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Montag, 25. Juni 2012

Vom Glück des Selbermachens


So schön kann Elektroschrott sein:
Das Ausstellungsmotto DIY
als Recycling-Kunstobjekt
Michael Bienert hat die Ausstellung Do it Yourself - Die Mitmach-Revolution im Museum für Kommunikation besucht und in der STUTTGARTER ZEITUNG ausführlich über das Thema berichtet: 
Selbst ist die Frau! Man muss ihr nur die passenden Werkzeuge in die Hand geben - das hat die Firma Bosch durch eine große Konsumentinnenbefragung herausgefunden. Kleine, leichte und handliche Akkuschrauber werden zur Hälfte von Frauen benutzt, also  gibt es sie inzwischen auch in Pink oder mit blinkenden Swarowski-Glitzersteinen besetzt.
Im Berliner Museum für Kommunkation sind diese Statussymbole zusammen mit einem Nachbau der ersten elektrischen Handbohrmaschine ausgestellt. Den kiloschweren Trumms konnte ein Mann an zwei Handgriffen mühsam halten. Die Wiege des revolutionäre Werkzeugs stand – wo sonst? – in der Hauptstadt der schwäbischen Bastler und Tüftler. 1895 kamen Mechaniker der Firma C. & E. Fein auf die schweißsparende Idee, ein Bohrfutter an einen unbenutzt herumliegenden Elektromotor zu montieren. Im Jahr darauf wurde das erste elektrische Handwerkzeug in Stuttgart auf einer Messe präsentiert und flugs weltweit kopiert.
Zur Grundausstattung deutscher Haushalte gehört die elektrische Bohrmaschine aber erst seit dem Boom der Heimwerkerei nach dem Zweiten Weltkrieg. In den Wirtschaftswunderjahren waren Fachkräfte knapp und das Bedürfnis groß, den wiedergewonnenen Wohlstand zu zeigen. „Selbst ist der Mann“: Unter diesem Titel erschien 1957 eine Illustrierte, die zum häuslichen Zupacken in der Freizeit aufforderte, sie hat bis heute überlebt. 1960 eröffnete der erste Baumarkt in Mannheim, mittlerweile gibt es rund 4000 davon in Deutschland. Was sich dort an Klebern, Farben, Werkzeugen und Baustoffen stapelt, wurde oft erst für die Bedürfnisse ungeduldiger Laien entwickelt.
„Do it yourself!“ Mit dieser Parole animierte die Zeitschrift „Suburban Life“ 1912 erstmals Leserinnen, die Wände ihrer Wohnung selbst zu streichen, statt teure Handwerker anzuheuern. Da war Schillers „Die Axt im Haus erspart den Zimmermann“ in Deutschland längst ein geflügeltes Wort. Nicht nur aus Knausrigkeit lässt der schwäbische Nationalautor seinen Wilhelm Tell das Haustor selber reparieren, aus dem Bonmot tönt das stolze Heimwerkergefühl von schöpferischer Freiheit und Unabhängigkeit. Selbermachen verschafft halt eine Befriedigung, die sich nicht darin erschöpft, Geld gespart oder einem konkreten Mangel abgeholfen zu haben.
Sicher, auch die schiere Not macht erfinderisch: Zu diesem Thema zeigt die Berliner Ausstellung hinreißende Objekte wie die Rohrpostanlage aus einem DDR-Postamt, die durch zwei haushaltsübliche Staubsauger in Schwung gehalten wurde. Doch es sind nicht allein die niedrigeren Preise durch geringere Personalkosten, die dazu geführt haben, dass Supermärkte mit Selbstbedienung die persönlicheren Verkaufsformen an den Rand drängten. Wenn Möbelhausketten die Montagearbeit erfolgreich auf ihre Kunden abwälzen, ist das Last und Lust zugleich. Der Konsument darf sich als Mitproduzent fühlen. Und er lernt nebenbei, was sein Möbelstück im Innersten zusammenhält: Mittun macht schlauer.
Ganz Kreative schrauben aus den Halbfertigteilen neue Möbel zusammen, die nicht im IKEA-Katalog zu finden sind. Oder sie publizieren – wie der britische Künstler Kieren Jones – eine Anleitung für den Umbau eines IKEA-Sessels in einen schnittigen Rodelschlitten. Jones versteht sich als Hacker, so wie die Computerfreaks, die ganz genau wissen wollen, was man mit einer Hard- oder Software alles anstellen kann. Do it yourself: Für die radikalen Tüftler heißt das, die Kultur des Konsums hinter sich zu lassen und sich auf einen Weg der Erkenntnis und der Grenzüberschreitung zu begeben.
In den Sub- und Alternativkulturen der vergangenen Jahrzehnte spielte das Selbermachen daher eine Schlüsselrolle. Die Berliner Ausstellung schlägt einen Bogen vom gescheiterten „Puddingattentat“ der Kommune 1 auf den US-Vizepräsidenten Hubert Humphrey 1967 zur Punk-Ästhetik, von strickenden Grünen in deutschen Parlamenten zum aktuellen „Guerilla Gardening“ und „Guerilla Knitting“. Deren Aktivisten erobern den öffentlichen Raum zurück, indem sie illegal Brachflächen bepflanzen oder hässliche Stadtmöbel zweckfrei durch bunte Häkelkleider verschönern.
Fotos von fantasievollen Aktionen, Aufrufe zum Nachahmen und Mitmachen, Bauanleitungen und Basteltipps werden via Internet verbreitet. Für Bastler und Tüftler jeder Couleur ist das weltweite Netz ein Segen, das zeigt ein Blick in die vielen Spezialforen der Rat- und Tatsuchenden. Wie gefragt die Marke Eigenbau ist, beweist der Erfolg der Verkaufsplattform etsy.com: 2005 als Marktplatz für Selbstgebasteltes gestartet, setzte sie schon nach drei Jahren 100 Millionen Dollar um.
Eine jüngere Generation von Bastlern trifft sich in offenen „FabLabs“ wie der „Dingfabrik“ in Köln und der „Open Design City“ im Berliner Betahaus. Sie funktionieren nach dem „Open Source“-Prinzip: Die Tüftler geben ihr Wissen kostenlos weiter und nutzen gemeinsam Werkzeuge und Maschinen. Was dabei herauskommt, steht allen zur nichtkommerziellen Nutzung zur Verfügung. Nach dieser machtvollen Idee sind immerhin das Betriebssystem Linux und die Onlineenzyklopädie Wikipedia entstanden, nun soll das gemeinsame Basteln die Welt der Dinge revolutionieren!

Ausstellung „Do it yourself. Die Mitmach-Revolution“, Ausstellung im Berliner Museum für Kommunikation, noch bis 2. September 2012, geöffnet täglich außer Montag. Begleitbuch 16,90 Euro. Infos unter www.diy-ausstellung.de
Selbst ist der Mann Die 1957 gegründete Heimwerkerzeitschrift hat inzwischen einen Internetableger: www.selbst.de
Ikea-Upcyling Was man aus Ikeamöbeln und alten Katalogen alles machen kann, ist nachzulesen auf www.ikeahackers.net
Marke Eigenbau Den „Aufstand der Massen gegen die Massenproduktion“ propagieren die Buchautoren Holm Friebe und Thomas Ramge auf ihrer Website www.marke-eigenbau.de
Fab Labs 37 Treffpunkte für Selbermacher stellen sich vor auf www.offene-werkstaetten.org

Erstdruck: STUTTGARTER ZEITUNG vom 2. Juni 2012

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