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Sonntag, 11. Mai 2014

Geometrie und Wildwuchs - Die rekonstruierten Heckengärten der Liebermannvilla

Liebermanns Garten: Blick zum Wannsee
Von Elke Linda Buchholz - Da ist sie wieder, die weiße Bank! Als Blickpunkt kennt man sie aus vielen Gartenbildern Max Liebermanns. Jetzt steht sie rekonstruiert im mittleren der drei geometrisch angelegten Heckengärten auf dem Wannseegrundstück des Malers und lädt Gartenflaneure zum Hinsetzen ein. Mehrere solcher weißgestrichenen Sitzgelegenheiten hatte Liebermann auf seinem Grundstück verteilt: wohlpositionierte Akzente im Raumkunstwerk Garten. Und Aussichtspunkte, um das gestaltete Grün zu betrachten. Endlich ist der ganze Garten des Malers nun komplett, inklusive der Heckengärten, um deren Terrain jahrelang mit einem benachbarten Ruderclub erbittert gerungen wurde.

Die Liebermann-Villa nutzt die Gelegenheit, in einer kleinen Sonderausstellung einmal genauer unter die Lupe zu nehmen, wie Liebermann seine Heckengärten als Malmotiv nutzte. Denn das tat er: 22 Grafiken, Pastelle und Gemälde versammelt die Schau. Aus den verschiedensten Blickwinkeln erkundete der Maler diesen besonderen Bereich seines Gartens. Mal lässt er die hellen Wege fast jugendstilhaft durchs Bild schwingen und fasst die dichtbepflanzten Blütenrabatten zu kompakten Farbflächen zusammen. Dann wieder beobachtet der Maler, wie seine kleine Enkelin Maria mit ihrer Kinderfrau den geschützten Heckenraum als Kinderstube nutzt, ein Buch aufschlägt oder in einem Sandhaufen buddelt. Oder er macht das sonnendurchschienene Blattwerk zum Dschungel aus Pinselstrichen, eine grüne Farbimprovisation, fast chaotisch.
Geometrie im Garten
Auf einem kleinen Gemälde von 1924 schafft nur der schnurgerade Weg, der ins Heckengrün hineinführt, Orientierung – und tatsächlich, genau diese Blickachse gibt es draußen im Garten wirklich. Das Besondere an den von Liebermanns Gartenberater Alfred Lichtwark, dem Hamburger Museumsmann und Gartenreformer, ersonnenen Heckengärten ist ihre streng geometrische Form. Rechtwinklig von dichten Hainbuchen-"Wänden" umschlossen reihen sich die drei "grünen Kammern" in perfekter Symmetrie aneinander. Der erste zeigt ein quadratisches Wegenetz, exakt wie ein Spielbrett, der zweite überrascht mit ovaler Struktur und üppigen Schmuckbeeten, der dritte zeigt sich verspielter mit einer umrankten Rosenlaube im Zentrum. Man wähnt sich fast in einem barocken Schlossgarten. Um 1900 jedoch war so ein formaler Garten topmodern. Die pseudo-natürlichen Landschaftsgärten englischen Stils hatte man einfach satt. Jetzt wollten die Gartengestalter die klare, gestaltete Form. Und da kam die gute alte Hecke als Gestaltungsinstrument gerade recht: Mit ihr ließen sich grüne Wände errichten, Räume abgrenzten, gerade Achsen und Sichtschranken schaffen.
Liebermanns Bildregie hält dagegen: In seinen Bildern gibt es keine Symmetrie. Zwar gefielen ihm die klaren Formen der Heckengärten. Aber er rückte seine Staffelei an dezentrale Standorte, schafft mit diagonalen Kompositionen Spannung. Beete werden abrupt angeschnitten, symmetrische Wege aus der Achse verschoben, ganze Bereiche malerisch im Unklaren gelassen. Vielleicht reizte den Maler gerade das Mit- und Gegeneinander von strenger Form und freiwuchernder Vegetation. Die Zeitgenossen kauften diese Bilder gern: Als kluger Geschäftsmann wiederholte Liebermann bestimmte Motive gleich mehrfach, sowohl fein und klein in Pastell, also auch großzügig in Öl. Auf einem schönen Pastell aus der Kunsthalle Bremen von 1920 deutete er den Blick von seiner geliebten Obstwiese in Richtung Heckenpartie nur duftig an. Ein großes Gemälde aus derselben Zeit zeigt fast dieselbe Perspektive. Nun jedoch ahmen saftige Pinselstriche die Struktur des sommergrünen Laubwerks nach. Und sogar die einzelnen Pfirsiche pinselte Liebermann als pastos aufgesetzte Flecken in hellrot und cremeweiß zum Schluss auf, quasi als I-Tüpfelchen der Komposition.

Blumenrabatten vor der Liebermannvilla
Eines der Gartengemälde bekam der Landschaftsgestalter Albert Brodersen vom Hausherrn als Dankeschön geschenkt. Er hatte die Ideen und Pläne von Liebermann und Lichtwark Wirklichkeit werden lassen: in feinbestreuten Kieswegen, Hunderten von Hainbuchensetzlingen und ausdauernd blühenden Blumen. Auf dem Brodersen-Gemälde steht der große Kastanienbaum gerade in voller Blüte. Genau wie jetzt! Wie die weißen Blütenkerzen des mittlerweile betagten Baumveteranen duften und wie der Wind durch die Heckengärten streicht, das erfährt man im Freien. Diese Gelegenheit, die gemalten und den echten Garten im Zusammenspiel zu erleben, hat man nicht einmal in Monets Künstlergarten in Giverny. Dort fehlen die Originale.

Bis 31. August 2014, tägl. außer Di 10–18 Uhr, Do und So bis 19 Uhr Katalog "Der vollendete Garten. Max Liebermann – Die Heckengärten", 96 Seiten, 15 €

Weitere Infos unter http://www.liebermann-villa.de

Erstdruck im TAGESSPIEGEL vom 11. Mai 2014

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