Mittwoch, 27. April 2016

Enthüllt - Berlins verschwundene Denkmäler sind ab sofort in der Spandauer Zitadelle ausgestellt

Fotos: Michael Bienert
Soviel Aufregung um Lenins Kopf, der vor 25 Jahren symbolträchtig vom Sockel des großen Denkmals am heutigen Platz der Vereinten Nationen gehoben, verbuddelt und nach kontroverser Diskussion letztes Jahr wieder ausgegraben wurde! Da liegt der Granitklotz nun in der hintersten Ecke des neuesten Berliner Museums und döst ganz unmonumental vor sich hin. Er reiht sich ein in die lange Kette von Denkmälern, mit denen Stadträume ideologisch besetzt wurden, um dann nach einem Systemwechsel wieder aus dem Verkehr gezogen zu werden.
Den größten Raum nimmt der Figurenschmuck der ehemaligen Siegesallee im Tiergarten ein, die 1901 als Geschenk des Kaisers an die Stadt fertiggestellt wurde (s. Abbildung unten). 96 Einzelporträts von preußischen Herrschern und ihren Zeitgenossen umfasste das Ensemble für den Geschichtsunterricht im Grünen ursprünglich, ein Teil wurde im Zweiten Weltkrieg zerstört, ein Teil unter alliierter Verwaltung vergraben und später wieder ausgebuddelt.
Ein überraschendes Wiedersehen gibt es in der Ausstellung auch mit dem glitzernden Kubus, aus dem in DDR-Zeiten in der Neuen Wache die ewige Flamme für die Opfer des Faschismus emporloderte (s. Abbildung rechts). Heute steht dort die Skulptur einer trauernden Mutter, nach einem von Helmut Kohl eigenhändig ausgesuchten Entwurf von Käthe Kollwitz.
Von den Monumenten der Weimarer Republik ist in der Dauerausstellung im umgebauten Proviantmagazin der Zitadelle lediglich das Denkmal für die gefallenen Eisenbahner ausgestellt, das 1928 vor dem Hamburger Bahnhof enthüllt wurde. Aus der NS-Zeit stammt neben einer Figur Arno Brekers ein 2011 ausgegrabener völkischer Gedenkstein mit der Inschrift "30. Hartung 1933" aus dem Grunewald. Ergänzt werden die dreidimensionalen Objekte durch Medientische und Projektionen, mit denen zum Beispiel an Mies von der Rohes verschwundenes Mahnmal für die Opfer der Revolution von 1918/19 in Friedrichsfelde erinnert wird, oder an die hypertrophen "Germania"-Pläne Adolf Hitlers und Albert Speers. Originell ist die Idee, in einem dunklen Raum die Akustik der von Speer geplanten, über 300 Meter hohen "Großen Halle" zu simulieren. Für Blinde und Nichtblinde gibt es zahlreiche kleine Modelle zum Betasten in der Ausstellung, und auch für die ausgestellten Denkmalskulpturen gilt ausdrücklich: Anfassen erlaubt!
Weder ein Lapidarium noch eine Kunstausstellung hatten die Ausstellungsmacher um die Spandauer Kulturamtsleiterin Andrea Theissen im Sinn: "Wir wollten politische Denkmäler zeigen, die etwas über die Geschichte und ihren Umgang damit erzählen." Ergänzt wird die Präsentation der aus dem Stadtbild verschwundenen Denkmäler durch eine temporäre Schau mit kleineren Objekten, Fotos und Dokumenten zur Denkmalgeschichte Berlins seit dem 18. Jahrhundert - die tiefere Einblicke in die Berliner Denkmalgeschichte ermöglicht als die Dauerausstellung, weshalb man beides möglichst vor dem 30. Oktober 2016 besichtigen sollte. Außerdem zeigen neun lebende Künstler auf einer dritten Ausstellungsebene aktuelle Arbeiten, die sich mit Berliner Denkmälern auseinandersetzen. Es ist reichlich Ausstellungsfläche in der Zitadelle vorhanden, denn das Büro Stab Architekten hat zwei langgestreckte Flügel der Anlage - das Proviantmagazin und die Alte Kaserne - denkmalgerecht umgebaut und dabei viele Spuren der Geschichte wieder sichtbar gemacht. Insgesamt 14 Millionen Euro standen für Umbauten und Ausstellungen zur Verfügung. Eine kluge Investition am richtigen Ort, der die Zitadelle als Kulturstandort und Touristenattraktion nachhaltig aufwertet.

Weitere Infos unter www.enthuellt-berlin.de