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Freitag, 21. Februar 2014

Wiederentdeckt: Das deutsche New York

Von Michael Bienert - Wenn es zwischen Staaten kriselt, tut es immer gut, sich zu erinnern, was ihre Bürger über die Tagespolitik hinaus verbindet. Insofern kommt dieses Buch zur rechten Zeit, gerade wegen der Abkühlung des deutsch-amerikanischen Verhältnisses durch die NSA-Affäre. Es erzählt von der historisch gewachsenen Nähe zwischen Deutschen und US-Amerikanern, die leider durch zwei Weltkriege überschattet wurde und hierzulande etwas in Vergessenheit geraten ist. Fünf Millionen Deutsche wanderten im 19. Jahrhundert in die USA aus, die meisten via New York. So war die Boomtown am Hudson zeitweise die drittgrößten deutschsprachigen Stadt nach Berlin und Wien. Die Immigranten gründeten Brauereien, Theater und deutschsprachige Zeitungen. Weltfirmen wie die Klavierfabrik Steinway & Sons oder das Bankhaus Goldman Sachs gehen auf deutschen Unternehmergeist zurück, aber auch New Yorker Sehenswürdigkeiten wie das Kaufhaus Macy´s oder die von deutschen Ingenieuren erdachte Brooklyn Bridge. Bis zum Ersten Weltkrieg galten die Deutschen als besonders wertvolle und engagierte Einwanderer. Nach dem Kriegseintritt der USA schlug ihnen Misstrauen entgegen, deutsche Straßennamen wurden aus dem New Yorker Stadtbild getilgt, deutsche Firmen legten sich englisch klingende Namen zu, aus Angst, ihre Kunden zu verlieren. 
Von dieser Vergiftung der Atmosphäre hat sich das deutsche New York nie wieder erholt. Doch die Not im Deutschland der Zwischenkriegszeit, später die Verfolgung von Oppositionellen und Juden durch die Nazis sorgten dafür, dass der Zustrom nie ganz abriss. Kurt Weill, Hannah Arendt, Oskar Maria Graf fanden eine Zuflucht in New York, der Verleger Kurt Wolff gründete mit seiner Frau Helen die „Pantheon Books“ in New York. Helen Wolff vermittelte dem DDR-Flüchtling Uwe Johnson 1966 einen Job bei einem Schulbuchverlag, so konnte er zwei Jahre lang New-York-Eindrücke für seinen „Jahrestage“-Roman sammeln. Damit endet der lange kulturhistorische Bogen, den Ilona Stölken in ihrem aufwändig recherchierten, gut erzählten und reich bebilderten Buch schlägt. Zu schwer fürs Reisegepäck, aber eine anregende Entführung in die deutsch-amerikanische Vergangenheit.

Ilona Stölken, Das deutsche New York. Lehmstedt Verlag, Leipzig 2013. 280 Seiten, 29,90 Euro

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